„Ich rate zum Volkskapitalismus“

Wenn sie bei der CDU erfahren, dass der neue Vorsitzende der Werteunion, Max Otte, nicht nur der AfD nahesteht und beim Verschwörungsformat KenFM einen Auftritt hatte, sondern vor einigen Jahren auch einer linksextremen Zeitschrift ein Interview gegeben hat, werden seine Tage bei der Werteunion sicher gezählt sein.

Als konkret für die Aprilausgabe 2011 mit Otte sprach, war der noch hauptberuflich als „Crash-Prophet“ unterwegs. Er konnte damals so wenig wie die Redaktion dieser Zeitschrift ahnen, dass ihn dieses Interview einmal die politische Karriere kosten würde.

 


 

Immer mehr erfolgreiche Kapitalisten geraten in Endzeitstimmung und suchen nach alternativen Anlagemöglichkeiten. Ackerland statt Aktien? Notrationen statt Château Lafite? Was sagt ein deutscher Ökonom dazu? KONKRET sprach mit dem Wirtschaftsprofessor, Fondsmanager und Bestsellerautor (Der Crash kommt) Max Otte über Fragen, die zu fragen Sie sich nie getraut haben. konkret 4/2011
 

konkret: Es gibt Investmentbanker, die ihr und anderer Leute Geld statt in Aktien und Gold dieser Tage lieber in Waldflächen und Ackerland anlegen. Bringt das höhere Renditen?

Otte: Nein, aber es ist sicherer. Nicht nur Investmentbanker übrigens – viele Vermögende legen sich im Moment Landgüter zu. Inwieweit sie das tun, um im Krisenfall als Selbstversorger über die Runden zu kommen, kann ich nicht einschätzen. Es gibt auch eine Reihe erfolgreicher Finanzmarktakteure, die sich in letzter Zeit Weingüter gekauft haben. Es scheint da einen Trend zu geben, sich Latifundien zuzulegen. Das sind, wenn man so will, fast spätrömische Zustände.

konkret: Es gibt auch Menschen, die bereits »Krisenstammtische« besuchen und dort üben, wie man sich nach dem erwarteten »Big Bang« von Sauerklee und Gänseblümchen ernährt. Alles Hysterie?

Otte: Ja, das finde ich wirklich übertrieben. Ich glaube zwar, daß unserem System schwere Krisen bevorstehen, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Das kann wirklich dicke kommen. In Phasen, in denen eine Verschiebung der Machtverhältnisse in der Weltwirtschaft stattfand, hat es früher immer Krieg gegeben. Vielleicht haben wir wenigstens das hinter uns, aber ich bin mir da nicht sicher. Eines ist jedoch klar: Wenn sich die Situation zuspitzen sollte, wovon ich ausgehe, dann nützen ihnen ihre paar Lebensmittelkonserven gar nichts. In Mitteleuropa allerdings wird es richtig anarchisch aber wohl kaum werden, dafür sind jedenfalls die Deutschen doch immer noch zu geordnet und zu strukturiert.

konkret: Besonders einfallsreich ist es nicht, was sich die Leute so ausmalen: In der phantasierten postkapitalistischen Ära sind wir entweder Parzellenbauern oder Jäger und Sammler. Die Alternative scheint zu lauten: Feudalismus oder Barbarei.

Otte: Ja, es hat in den letzten Jahren zu viele Endzeitfilme gegeben. Das hat sich wahrscheinlich bei den Leuten eingebrannt.

konkret: Aber hat nicht – viel mehr als Hollywood – auch Ihre Zunft eine Menge zu derartigen Vorstellungen beigetragen? Das Menschenbild der Ökonomen lautet doch: Entweder ist der Mensch Marktsubjekt, oder er ist nichts.

Otte: Ja, natürlich, damit sind wir mitten in einer wichtigen Diskussion. Ich halte diese Ideologie für absolut schädlich und falsch. Denn der Ökonomismus ist eine Ideologie wie andere auch: Sie wird der Realität nicht gerecht. Die Ökonomen haben überhaupt keinen Blick mehr für politische Zusammenhänge und für die Politische Ökonomie. Als Politischer Ökonom, nicht unbedingt als linker, beziehe ich mich auf Marx, Lenin und so weiter, aber eben auch auf Röpkes soziale Marktwirtschaft, auf Rüstow, Sombart oder List. Das ist übrigens eine Schule, die ich in Amerika wiederentdeckt habe und die der Realität aus meiner Sicht viel gerechter wird. Tatsächlich sind die Ökonomen in der Regel allzu marktgläubig. Rüstow hat einmal gesagt, daß es sich hierbei um ein religiöses Denkmuster handelt: Der Markt richtet es schon. Aber das ist Quatsch. Wenn wir auf dieser Grundlage weitermachen, kommen wir in der Tat zu neofeudalen Zuständen, wo die großen Aktienbesitzer als Feudalherren auftreten und die Manager die Ritter sind, und dann werden Lehen verteilt. Ein bißchen ist es ja schon so.

konkret: Sie sind nicht nur »Crashprophet«, sondern auch »Börsianer des Jahres« 2009 und 2010. Wie geht das zusammen?

Otte: Crashprophet will ich ja gar nicht sein. Ich hoffe, daß ich Realist bin, und als Realist versuche ich, den Dingen ins Auge zu sehen. Ich habe Anfang 2006 den Finanzcrash prognostiziert, weil ich gesehen habe, daß die Kreditmärkte extrem überspannt waren mit den amerikanischen Subprime-Produkten. Naja, und Märkte und Entwicklungen einschätzen, das sollte man als Börsianer können und dann auch nutzen. Ich hoffe nicht, daß das Label »Crashprophet« an mir hängen bleibt, aber natürlich ist die Weltwirtschaft nicht gesund. Soviel ist klar.

konkret: Würden sie sagen, daß es einen »gesunden« Kapitalismus überhaupt geben kann?

Otte: Kommt drauf an, wie Sie ihn konstruieren. Also ich bin für Marktwirtschaft, aber ich bin mit der deutschen Denktradition, sei sie links oder rechts, dafür, daß die Politik dabei die dominierende Instanz ist. Sahra Wagenknecht hat in ihrem neuen Buch, das ich vorab lesen durfte, interessante Ansätze zur Umgestaltung der Wirtschaftsordnung vorgestellt. Es kann nicht sein, daß sich Großkonzerne selbst bedienen und sich selber die Gesetze schreiben. Dann nämlich haben wir einen »Staat als Beute«, wie das Hans Herbert von Arnim einmal ausdrückte. Aber wenn Sie zum Beispiel festlegen würden, daß 90 Prozent der Bankgeschäfte von Genossenschaftsbanken gemacht werden müssen, wäre das Bankensystem erheblich effektiver für den Mittelstand und für kleine Gewerbetreibende.

konkret: Aber würden Sie sich als Fondsmanager damit nicht Ihre eigene Geschäftsgrundlage entziehen?

Otte: Ja, vielleicht, aber sehen Sie: Ich mache diesen Job ja nur, weil die Welt so ist, wie sie ist. Ich wäre liebend gern Minister geworden, wenn die Welt eine andere wäre. Aber ich sehe die Beschränktheiten der Politik, ihre Abhängigkeit von der Wirtschaft, die Käuflichkeit der Gesetze, und ich habe mir mit meinem Fonds und meinem Business eine Plattform gebaut, von der aus ich unabhängiger und auch politisch agieren kann. Unabhängiger jedenfalls, als wenn ich in irgendeiner Parteimaschine stecken würde.

konkret: Was raten Sie unseren Lesern, die schlaflose Nächte darüber zubringen, wie sie ihre Ersparnisse investieren sollen?

Otte: Ich rate ihnen zum Volkskapitalismus. Sie sollen deutsche Aktien kaufen.

konkret: Lachen

Otte: Ja, wirklich. Aber gute bitte. Mittlerweile sind mehr ausländische als deutsche Aktionäre an Dax-Titeln beteiligt. Irgendwie müssen die ausländischen Investoren ja mitbekommen haben, daß die deutsche Wirtschaft doch ziemlich gut ist.

konkret: Als Finanzmarktexperte raten Sie zum Kauf deutscher Aktien aus politischen Motiven?

Otte: Nein, nein, also investieren tut man ja primär aus ökonomischen Motiven. Die deutsche Wirtschaft ist stark, die amerikanische ist aus meiner Sicht viel maroder. Man bleibe also im Lande und nähre sich redlich.