A Girl Walks Home Alone at Night

A Girl Walks Home Alone at Night

Der iranische Vampirwestern "A Girl Walks Home Alone at Night" ist ein virtuos inszenierter audiovisueller Trip. Laura-Solmaz Litschel über den "Film des Monats" unserer Aprilausgabe, der seit dem 23.4. in den deutschen Kinos läuft.

A Girl Walks Home Alone at Night

27.04.2015 11:27

Regie: Ana Lily Amirpour; mit Sheila Vand, Arash Marandi; USA 2014 (Capelight); 99 Minuten; ab 23. April im Kino

Eine junge Frau im Tschador läuft allein eine dunkle Straße entlang. Die Nacht ist bereits hereingebrochen, niemand sonst scheint unterwegs. Als sie um eine Straßenecke biegt,begegnet sie einem jungen Mann: abrasierte Haare, Gesichtstätowierungen, und auf seinem Hals steht in schlecht eingeritzten Buchstaben »Sex«. Seine massige Statur lässt erahnen, wie viele Stunden er im Fitnessstudio an seinem Körper gearbeitet hat. Ein Vergewaltiger, denkt man sofort. Und: Die arme Frau! Er bleibt stehen und mustert sie. Schnitt. Dieselbe Frau fährt auf einem Skateboard eine Straße herunter, ihr Tschador umflattert sie wie ein schwarzes Cape. Es sieht gespenstisch aus, fast, als würde sie fliegen.

Bald ist der Mann zur Leiche transformiert. Es dämmert mir schon vorher, dass er wohl nicht der einzige Tote bleiben wird: Viktimisierung einmal umgekehrt. Wir sind reingelegt worden. Um dieses verschleierte Mädchen braucht sich niemand Sorgen zu machen. Es ist ein Vampir auf Rädern, der alle tötet, die in Bad City misogyne Verbrechen begehen. Eines Tages lernt er den einsamen, als Dracula verkleideten Arash kennen. Der starrt wie hypnotisiert auf eine Straßenlaterne, weil er so viel Ecstasy intus hat, dass er fast bewegungsunfähig ist. Die Vampirin nimmt es pragmatisch, lädt ihn auf ihr Skateboard, und weiter geht’s. Zwei Freaks treffen sich nachts: irgendwie auch nur eine Boymeets- girl-Variation. Und so entspinnt sich eine zarte und etwas absurde Liebesgeschichte.

In ihrem Debütfilm arrangiert Ana Lily Amirpour jedes Bild wie eine schwarzweiße Kunstfotografie. Die einzelnen Szenen unterlegt sie mit einem ungewöhnlichen Soundtrack, in dem sie iranische und amerikanische Musik virtuos miteinander vermischt. Kombiniert mit den ungewohnten Bildern wirkt das Ganze wie ein audiovisueller Trip: So starrt man von der ersten Minute an wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf die Kinoleinwand.

Amirpours iranische Eltern sind in den Westen immigriert, die Tochter ist in England und den USA aufgewachsen und hat diesen Film in Zusammenarbeit mit jungen Künstlerinnen und Künstlern aus Europa und Amerika verwirklicht, die das Schicksal teilen, Nachfahren von Exiliraner/innen zu sein. So ist Bad City eine iranische Stadt, zugleich aber auch eine amerikanische und englische. Unendliche Wüstenlandschaften grenzen an dauerproduktive Industriegebiete: Bad City erinnert in vielem an die Megastadt Teheran, in der Armut und Reichtum, Partys, Nasen-OPs und Drogensucht das Leben vieler junger Leute bestimmen, ebenso wie an die bekannte Comicstadt Sin City. Es ist eine einmalige Mixtur, zusammengewürfelt aus Puzzleteilen der hybriden Erfahrungswelt von Migrantinnen und Migranten: die imaginäre und phantasievolle Metropole der Exiliraner/innen und ihrer Kinder. Obwohl der Film in einer fiktiven, zeitlosen Traumwelt spielt, hat die Regisseurin den Alltag der Menschen im Iran nicht vergessen: Sie streift Probleme wie die weitverbreitete Heroinsucht, entrechtete Sexarbeit und die ausweglose Eintönigkeit des Alltags in der Diktatur, ohne dass sie zu schwer auf dem Film lasten. Das Hauptmotiv ist, bei allen Horrorschokkerelementen, der Wunsch nach Liebe in einer beziehungslosen Welt. Viele verlorene Seelen streifen durch Bad City und suchen nach Hoffnung und Lebenssinn: »Du hast schon völlig vergessen, was ›etwas begehren‹ überhaupt bedeutet«, sagt das Vampirmädchen in einer Szene zu einer Sexarbeiterin, deren Leben völlig sinnentleert, eine ständige Reproduktion des Grauens scheint.

Außergewöhnliche Frauenfiguren sind sie, die Protagonistinnen von Amirpour: das Mädchen, das des Nachts durch die islamische Stadt streift und misogyne Männer heimsucht, eine Sexarbeiterin, die auswandern will, eine selbstbewusste Tochter aus gutem Hause, die ihre Nächte auf Partydrogen durchfeiert, schließlich eine Transsexuelle, die jeden Tag an einer Straßenecke steht und zu warten scheint. Der Film zeigt autonome und starke Frauen, die ihren eigenen Weg gehen. Daran, wie eigenmächtig die Protagonistinnen ihr Leben gestalten, zeigt sich exemplarisch, wie komplex strukturiert auch autoritär-islamische Gesellschaften sind. Und dass es dort selbstverständlich starke, selbstbewusste Frauen gibt, die täglich kämpfen. Amirpour hat sie nicht vergessen, die Rebellinnen im Iran, und räumt ihnen einen wichtigen Platz in ihrem Märchen ein.

Obwohl die Einblicke in den surrealen Alltag der Protagonistinnen traumverloren und melancholisch bleiben, offenbart sich paradoxerweise dennoch eine Perspektive. Sie liegt, so schnöde und kitschig es auch klingen mag, in der Beziehungsfähigkeit der Figuren. Genau das hat auch den Film möglich gemacht: ein langsamer Aufbruch aus verkrusteten Strukturen und der Mut, gemeinsam anders zu sein. Ana Lily Amirpour appelliert mit ihrem Film nicht nur an iranische Frauen: Take back the night!

Laura-Solmaz Litschel