Welcom to Sodom

Welcom to Sodom

»Welcome to Sodom« ist Science Fiction ohne Zukunft. Die Dokumentation erzählt über das Leben in Agbogbloshie, einem Stadtteil der ghanaischen Hauptstadt Accra, in dem jährlich 250.000 Tonnen Elektroschrott landen. Jürgen Kiontke hat den Film, der ab heute in den Kinos läuft, gesehen.

Welcom to Sodom

02.08.2018 12:20

Regie: Christian Krönes, Florian Weigensamer; Österreich/Ghana 2018 (Camino); 90 Minuten; ab 2. August im Kino

Einen besonderen Blick auf das Thema Datenschutzgrundverordnung bietet »Welcome to Sodom« im Untertitel: »Dein Smartphone ist schon hier.«

Mit »Dein« wird der besserverdienende Teil der Weltbevölkerung angesprochen. Um dessen ausgemusterte Elektroware geht es, und schau an: Da sind ja noch die Urlaubsfotos drauf!

250.000 Tonnen E-Schrott landen jährlich in Agbogbloshie, einem Stadtteil der ghanaischen Hauptstadt Accra. Ursprünglich sollten ausrangierte Computer und Telefone hier die Wirtschaft anschieben, Müllhändler haben daraus ein recht großes Geschäftsmodell entwickelt. Die Hardware-Leichen werden illegal gegen Schwarzgeld verklappt und danach ausgeweidet.---- Die Ortschaft firmiert auch als titelgebendes »Sodom« oder »Toxic City«: Umweltexperten raten, sich besser nicht länger als zwei Stunden dort aufzuhalten. Bis zu den Knien im Schrott stehen rund 6.000 Menschen; sie wohnen auf der Deponie, ziehen dort Kinder auf, betreiben Viehzucht.

Als Filmemacher kommt man an dem Ort schlecht vorbei, und den Regisseuren gebührt Dank für ihre hervorragenden Bilder. An vielen Orten glühen die Plastikscheiterhaufen; die Metallreste in den Computern, Druckern und Klimaanlagen werden einfach herausgeschmolzen.

Man könnte reine Lust am cineastischen Schauwert unterstellen, die toxische Stadt auf die Leinwand zu bringen, legitim wäre dies – wir wagen einen Blick hinter die Kulissen Europas. Würden nicht auch die Müllwerker ihre Lebensgeschichten erzählen: Da ist der schwule Jude David, der sich im Müll sicherer fühlt als sonstwo auf der Welt. Da ist das Mädchen Kwasi, das sich in einen Jungen verwandelt, um in Ruhe Metall sieben zu können. Da ist die Witwe Fauzia, die Wasser ausgerechnet in Plastikbeuteln verkauft und sagt: »Hier siehst du mit 44 Jahren aus wie mit 70.« – »Hier kommst du nie wieder weg«, philosophiert der Müllsammler, der es sich auf gefundenen Särgen gemütlich macht.

Dieser alttestamentarische Ort ist ein kosmopolitischer; eine Stadt auf irgendeinem Schrottplaneten in der Galaxis, die die unsere ist. See you in Gomorrha next year: »Welcome to Sodom« ist Science Fiction ohne Zukunft. Ein gleichermaßen wunderbares wie erschreckendes Stück Kino.

Jürgen Kiontke