Taste of Cement

Taste of Cement

"Taste of Cement" zeigt die Lebensumstände syrischer Wanderarbeiter auf einer Baustelle in Beirut. René Martens über die "physisch und sinnlich unangenehm fordernde" Dokumentation, die ab heute im Kino läuft.

Taste of Cement

24.05.2018 13:56

Regie: Ziad Kalthoum; Deutschland, Libanon u.a. 2017; 85 Minuten; seit 24. Mai im Kino

Zweifellos: Ihr Leben ist eine Baustelle – aber mit einer Abwandlung des mittlerweile geschenkpostkartenreifen Sinnspruchs beschreibt man die Lage der in Beirut schuftenden syrischen Wanderarbeiter, die wir in diesem Dokumentarfilm kennenlernen, nur unzureichend. Die Bauarbeiter sind vor dem Krieg in Syrien geflohen, wo seit vielen Jahren die Häuser einstürzen, und nun errichten sie Wolkenkratzer in Beirut, wo derzeit kein Krieg herrscht. Während der Arbeit haben sie einen Blick auf die Stadt und das Mittelmeer, den man normalerweise als traumhaft bezeichnen würde.

  Aber mehr als diesen Blick werden die Malocher nie kennenlernen, denn die Baustelle ist eine Art Arbeitslager mit Meerblick. Ab 19 Uhr herrscht Ausgangssperre für die Arbeitskräfte aus Syrien. Ihre sogenannte Freizeit und die Nacht müssen sie gewissermaßen unter Tage verbringen – in den Katakomben des Gebäudes, das sie gerade erschaffen. Dort sieht es aus wie in einer als Schuttabladeplatz missbrauchten Tiefgarage. Auf Telefonen oder kleinen TV-Bildschirmen sehen sie sich abends Berichte über den Krieg zu Hause an – und sie erfahren auch etwas über ihre eigene Situation. Im Libanon gebe es »einen aggressiven Rassismus gegenüber Syrern«, heißt es in einem TV-Bericht. Sie werden sich so was schon gedacht haben. Die Arbeiter bleiben stumm – aus Angst vor der syrischen Regierung, dem IS und der Firma, die sie menschenfeindlichen Bedingungen aussetzt, wollten sie nicht mit dem (heute in Berlin lebenden) syrischen Regisseur Ziad Kalthoum sprechen, der die Drehgenehmigung nur bekam, weil er vorgab, das imposante Gebäude filmisch würdigen zu wollen. Sporadisch hört man eine Off-Stimme, die einen poetischen Text vorträgt.

  Es wirkt routiniert, was die Arbeiter in schwindelerregender Höhe tun, aber möglicherweise ist ihre Verzweiflung derart groß, dass sie keine Angst mehr um ihr Leben haben. Die Firma, für die sie arbeiten, hat nicht allzuviel in Sicherheitsmaßnahmen investiert. Als Zuschauer hat man ständig Angst, und das gilt nicht nur für jene, die unter Höhenangst leiden. Die akrobatischen Leistungen, die Kameramann Talal Khoury auf den Baugerüsten vollbracht haben muss, um diese gewaltigen Bilder zu fotografieren, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. »Taste of Cement« ist physisch und – zumal wegen des infernalischen Baulärms – sinnlich unangenehm fordernd. Der Verleih wirbt mit dem Slogan »Kein Film – eine Erfahrung! «. Da ist was dran.

René Martens