Leerstelle
Das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) bemühte sich in seinen ersten Jahren weniger um Erforschung als Verschleierung der NS-Vergangenheit. Von Gerhard Henschel
Die Erforschung der jüngsten deutschen Vergangenheit durch das IfZ stand in den ersten Jahrzehnten unter keinem guten Stern. Was rückblickend auffalle, schreiben die Herausgeber Frank Bajohr und Magnus Brechtken im Vorwort zu dem profunden Sammelband Zeitzeugen, Zeitgenossen, Zeitgeschichte, sei »die faktische Leerstelle einer Darstellung zur nationalsozialistischen Judenverfolgung«. Es passt dazu, was Johannes Hürter in seinem Beitrag über die Tätigkeit des Generalleutnants a. D. Hans Speidel im IfZ mitteilt: »Seit seiner Teilnahme an der ersten (und für eineinhalb Jahre einzigen) Sitzung des Wissenschaftlichen Rats am 28. Februar 1949 bemühte sich der Ex-General, am Institut eine apologetische Geschichtsschreibung zu etablieren.« Speidel regte dort unter anderem die Untersuchung solch interessanter Themen an wie »Die deutsche Führung als Schöpferin neuzeitlicher Panzeroperationen« und »Von der Leistung des deutschen Soldaten«.
Als wissenschaftlichen Mitarbeiter engagierte das IfZ den einstigen Wehrmachtsgeneral Hermann Foertsch, der in seinem 1951 veröffentlichten Buch Schuld und Verhängnis alle noch lebenden ehemaligen Generäle von jeglicher Schuld freisprach und ihnen eine »Verstrickung in Umstände« bescheinigte, auf die sie keinen Einfluss gehabt hätten. »Über die weitere aktive Integration in die NS-Politik, etwa über die willfährige Beteiligung der Militärelite am Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und am Holocaust, verliert der Verfasser kein Wort« (Johannes Hürter).
Gleichfalls 1951 gab Gerhard Ritter im Auftrag des Instituts Adolf Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier heraus und scherte sich dabei herzlich wenig um die Quellenkritik. Einwände empfand er als anmaßend, obwohl er sich als Historiker doch eigentlich hätte denken können, dass auch er selbst einmal zum Gegenstand der Geschichtsforschung werden und dann so schlecht wegkommen dürfte wie in dieser von Brechtken gezogenen Bilanz: »Machtbewusst und überzeugt von seiner Überlegenheit, meinte er, Kritik leichthändig abtun und Fragen nach seinem Geschichtsbild ignorieren zu können.« Der Institutsleiter Helmut Krausnick wiederum hielt 1965 einen Vortrag mit dem Titel »Unser Weg in die Katastrophe von 1945«, wobei ihm, wie Bajohr und Brechtken schreiben, »offensichtlich gar nicht auffiel, dass die Mehrheit der NS-Verfolgten das Jahr 1945 keineswegs als Katastrophe, sondern vielmehr als Ende der Katastrophe empfunden hatte«.
Aus anderen Beiträgen erfährt man unter anderem, dass Krausnick sich 1959 gegen den Abdruck eines Einsatzgruppenberichts sträubte, in dem der Heeresgruppe des Generals Erich Hoepner die Anerkennung für die Zusammenarbeit bei den Judenverfolgungen ausgesprochen worden war, denn man müsse doch berücksichtigen, dass Hoepner im Gefolge des 20. Juli hingerichtet worden sei; dass der IfZ-Mitarbeiter Hans Mommsen den Historiker Hans Schneider 1962 an der Veröffentlichung einer dem Institut nicht genehmen Studie über den Reichstagsbrand zu hindern versuchte, weil – wie Mommsen sich ausdrückte – »aus allgemeinpolitischen Gründen eine derartige Publikation unerwünscht zu sein scheint« (es wäre, so Mommsen, »indessen vielleicht angezeigt, durch Druck auf Schneider vermittels des Stuttgarter Ministeriums ihn zur Nachgiebigkeit zu bewegen«); oder auch, dass der Institutsleiter Martin Broszat 1973 in einem Gutachten zu dem IfZ-Projekt »Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933–1945« feststellte, die Judenverfolgung in Bayern sei bereits »relativ gut dokumentiert« und müsse deshalb nicht vordringlich weiter erforscht werden. Man kann sich nur immer wieder die Augen reiben.
Frank Bajohr und Magnus Brechtken (Hg.): Zeitzeugen, Zeitgenossen, Zeitgeschichte. Die frühe NS-Forschung am Institut für Zeitgeschichte. Göttingen, Wallstein 2024, 390 Seiten, 34 Euro
Gerhard Henschel schrieb in konkret 4/25 über die zweiten Karrieren vormaliger Nazi-Größen in der BRD