Feindliches Vokabular

Weil sie marxistisches Vokabular verwendet, soll eine linke Aktivistin in Bayern noch nicht einmal zum Referendariat zugelassen werden. Von Michael Csaszkóczy

An Appellen, die Verteidigung der Demokratie erfordere gerade heute Zivilcourage und demokratisches Engagement, herrschte in den vergangenen Monaten kein Mangel. Welche Folgen diese vielbeschworene Zivilcourage haben kann, erlebt die Klimaaktivistin Lisa Poettinger derzeit in Bayern.

Als die Ampelregierung im Jahr 2023 ankündigte, »dafür zu sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller aus dem Dienst entfernt werden können«, und im Folgejahr zunächst das Disziplinarrecht massiv verschärfte (konkret 7/24), schien das in erster Linie eine Ermutigung an die Landesregierungen zu sein, mit Entlassungen aus politischen Gründen weniger zögerlich zu sein. Insbesondere sozialdemokratische und grüne Politiker/innen beeilten sich zu betonen, es verstehe sich ja von selbst, dass diese Politik in erster Linie gegen rechts gerichtet sei.

Wie die Realität aussieht, lässt sich derzeit in Bayern beobachten, wo die aus der Zeit des Nationalsozialismus stammenden und im deutschen Beamtenrecht nach wie vor verankerten Gesinnungsprognosen wie bereits in den siebziger und achtziger Jahren in erster Linie gegen Linke in Stellung gebracht werden. Als letztes Bundesland hat sich Bayern 1991 von der Regelanfrage beim »Verfassungsschutz«, dem Kernelement des Radikalenerlasses von 1972, verabschiedet – nicht ohne eine besonders perfide Nachfolgeregelung zu etablieren: Bewerber/innen für den Öffentlichen Dienst müssen seither einen Fragebogen ausfüllen, in dem sie angeben, ob sie Mitglied in einer Organisation sind oder waren, die vom Inlandsgeheimdienst als »extremistisch« oder »extremistisch beeinflusst« geführt wird. Aufgeführt sind zum Beispiel sowohl der Studierendenverband der Linkspartei (SDS) als auch deren Jugendorganisation Solid, nicht jedoch die AfD. Bei Verweigerung einer solchen Selbstdenunziation wird die Bewerbung sofort abgelehnt, bei wahrheitsgemäßer Angabe einer Mitgliedschaft erfolgt die Überprüfung des Delinquenten durch den »Verfassungsschutz«.

Schon im August 2022 lehnte die Technische Universität München die Anstellung des Wissenschaftlers Benjamin Ruß aus politischen Gründen ab. Zur Begründung wurde eine Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes herangezogen, die Ruß eine »wissenschaftlich-marxistische Weltanschauung« attestierte, die sich an der Verwendung »klassischer Begriffe wie Faschismus, Rassismus, Kapitalismus, Polizeigewalt« festmachte. Im Juli 2024 wurde Ruß’ Klage gegen die Verweigerung der Anstellung vom Arbeitsgericht rechtskräftig zurückgewiesen. Das ist kein gutes Zeichen. Bislang galten Berufsverbotsverfahren vor Arbeitsgerichten als sehr viel aussichtsreicher für die Betroffenen als Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, die in ähnlich gelagerten Fällen für BeamtInnen und BeamtenanwärterInnen zuständig sind.

Im November vergangenen Jahres traf es nun die Lehramtsanwärterin Lisa Poettinger. Anlass für die Überprüfung war ihre wahrheitsgemäße Auskunft im bayerischen Fragebogen, beim Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen München aktiv zu sein. Der Inlandsgeheimdienst lieferte daraufhin weitere bedrohliche Informationen:

Poettinger habe unter dem Motto »Gemeinsam gegen rechts« Demonstrationen gegen die AfD organisiert. Sie habe an den Demonstrationen für den Erhalt des Dorfes Lützerath, das dem Braunkohlebergbau zum Opfer fiel, teilgenommen. Die Internationale Automobil-Ausstellung IAA habe sie als ein »Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima« bezeichnet. Vorsorglich stellt das bayerische Kultusministerium klar, dass weder das Engagement gegen die AfD noch der Einsatz für den Klimaschutz zu beanstanden sei. Wer dergleichen allerdings mit einer Ablehnung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung verbinde und dabei gar »marxistisches Vokabular« benutze, sei als deutscher Staatsdiener nicht zu tolerieren: »Nach Mitteilung des Verfassungsschutzes vom 05.11.2024 stammt der Begriff ›Profitmaximierung‹ aus dem Kommunismus und wertet Gewinnstreben in der Wirtschaft ab«, heißt es im ablehnenden Bescheid, mit dem Lisa Poettinger wenige Tage vor dem Beginn des Referendariats die Zulassung endgültig verwehrt wird. »Auch ein Eintreten für den ›Klassenkampf‹ ist mit dem Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht vereinbar, sondern steht hierzu in diametralem Gegensatz.«

Auf über hundert weiteren Seiten dokumentiert das Schriftstück die Bemühungen der Landesregierung, ihre Entscheidung juristisch gegen Einwände abzusichern. Mit gutem Grund: Mit der Verweigerung der Zulassung zum Vorbereitungsdienst geht Bayern im »Kampf gegen Verfassungsfeinde« (Innenministerin Nancy Faeser, SPD) einen entscheidenden Schritt zurück in die Frühzeit des Radikalenerlasses. Das dürfte im nun anstehenden Rechtsstreit eine zentrale Rolle spielen.

Bisher galt das Referendariat – so mehrere höchstinstanzliche Urteile aus der Zeit des Radikalenerlasses – als integraler Bestandteil der Ausbildung für den Lehrberuf, weshalb die Kultusministerien verpflichtet seien, den Zugang dazu auch dann zu gewährleisten, wenn die von ihnen vorzunehmende Gesinnungsprognose negativ ausfalle. Immerhin eröffnet der Vorbereitungsdienst zumindest die theoretische Möglichkeit, als voll ausgebildete Lehrkraft an nichtstaatlichen Schulen zu arbeiten.

Wenn keine marxistische Gesinnung zu vermuten ist, entscheidet das bayerische Innenministerium übrigens weitaus großzügiger. Die »Tageszeitung« veröffentlichte kurz nach Poettingers Berufsverbot Recherchen, denen zufolge an einem Gymnasium in Franken 2021 ein Gymnasiallehrer verbeamtet wurde, der sowohl im völkischen Jugendbund »Sturmvogel« als auch in der ebenfalls völkisch orientierten »Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks« Mitglied war. Ein Ministeriumssprecher erklärte, dass »Aktivitäten in rechtsextremistischen Gruppierungen in der Jugend- und Studienzeit« des Beamten bekannt seien. Von diesen habe sich Michael Z. aber bei seiner Bewerbung als Lehrkraft »sehr deutlich und klar distanziert«. Es muss ein sehr plötzlicher Gesinnungswechsel gewesen sein. Noch im Jahr 2016 ist seine Teilnahme an einer Aktion der Identitären in Wien dokumentiert – offensichtlich in zentraler Funktion mit einem Megafon in der Hand.

Mit glaubhaften Distanzierungen kennt sich Anna Stolz, die bayerische Kultusministerin, die nun das Berufsverbot gegen Lisa Poettinger verhängt hat, sicherlich aus. Sie gehört der Freien Wählervereinigung Hubert Aiwangers an, mit dessen Hilfe sich Markus Söder im November 2023 den Regierungserhalt sicherte – ungeachtet der Verstrickung Aiwangers in eine Affäre um bei ihm in seiner Schulzeit sichergestellte antisemitische Hetzflugblätter.

Das bayerische Kultusministerium wirft der Klimaaktivistin insbesondere vor, nicht die ihr offenstehenden Möglichkeiten zur Distanzierung genutzt zu haben. Im Ablehnungsschreiben heißt es: »Ebenso ist weder Ihren Bewerbungsunterlagen noch Ihrem Anhörungsschreiben zu entnehmen, dass Sie sich von dem Engagement für die Gruppierung Offenes Antikapitalistisches Klimatreffen München distanzieren – im Gegenteil: Sie drückten lediglich Ihre Verwunderung aus, dass die Gruppierung als extremistisch eingestuft wird.«

Die von ihr geforderte moralische Flexibilität fehlt Lisa Poettinger offensichtlich. In einem Interview mit dem »Neuen Deutschland« bekundete sie: »Ich wünsche mir von Herzen, Lehrerin zu werden, und werde dafür auch kämpfen. Aber ich glaube, dass ich flexibel sein muss und mich nicht darauf versteifen sollte, dass es unbedingt das Lehramt wird. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Mir ist auch der Zustand der Welt wichtiger als meine Karriere. … Ich glaube, dieses Weitermachen-trotz-alledem: Das ist es, worauf es ankommt. Klar, als Marxistin finde ich, es braucht Klassenkampf, um die Macht des Kapitals zu brechen. Aber das ist zu abstrakt, um Menschen zu motivieren. Was motiviert, ist eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die für Gerechtigkeit einsteht und nicht zuschauen will, wie die Welt den Bach runtergeht.«

Tatsächlich dürfte der größte Schaden, der durch die Wiederbelebung der Berufsverbote droht, nicht in der Zerstörung einzelner Lebensentwürfe bestehen, sondern in einem Klima der Angst, der Einschüchterung und der Denunziation. Als Beispiel mag der Fall eines Bundestagskandidaten der Linkspartei dienen, dem nahezu gleichzeitig mit Lisa Poettinger wegen seiner Mitgliedschaft in der Jugendorganisation Solid die Verlängerung seines Studijobs in der EDV-Betreuung der Universität Augsburg verweigert wurde. Der Linken-Politiker beteuerte, doch nur passives Mitglied bei Solid gewesen zu sein, er habe dort nur aus professionellem Interesse als Erziehungswissenschaftler wenige Male vorbeigeschaut. Darüber hinaus kenne er jemanden, der dort sehr viel aktiver sei als er und dennoch unbehelligt an der Universität arbeite.

Genützt haben ihm solche Unterwerfungsgesten nichts. Aber sie zeigen, wohin ein Land steuert, in dem es zu einem immer größeren persönlichen Risiko wird, links zu sein. Schon jetzt haben nach Brandenburg auch Hamburg und Schleswig-Holstein die Wiedereinführung der Regelanfrage angekündigt.

Michael Csaszkóczy schrieb in konkret 11/24 über den Prozess gegen die Burschenschaft Normannia in Heidelberg