Elder Statesmen
Andreas Vogel über »Golden Years«, die neue Platte von Tocotronic
Die weißen Tauben sind müde«, sang einst Hans Hartz – der Band Tocotronic geht es heute genauso. Lebenssatt und melancholisch besingen sie auf dem Titelstück ihres Albums »Golden Years« den Alltag einer nicht mehr ganz taufrischen Rockband. Selbstironisch, wie es sich für Männer ihres Alters geziemt, geben sie zu verstehen, dass es für sie auch nicht immer einfach ist – das Unterwegssein, das Schlafen in Hotelkettenbetten, die deutsche Provinz et cetera.
Nicht so massentauglich wie die Toten Hosen, nicht so politisch wie die Goldenen Zitronen, nicht so humoristisch wie die Ärzte, nicht so intellektuell wie Blumfeld, nicht so funky wie Die Sterne, schlauer als Sportfreunde Stiller – die »Tocos« sind sich irgendwie treu geblieben, machen immer mal wieder eine Platte und gehen auf Tour. Für viele Hörer/innen war und ist die Band Teil ihrer Biografie. Selbst jene, denen Tocotronic nie gefallen hat, meinen: »Da gibt es doch viel Schlimmere!«
Die Elder Statesmen der Generationen X und Y sind die Konsensband für Fans deutschsprachiger Gitarrenmusik, was vielleicht mehr über ihre Rezipienten und Rezipientinnen als über die Band aussagt. Wenn’s gut läuft, mittlere Beamtenlaufbahn; wenn’s schlecht läuft, Rückkehr zu den Eltern in die Kleinstadt, aus der man entfliehen wollte.
Was aber ist das Geheimnis des Erfolges von Tocotronic? Sie haben das Wesen von Pop verstanden: Es reicht, viel zu behaupten, Coolness und Schlaumeierei im Rahmen der eigenen Möglichkeiten. Verstehen, nachfragen ist Nebensache. Es geht um Posen, ironische Parolen, um den Ausdruck männlicher Gefühle, reduziert auf eine schnoddrige, melancholische Sentimentalität. Musikalisch waren nie Wunder zu erwarten, die Texte oft eher schlicht, mit schiefen Bildern, pathetisch, altklug – egal, andere Bands treten in größere Fettnäpfchen, reden und singen sich um Kopf und Kragen, betteln um Gunst und Anerkennung ihres Publikums. Tocotronic hingegen spricht sich für Flüchtlingshilfe und gegen Nationalstolz und Antisemitismus aus – was mehr ist, als viele Kollegen und Kolleginnen hinbekommen.
Ihre Fans freuen sich jedenfalls schon jetzt auf die Festivalauftritte bei Rock am Ring und Rock im Park im Sommer.
Tocotronic: »Golden Years«, Epic Records