Gefahrenlage

In Ungarn nutzt die Regierung Orbán die Corona-Krise für den autoritären Staatsumbau. Von Thekla Molnar

Orbáns Fidesz-Partei hat seit 2010 eine Zweidrittel-Mehrheit im ungarischen Parlament. Mit dieser hat er in den letzten Jahren den Umbau des ungarischen Staates konsequent nach seinen Vorstellungen vorangetrieben. Zurück bleiben eine strukturell geschwächte Opposition, eine kontrollierte und zentralisierte Presse- und Medienlandschaft und ein ausgehöhltes Justizsystem. Auf diese Vorarbeit kann Orbán nun aufbauen. Am 11. März wurde unter Hinweis auf die Corona-Pandemie von der ungarischen Regierung eine nationale Gefahrenlage ausgerufen. Verfassungsgemäß bedeutet dies ein Regieren per Dekret, also unabhängig vom Parlament. Normalerweise muss der Notstand alle 15 Tage vom Parlament verlängert werden. Am 30. März beschloss dieses jedoch, dass die Regierung »bis zum Ende der Gefahrenlage« per Dekret regieren darf. In den letzten Wochen hat Orbán über 130 Dekrete durchgesetzt, mit denen der Datenschutz und die Informationspflichten der Ämter ausgehebelt, arbeitsrechtliche Bestimmungen außer Kraft gesetzt und Polizei und Armee weitreichende neue Kompetenzen gegeben wurden. Auch die Opposition wurde erneut anvisiert: Oppositionsgeführten Kommunen werden Gelder und Gestaltungsmöglichkeiten entzogen, etwa indem Einnahmequellen gezielt stillgelegt oder Vorgaben zur Parteienfinanzierung zuungunsten der nicht regierenden Parteien geändert wurden.

Parallel dazu wurde vom Parlament die sogenannte Istanbul-Konvention zurückgewiesen, die vor allem der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen dienen sollte. In der Begründung heißt es, dass die ideologische Verwendung des Begriffs Gender nicht vereinbar mit ungarischen Traditionen und nationalen Werten sei. Am 19. Mai wurde zudem ein Gesetz verabschiedet, nach dem das bei der Geburt eingetragene Geschlecht nicht mehr geändert werden darf.

Bereits 2016 hatte Orbán mit den sogenannten Migrationsnotstandsgesetzen für Aufsehen gesorgt. Sie wurden niemals aufgehoben. Statt dessen ist es für Asylsuchende aufgrund der Regelungen immer noch quasi unmöglich, überhaupt ins Land zu kommen. Auch die zuletzt scharf kritisierten Transitzonen für Geflüchtete sind aus diesen Gesetzen hervorgegangen.

Die Corona-Sonderdekrete sollen demnächst wieder aufgehoben werden. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag wurde Ende Mai vorgelegt. Dass Orbán nun die ungarische Opposition sowie alle anderen, die ihm misstraut haben sollen, auffordert, sich bei ihm zu entschuldigen, ist nichts anderes als eine weitere strategische Provokation.

Thekla Molnar