VON konkret

Durch die Blockade ukrainischer Häfen, durch die Zerstörung von Silos, Straßen und Eisenbahnen und insbesondere der Felder von Bauern hat Russland einen Kornkrieg begonnen, der eine globale Nahrungsmittelkrise anfacht«, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Mitte Mai während eines Außenministertreffens bei den Vereinten Nationen in New York. Nur Tage später hatte der »Kornkrieg« die deutsche Presselandschaft erfasst: Das »Handelsblatt« brachte eine Geschichte mit dem Titel »Hunger durch Putins Kornkrieg«, die »Berliner Zeitung« überschrieb ein Stück mit »Gegen Hunger: G7 vereinbaren Bündnis gegen Russlands ›Kornkrieg‹«, die »Stuttgarter Zeitung« titelte: »Putins Kornkrieg: ›Steigende Preise treiben den Hunger‹«, ein Kommentar des WDR trug die Überschrift: »Der russische Kornkrieg geht bis in unsere Regale«, der Podcast »NZZ Akzent« beschäftigte sich mit dem Thema »Russlands Kornkrieg: Hunger als Waffe?«.

Ein gefundenes Fressen: Hunger satt auf allen Kanälen, und der Russe war’s. Das massenhafte Sterben im globalen Süden, das es sonst höchstens zu Weihnachten in die beste Sendezeit schafft, müsse jetzt »nachhaltig« bekämpft werden, so Entwicklungsministerin Svenja Schulze. Dafür strebt Schulze ein »offenes« und »agiles Bündnis mit verschiedenen Schwerpunkten an«, zu dem viele Staaten sowie »Stiftungen und Privatunternehmen eingeladen« sind. Und Deutschland zieht einen ganz großen homöopathischen Drops aus den Spendierhosen: 430 Millionen Euro sollen »ein erstes Fundament für mehr Ernährungssicherheit weltweit« schaffen. Das World Food Programme der Vereinten Nationen geht von einem Bedarf von 20 Milliarden Euro aus.

In der Juni-Ausgabe hatte konkret mit Sea-Watch-Pressesprecher Oliver Kulikowski über den Rücktritt des Frontex-Chefs Fabrice Leggeri und die Vorwürfe gegen die Grenzschutzorganisation gesprochen. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, ob die Schweiz sich in stärkerem Maße an deren Finanzierung beteiligen will. Nach einer Volksabstimmung steht nun fest, dass, wie ein Schweizer Journalist twitterte, »würde die EU nur aus Frontex bestehen, die Schweiz ihr noch heute beitreten würde«. Neben den Ausländerfeinden aus der Schweizerischen Volkspartei haben sich auch die Liberalen und die Grünliberalen für eine verstärkte Unterstützung der bezahlten Menschenschinder ausgesprochen. Vermutlich zum Wohl der Geschundenen.

In diesem Heft beschreibt Christian Y. Schmidt (S. 14) am Beispiel der »Xinjiang Police Files«, wie der Westen nicht nur seinen systemischen Rivalen mit Hilfe von Propaganda bekämpft, sondern auch jene, die sich, wie die UN-Hochkommissarin Michelle Bachelet, nicht entschlossen genug an diesem Kampf beteiligen. Das Urteil über ihre China-Reise, so Schmidt, sei einhellig kritisch gewesen. Er zitiert den »Spiegel« mit der Aussage, Bachelet sei »der chinesischen Propaganda aufgesessen« und habe sich damit »als oberste Menschenrechtlerin der Uno … disqualifiziert«. Es scheint, als käme Bachelet gegen so viel Einhelligkeit nicht mehr an. Sie kündigte an, dass dies ihre letzte Amtszeit sei. Dass es sich bei ihrem Rücktritt »um so etwas wie die übliche Amtsmüdigkeit« handelt, glaubt die »Süddeutsche« nicht. Vermutlich gehe »es doch um ihren China-Besuch vor einigen Wochen«.

Der konkret-Podcast »Hören, was andere nicht wissen wollen« erscheint noch immer monatlich und ist sowohl über die konkret-Website (konkret-magazin.de/podcasts) als auch über Spotify abrufbar. Seit der letzten Folge (6.6.22) ist er um ein Stück musikalische Kleinkunst von Marco Tschirpke erweitert. Der Podcast zum Juli-Heft erscheint am 4. Juli.

Mit diesem Heft startet unsere unregelmäßige Rubrik LAUSCHANGRIFF (S. 39), die Podcasts vorstellt, die im Gegensatz zu den allgegenwärtigen politischen Quasselformaten anhörens- und bedenkenswert sind.