Neusprech

Ausgerechnet die AfD inszeniert sich als Partei, die den Antisemitismus bekämpfen würde.
Von Olaf Kistenmacher

Die Stadt Hamburg brauche dringend einen eigenen Antisemitismusbeauftragten – forderte ausgerechnet die AfD am 17. September 2018. Mit dem Datum offenbarte die Partei ein Gespür fürs Timing: Nachdem selbst die sächsische CDU und das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht mehr verheimlichen konnten, dass in der Nacht nach dem großen rechten Aufmarsch in Chemnitz das jüdische Restaurant Schalom von mehreren Maskierten angegriffen worden war (konkret 9/2018), und nachdem eine Woche später AfD-Größen bei einem »Trauermarsch« mit Pro Chemnitz und anderen Nazis marschiert waren, inszeniert sich der Hamburger Ableger der Partei als Vorreiter im Kampf gegen Antisemitismus.

Der Judenhass in den eigenen Reihen ist in dem AfD-Antrag ebensowenig Thema wie die Vorfälle in Chemnitz. Die AfD gibt sich über Judenfeindschaft nur besorgt, wenn sie sich Geflüchteten anhängen lässt. Im Interview mit »Spiegel Online« mimte der Fraktionsvorsitzende der Hamburger AfD, Jörn Kruse, Ende September zudem den Zauberlehrling, der die Geister gar nicht gerufen haben wollte, und gab sich erschüttert, dass seine Parteifreunde Andreas Kalbitz und Björn Höcke zu »Nazi-Sprech« neigten. Ein paar Tage später trat Kruse aus der AfD aus, womit er nolens volens ihren Fraktionsstatus in der Hamburger Bürgerschaft schwächte. Das ist die einzige gute Nachricht.

Der AfD-Antrag fällt unter Neusprech wie Trumps Aussage, er sei die »am wenigsten rassistische Person« auf Erden. Natürlich will die AfD nicht ernsthaft eine oder einen Antisemitismusbeauftragte/n. Denn diese/r Beauftragte müsste zur Zeit besonders die AfD in den Blick nehmen, auch wenn es Judenfeindschaft in allen Parteien gibt. So protestierten nicht nur zahlreiche jüdische Organisationen gegen die Bildung einer Gruppe »Juden in der AfD«, die am 7. Oktober von 24 Mitgliedern gegründet wurde. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sagte laut »Spiegel Online«, mit der AfD sei erstmals eine Partei im Bundestag, »deren Programm sich zusammenfassen lässt mit den Worten: Juden raus«.

Nach Chemnitz, so berichtet der Dachverband der Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt, hat die Zahl rassistischer und antisemitischer Angriffe bundesweit zugenommen. Auch Neonazis, die sich vor 15 Jahren aus taktischen Gründen noch zurückgehalten hätten, brüllen nun, neben einer untätigen Polizei, bei Aufmärschen wie in Dortmund am 22. September: »Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!«

Es ist zwar naiv zu glauben, der Judenhass würde verschwinden, wenn die AfD verboten wäre. Einen Versuch wäre es trotzdem wert.