Der Jasager

Schönfelder, Maunz, Palandt - Der Münchener Verlag C.H. Beck teilte kürzlich mit, dass juristische Standardwerke nicht mehr länger nach NS-Juristen benannt werden sollen. Über einen von ihnen, den Staatsrechtler Theodor Maunz, der ein Kriegsvölkerrecht auf völkischer Grundlage gefordert, die Konzentrationslager gerechtfertigt und den einflussreichsten Grundgesetzkommentar verfasst hat, schrieb Otto Köhler in konkret 12/1993

Nein, dachte ich, als er im September starb, Friede seiner Asche, kein Nachruf auf Theodor Maunz, jedenfalls nicht von mir – es ist doch schon 35 Jahre her. Damals, am 14. Februar 1958, berichtete die »Frankfurter Allgemeine« aus Würzburg, daß die Studenten der dortigen Universität dem bayerischen Kultusminister Maunz mit großer Mehrheit »ihr Vertrauen« ausgesprochen hatten, denn: »Ein Student der Philosophie Köhler hatte mit Unterstützung des Sozialistischen Studentenbundes in einem Mißtrauensantrag die Abberufung des Ministers wegen seiner ›politischen Vergangenheit‹ gefordert.«  

Maunz war 1957 bayerischer Kultusminister geworden. Ich hatte mir als junger Student im Juristischen Seminar seine Veröffentlichungen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 angesehen und war erschrocken über die Fülle seiner Bekenntnisse zum Nazi-Staat und zum Nazi-Unrecht. »Gesetz ist geformter Plan des Führers«, hatte er verkündet. Und: »Der geformte Plan des Führers ist oberstes Rechtsgebot.«  

Zunächst war es nicht so sicher, daß die Mehrheit der studentischen Vollversammlung meinen Mißtrauensantrag gegen den Minister ablehnen würde. Burschenschafter waren es, die Dauerreden hielten, bis – das erfuhr ich später – der PKW aus München mit Entlastungsmaterial eingetroffen war. Juden hätten sich für seine Hilfe bedankt, und der Kronjurist der SPD, Adolf Arndt, habe ihm zu seiner Amtsübernahme gratuliert. So wurde der Antrag abgelehnt.  

Adolf Arndt, den ich schätzte, fand sich von Maunz falsch zitiert, winkte aber ab. Er schrieb mir, »jedenfalls glaube er (Maunz, O.K.), in den 13 Jahren seit 1945 gezeigt zu haben, daß er demokratische Auffassungen vertrete, worin ich (Arndt, O.K.) Minister Maunz zustimme.«  

In einem Offenen Brief, den ein paar Zeitungen abdruckten, wiederholte ich meine Vorwürfe aus der Vollversammlung und warf Maunz etwas melodramatisch vor, er habe die Rechtswissenschaft zur »Dirne der nazistischen Ideologie« gemacht und bis heute nicht seiner »Schwärmerei für Diktaturen« entsagt – tatsächlich ernannte er 1956 den portugiesischen Diktator Salazar zum »Verfechter der Freiheiten der menschlichen Persönlichkeit«.  

Er solle zurücktreten oder mich verklagen, schrieb ich ihm. Doch Maunz hatte Besseres zu tun. Damals, 1958, begann er mit seinem großen Grundgesetzkommentar in der – das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland änderte sich so oft – praktischen Loseblattsammlung; so war er aus seiner NS-Erfahrung klug geworden. Die bundesdeutsche Verfassung hörte bald nur noch auf den Namen Maunz. »Sein Name zählt«, so schrieb die »Frankfurter Allgemeine« zu seinem Tod, »zu den großen in der deutschen Staatsrechtslehre«.  

Warum Maunz, nachdem er in drei bayerischen Kabinetten als Kultusminister tätig war, im Juli 1964 doch noch seiner NS-Vergangenheit wegen zurücktrat, habe ich nie verstanden. Daß er sich als Antisemit betätigt habe, weil er auf dem Kongreß »Das Judentum in der Rechtswissenschaft« über die »Juden im Verwaltungsrecht« referierte, war möglicherweise neu, aber Antisemitismus hatte ich ihm schon 1958 vorgeworfen. Bereits 1937 bezeichnete er ein Urteil über den »inhaltlichen Wandel des Begriffes eines ›unbescholtenen Lebenswandels‹ einer deutschen Frau, die einen Juden geheiratet hat«, als »begrüßenswertes Ergebnis«. Und auch der andere Vorwurf von 1964, er habe im Herbst 1938 ein neues Kriegsvölkerrecht »auf völkischer Grundlage« gefordert – war das wirklich ein qualitativer Unterschied zu seiner Rechtfertigung der Konzentrationslager, die schon 1958 bekannt wurde?  

Egal. Als er vor zwei Jahren seinen 90. Geburtstag feierte, würdigte ihn auch die »Süddeutsche Zeitung«: »Seine verfassungsrechtliche Arbeit in den fünfziger und sechziger Jahren hat dazu beigetragen, die Grundlagen für ein demokratisches Deutschland zu schaffen.« Und dabei hätte es bleiben können.  

Es war wieder einmal die »Deutsche National-Zeitung«, die sehr bewußt den Irrtum über Maunz und über das demokratische Deutschland aufklärte. Schon nach dem Tod des BND-Gründers Reinhard Gehlen druckte das Blatt im Faksimile einen Brief, der ihn als intimen Freund des »National-Zeitungs«-Chefs und Extremistenführers Gerhard Frey offenbarte. Und auch den Maunz hat die »National-Zeitung« gleich nach seinem Tod geoutet. »Deutschland verlor seinen größten Rechtsgelehrten«, titelte sie und fuhr fort, »Dr. Frey seinen wunderbaren Wegbegleiter.« Bis ins 91. Lebensjahr hatte Maunz Freys »Deutscher Volksunion« mit juristischen Gutachten geholfen, jahrzehntelang traf er sich einmal in der Woche mit Frey »zu einer stundenlangen Besprechung aller zentralen politischen und juristischen Fragen« – der bayerische Verfassungsschutz hielt die Augen fest geschlossen. Warum auch nicht: Das Grundgesetz schrieb in der »Deutschen National-Zeitung« oder, so formulierte es Frey in seinem Nachruf, Maunz war »allwöchentlich durch seine hervorragenden politischen Beiträge ohne Autorenangabe in der ›National-Zeitung‹ vertreten«. Ohne die juristische Beihilfe dieses maßgebenden Grundgesetz-Interpreten hätte die Neonazi-Partei nicht so viele Prozesse gewonnen. Gegen die Bundespost etwa, die sich weigern wollte, die ausländerfeindlichen Postwurfsendungen der DVU zu befördern. Und zuletzt gegen den Norddeutschen Rundfunk. Der NDR mußte mehr DVU-Wahlspots senden, weil das Hamburger Oberverwaltungsgericht im Vorgriff auf die dann etwas mangelhaft ausgefallene Wählerentscheidung der DVU fünf Prozent der Wählerstimmen zusprach.  

Kurz, bis in sein 92. Lebensjahr machte Theodor Maunz wahr, was in der Festschrift zu seinem 80. Geburtstag stand: »Ungebrochen blieb seine Arbeitskraft und seine Arbeitslust, kontinuierlich entfaltete sich der Erfolg seines Lebenswerkes.« Die »Entwicklung des öffentlichen Rechts« der Bundesrepublik Deutschland hätte »ohne ihn nicht ihre gegenwärtige Gestalt gefunden«, stellten – zutreffender, als sie es je dachten – die renommierten Juristen fest, die diese Festschrift verfaßten. Vorher.  

»Theodor Maunz ist ein absoluter Demokrat gewesen«, sagt jetzt – nachher – Rupert Scholz, der als ehemaliger Verteidigungsminister mit unserer Demokratie sehr intim geworden war. Scholz, der Maunz beim Kommentieren der Loseblattsammlung geholfen hatte, spricht so, nachdem die Freundschaft zwischen Verfassungsfeind Frey und Verfassungsrechtler Maunz bekannt geworden ist. Aber, so fügt Scholz erklärend hinzu: »Er konnte eben nicht nein sagen.« Scholz hat Recht: Jasagen ist in diesem Staat ein überkonstitutioneller Rechtsgrundsatz.
 

Otto Köhler