Post von Frau Roth

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth wird die neue Kulturstaatsministerin. Um was für eine Person es sich dabei handelt, wussten konkret-Leser/innen spätestens nach der Lektüre eines Briefwechsels zwischen ihr und Hermann L. Gremliza, der in konkret 3/93 erschien.

Konkret 03/93, S. 14  

Claudia Roth, Hermann L. Gremliza  

Nie wieder Krieg ohne uns? 

Ein Briefwechsel zwischen der Europa-Abgeordneten Claudia Roth (Grüne) und Hermann L. Gremliza über gewalttätige Interventionen gegen die völkermordenden Serben  

 

Sehr geehrter Herr Gremliza,  

in Ihrer Kolumne für die Februar-Ausgabe von KONKRET behaupten Sie, die »Fundamentalpazifistin« Claudia Roth wolle »Bomben auf Serben in Bosnien« werfen.  

Diese Behauptung ist falsch und in hohem Maße rufschädigend für mich. Ich habe das niemals gesagt (und auch niemals gemeint).  

Um den Schaden zu begrenzen, erwarte ich daher, daß Sie Ihre Behauptung in der nächsten Ausgabe von KONKRET richtigstellen. Um uns weiteren Ärger in dieser Form zu ersparen, möchte ich den entsprechenden Text vor dem Abdruck lesen.  

Ich hoffe, daß diese Auseinandersetzung nicht seinen Schlußpunkt in einer anwaltlich durchgesetzten Gegendarstellung finden muß das ist nicht mein Stil und kein Umgang unter Linken, den ich vorantreiben möchte. Diffamierung und Zynismus sollten allerdings auch von KONKRET selbst nicht mit politischer Kontroverse und Zuspitzung verwechselt werden. Daß es sich Ihre Zeitschrift leistet, in dieser Art und Weise mit eigenen Gastautorinnen umzugehen, finde ich doch sehr befremdlich.  

Ziemlich erbost  

Claudia Roth
 

*
 

Sehr geehrte Frau Roth,  

es ist, ich weiß, manchmal ärgerlich, mit den (polemisch zugespitzten) Konsequenzen eigener Äußerungen konfrontiert zu werden, aber zutreffend bleibt die in meiner Kolumne aus Ihren Erklärungen gegenüber der »Tageszeitung« und im Pressedienst der Grünen (Nr. 179/92) gezogene Quintessenz doch.  

Sie hatten im Verein mit Herrn Lippelt vorgetragen, in Bosnien müßten »unmittelbar alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen werden«. In der »zentralen Frage der Form der Intervention« befänden Sie sich in einem »Dilemma«, weil sie »militärische Lösungen prinzipiell« ablehnten. »Ethnische Bereinigungen, Internierungslager und archaische Gewalt« aber seien »klare Bestandteile des Faschismus« und da gelte: »Faschismus muß widerstanden und bekämpft werden. Unter klaren Voraussetzungen, notfalls mit Gewalt.« Es »müssen diese Banden entwaffnet, ihre Anführer und Hintermänner... zu Kriegsverbrechern erklärt und international geächtet werden. Die Vorgänge in Bosnien machen die Notwendigkeit deutlich, internationale quasi ›polizeiliche‹ Eingriffsmöglichkeiten zu haben und werfen die Frage auf, inwieweit eine demokratisierte Uno ein Gewaltmonopol ausüben darf und muß, um ihre Glaubwürdigkeit im Eintreten für Friedenserhaltung und Konfliktlösung wiederzuerlangen.«  

Also doch und trotz aller Verklausulierungen: Intervention gegen die Serben in Bosnien, mit allen Mitteln, notfalls mit Gewalt; daß auch Sie sich die »quasi polizeilichen« Eingriffe nicht als solche mit Schlagstock und Handschellen gedacht haben können, erlaubte und erlaube ich mir vorauszusetzen. Ergo: mit Bomben und Granaten. Oder?  

Woher hätte ich wissen sollen, daß Sie sich so richtiggehend mißverstanden fühlten? Das interne Schreiben, in dem Sie das Ihrer Presseerklärung entgegengebrachte Verständnis dementierend bestätigt haben, konnte ich nicht kennen. Dort lese ich jetzt: »Selbstkritisch muß ich feststellen, daß ich es bisher nicht ausreichend geschafft habe, die unterschiedlichen Fragen voneinander zu trennen, nicht funktionalisiert zu werden oder mich funktionalisieren zu lassen für militärische Planspiele... und stattdessen die für mich zentrale Frage der Befreiung der Lager und den Kampf gegen die ethnischen Säuberungen... in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zu stellen. Im konkreten Fall, aber auch perspektivisch für andere Konfliktherde.« Hätte ich diese Zeilen gekannt, hätte ich Ihnen geraten, sich nicht allzusehr zu grämen – denn was Sie bisher nicht geschafft haben, das werde keiner schaffen: Die Frage nach militärischen Einsätzen in diesem und jedem anderen Konfliktherd zu stellen und mit den dazu erforderlichen militärischen Planspielen nichts zu tun haben zu wollen. (Über die »demokratisierte Uno« lachen wir zwei alten Linksradikalen ein andermal wieder.)  

Um uns »weiteren Ärger in dieser Form zu ersparen«, schlage ich vor, Ihr gegendarstellendes Schreiben und meine richtigstellende Antwort, die sie hier vor dem Abdruck lesen können, in der nächsten Ausgabe von KONKRET zu veröffentlichen.  

Hermann L. Gremliza
 

*
 

Sehr geehrter Herr Gremliza,  

Sie sind zweifellos brillant, wenn es um Zuspitzung geht, besonders wenn sie polemisch ist. Nur – es ist ärgerlich, schädlich und mir zunehmend unverständlich, wenn der polemischen Zuspitzung die inhaltliche Grundlage fehlt. Es ist nun mal ein großer Unterschied zwischen einer Interpretation aus Ihrem Blickwinkel und dem was ich tatsächlich gesagt habe.  

So manches Mal wäre weniger Polemik dafür aber die solidarische kontroverse Auseinandersetzung mehr – gerade und vor allem im Umgang mit Linken.  

Also: Erstens war ich nie Fundamentalpazifistin! (El Salvador/Südafrika/Kurdistan...) Zweitens habe ich nie gesagt, daß auf die Serben in Bosnien Bomben geworfen werden sollen.  

Mein Hintergrund für die Diskussion war der massive Beginn ethnischer Säuberungen, die Einrichtung von Todeslagern, die in ihrem Ausmaß größte Flüchtlingskatastrophe in Europa seit dem zweiten Weltkrieg und unsere vergleichsweise erschreckende Indifferenz und Distanz über das Drama »Jugoslawien«. Das muß, so meine ich, ins Zentrum der politischen Auseinandersetzung gerückt werden. Gerade von linken Antirassisten und Antifaschisten. Die Debatte um »Jugoslawien« ist reduziert auf die Kontroverse um eine militärische Intervention. Die bitter notwendigen politischen, humanitären »Interventionsmöglichkeiten«, die bei entsprechendem politischen Willen der »Friedensstifter« eingesetzt werden könnten, bleiben marginal und bedeutungslos. Der Tod von tausenden Menschen auf der Flucht oder gefangen in Internierungslagern, die überleben könnten, wenn sie bei uns aufgenommen würden, wird billigend in Kauf genommen.  

Die Suche nach neuen Mitteln und Instrumenten des Eingreifens jenseits der klassischen Militärstrategie findet de facto nicht statt. Mittel, die eben nicht gleichzusetzen sind mit einem Krieg gegen ein Staatsvolk, beispielsweise den »Serben«, sondern die sich – quasi polizeilich – ausschließlich richten gegen Verbrechen und ihre festzumachenden Täter. Sie interpretieren und setzen gleich. Dadurch wird die Debatte nicht konstruktiv vorangetrieben, sondern populistisch zugespitzt und polarisiert.  

Unumstritten ist, daß von deutschem Boden nie mehr Krieg ausgehen darf. Die sog. Normalisierung des deutschen Status, was meint, das wiedererstarkende Großmachtdeutschland mit militärischer Eingreifmöglichkeit in der Welt darf es nicht geben. Also, keine Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik – auch nicht über das Hintertürchen Jugoslawien.  

Die Analyse über die völlig undemokratische Struktur der Uno, über ihren groben Mißbrauch im Sinne und Interesse der Träger der »Neuen Weltordnung« und deren Anteil am Konflikt in »Jugoslawien« ist richtig, nötig und muß vertieft werden. Hinweise finden sich u.a. im Memorandum SOS Rutschgefahr, das eine gute Grundlage bietet, für die von uns zu führende Diskussion über eine zukünftige solidarische Weltordnung.  

Aber weil in der Zwischenzeit trotzalledem in Lagern Menschen zu tausenden getötet werden, weil die sich ausweitenden ethnischen Säuberungen und rassistischen Homogenisierungsprogramme unvorstellbare Opfer fordern, weil ein Völkermord an Moslems im Gange ist, weil Massenvergewaltigungen an Frauen und jungen Mädchen eine besonders widerliche Form dieses Krieges sind, reicht es nicht aus, sich mit der richtigen Analyse zu begnügen, sondern ist es aus meiner Sicht eben auch unsere Aufgabe, nach Mitteln zur Beendigung des Leidens zu suchen.  

Angesichts des tobenden Krieges und herrschenden Unrechts will ich mich nicht zufriedengeben mit der resignativen Einsicht, die »Austrocknung« des Konflikts sei der einzig gangbare Weg, daß es in vielen Ecken dieser Erde z.T. schon seit Jahrzehnten schreckliche Konflikte ohne Lösungsperspektive gibt und daß Voraussetzung für jedes Handeln die abgeschlossene Reform und Demokratisierung der Uno sei.  

Rassismus, Neofaschismus, Antisemitismus, Sexismus und Fremdenhaß erleben eine unbeschreibliche Renaissance. Es reicht nicht aus, vor der Wiederkehr des Vergangenen zu warnen, sondern wir brauchen endlich die notwendige Beschäftigung mit den ideologischen Grundmustern, mit den Bedingungen und Zusammenhängen, in denen sie entstehen, um wirklich etwas dagegensetzen zu können.  

Es ist unsere Pflicht hier bei uns anzufangen, aber es ist auch unsere Aufgabe, Rassismus und faschistische Entwicklungen überall auf der Welt zu bekämpfen.  

Die Verbrechen der Nazis können nicht durch Vergleiche relativiert werden. Aber gerade wir dürfen durch die Unvergleichlichkeit des deutschen Nationalsozialismus nicht die Gefahr laufen, stumm zu werden gegenüber anderem Unrecht, das heute passiert. Genau in dieser Auseinandersetzung stellt sich für mich auch die Frage nach historisch verantwortlichem Verhalten.  

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, dies bleibt eine grundlegende Maxime, gerade weil die Realität sich heute in erschreckender Weise entgegengesetzt zu entwickeln scheint.  

Der Zusammenbruch der Blockkonfrontation hat ja nicht – wie viele von uns erwartet und gehofft haben – die »Friedensdividende« freigesetzt und politische Freiräume für ihre soziale und ökologische Investition geschaffen. Im Gegenteil, wir erleben weltweit eine Art Explosionswelle regionaler, nationalistischer und ethnischer militärischer Konflikte, die teilweise bereits in eine rassistische systematische Ausrottungspolitik münden.  

Diese Entwicklung stellt dringend die Frage nach den Antworten des politischen Pazifismus auf die Orgien rassistischer Gewalt. Es stellen sich heute eben gleichzeitig die Fragen nach sofort wirksamen Gegenmaßnahmen und nach langfristigen Konzepten der internationalen Konfliktregulation. Die Frage der Gewalt darf dabei kein Tabu sein, ebensowenig wie sie es bei der Solidarität mit antikolonialen Befreiungskriegen oder bei der politischen und moralischen Rechtfertigung des Widerstands und des militärischen Kampfes gegen die Hitlerdiktatur war. Wir müssen uns den entstandenen ethnischen und politischen Dilemmata zwischen den Erfordernissen des Pazifismus, des Antirassismus und des Antifaschismus als Maximen unserer Politik offensiv stellen. Wir dürfen es nicht der Rechten überlassen sie – dann natürlich in eindeutiger politischer Absicht – gewißermaßen gegen uns zu thematisieren.  

Die Herstellung eines globalen kapitalistischen Weltmarktes, die »Inwertsetzung« und Vernutzung der globalen Ressourcen in noch vor zwanzig Jahren kaum vorstellbaren Dimensionen, die damit verbundene Globalisierung grundlegender gesellschaftlicher und ökologischer Probleme, erfordert heute zwingend Konzepte für eine globale Politik. Darum ist die Debatte über eine ökologisch solidarische und demokratische Uno-Reform ein entscheidender Schritt auch für die Formulierung einer »linken« Außenpolitik.  

Lieber Hermann Gremliza, ich hoffe wirklich sehr, daß Sie an dieser Debatte interessiert sind und dazu beitragen und sie nicht für überflüssig und lächerlich erachten.  

Ich erinnere in diesem Zusammenhang gerade an das vehemente Engagement von KONKRET beim Golfkrieg.  

Auf gute gemeinsame Zeiten  

Ihre Claudia Roth
 

*
 

Sehr geehrte, liebe Frau Roth,  

so manches Mal wäre weniger Polemik dafür aber die solidarische kontroverse Auseinandersetzung mehr – das ist schon schwer genug gesagt, um wieviel schwerer ist es getan. Ich will mich dennoch bemühen, die Debatte nicht lächerlich zu erachten.  

Und nehme also zur Kenntnis, daß meiner polemischen Zuspitzung die inhaltliche Grundlage fehlt, weil Sie erstens nie eine Fundamentalpazifistin waren, sondern im Gegenteil eine Pazifistin, die von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen lassen wollte und für die »Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus« eine grundlegende Maxime bleibt, und weil Sie zweitens nie verlangt haben, daß auf die Serben in Bosnien Bomben geworfen werden sollen, sondern nur nach »internationalen, quasi polizeilichen« Maßnahmen gerufen haben, die den »Völkermord an den Moslems« beenden sollen, wobei Gewalt kein Tabu sein dürfe.  

Sie wollen sich den entstandenen ethnischen und politischen Dilemmata zwischen den Erfordernissen des Pazifismus, des Antirassismus und des Antifaschismus als Maximen unserer Politik offensiv stellen und es nicht der Rechten überlassen sie – dann natürlich in eindeutiger politischer Absicht – gewissermaßen gegen uns zu thematisieren. Aber wie immer, wenn etwas mit dem Vorsatz unternommen wird, es nicht der Rechten zu überlassen, kommt nur was Rechtes heraus: Wie der »FAZ«-Herausgeber Reißmüller setzen Sie »Jugoslawien« in die Anführungszeichen, die Titos friedlichen Vielvölkerstaat, auch »Völkergefängnis« genannt, aus dem Gedächtnis und zugleich aus Konzepten für die Zukunft streichen sollen; wie bei Reißmüller und allen andern finden »Völkermord« und »Massenvergewaltigungen« auch bei Ihnen nur »an Moslems« statt; wie die völkischen Krawallpolitiker Schwarz und Zülch die Serben in die Nachfolge der Nazis rücken, um ihr Verlangen nach einem Krieg gegen sie als Lehre aus der NS-Vergangenheit kostümieren zu können, adeln auch Sie die Forderung nach einem quasi polizeilichen Einsatz gegen die serbischen Völkermörder und Massenvergewaltiger zu einem Gebot des Antifaschismus.  

Während der undeutsche Rest der Welt weiß, wer diesen Krieg verbrochen, wer die jahrzehntelang ganz vernünftig zusammenlebenden Völkerschaften auseinandergetrieben und aufeinandergehetzt hat, und sich deshalb weigert, zusammen mit den deutschen Verbrechern dieses Kriegs oder doch auf ihr Kommando gegen eine der drei völkischen Mörderbanden, die serbische, und zugunsten der beiden andern, der offen faschistischen kroatischen und der nicht viel besseren bosnischen, mit Bomben und Granaten quasi polizeilich dreinzuschlagen, diskutieren deutsche Linke über neue Mittel und Instrumente des Eingreifens – nicht gegen das »Staatsvolk« der Serben natürlich, sondern bloß gegen »die Verbrechen und ihre festzumachenden Täter«, die leider, was können wir dafür, alle Serben sind.  

Wodurch aber, glaubt man, fühlt sich diese Linke zu solch kongruentem neuen Denken legitimiert? Dadurch, daß der Zusammenbruch der Blockkonfrontation ja nicht – wie viele von uns erwartet und gehofft haben – die »Friedensdividende« freigesetzt und politische Freiräume für ihre soziale und ökologische Investition geschaffen hat, sondern wir, im Gegenteil, weltweit eine Art Explosionswelle regionaler, nationalistischer und ethnischer militärischer Konflikte erleben, die teilweise bereits in eine rassistische systematische Ausrottungspolitik münden, und diese Entwicklung dringend die Frage nach den Antworten des politischen Pazifismus auf die Orgien rassistischer Gewalt stellt.  

Sollte, wer politischen »Zusammenhängen« sich zurechnet, die vom Zusammenbruch der Blockkonfrontation eine Friedensdividende und politische Freiräume für ihre soziale und ökologische Investition erwarten, also gerade ihre vollständige Unfähigkeit zu einfachstem politischen Denken nachgewiesen haben, sich einem Polemiker, der für das Ende der Blockkonfrontation weltweit eine Explosion nationalistischer und rassistischer Konflikte und Kriege vorhergesagt hat, nicht lieber lernend als belehrend nähern? Und sollte, wer dem Polizei-Chor der Reißmüller, Rosh, Schwarz, Zülch, Quistorp und des ganzen Rests eine leicht dissonante Zweitstimme zusummt, nicht darauf verzichten, mich des Populismus zu verdächtigen? Was meinen Sie, Frau Roth?  

Ihr Hermann L. Gremliza