Petite Bourgeoisie

Bei Elon Musk, dem Daniel Düsentrieb des Spätkapitalismus, handelt es sich um ein besonders anschauliches Exemplar einer neuen Kapitalistenklasse. Ein Beitrag von Lars Quadfasel aus konkret 6/21

Eine der trostlosesten Eigenschaften der aktuellen Kapitalistengeneration ist ihr Weltverbesserungsfimmel. Statt die Lohnabhängigen einfach auszubeuten, wollen sie partout auch noch deren Probleme lösen; und im Gegenzug erwarten sie nicht nur deren Arbeitskraft, sondern auch ihre Dankbarkeit. Kein Treffen der globalen Eliten, auf dem man sich nicht den Kopf zerbräche über die großen Herausforderungen der Menschheit; kein multinationaler Konzern, der nicht stolz Empowerment-Initiativen für die Ausgebeuteten und Entrechteten auf den Weg brächte; keine Investmentbank, die ihren Nachwuchs nicht mit dem Versprechen rekrutierte, nirgends könne man effektiver den Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit führen als ausgerechnet bei ihnen; keine Technoklitsche, die nicht im Dienste der weltweiten Wissensnetzwerke unterwegs wäre.

Die irre Vorstellung, dass ausgerechnet die Verursacher des kapitalen Elends dazu prädestiniert seien, dessen Folgen zu bewältigen, ist nicht zuletzt ein Produkt der neoliberalen Mythologie, der zufolge der »private Sektor« soviel produktiver, dynamischer und innovativer sei als die öffentliche Hand, weswegen die Privatisierung aller Staatsaufgaben gar nicht schnell genug gehen könne. Aber eben nicht nur. Sie verweist auch auf einen Wandel in der Charakterologie der herrschenden Klasse.

Jedes Akkumulationsregime hat seine je eigene Physiognomie: Fürs frühkapitalistische Handelskapital steht archetypisch der Freibeuter, für den Industriekapitalismus wiederum die Hackfresse, deren hervorstechende Eigenschaften – Zähigkeit, Skrupellosigkeit und eine Prise Paternalismus – sich, ob mit Schmiss oder ohne, tief in die Gesichtszüge eingegraben haben. Intelligenz, die ja stets in Selbstbesinnung umzuschlagen droht, steht bei diesem Typus dementsprechend wenig hoch im Kurs.

Darin besteht der wohl prägnanteste Unterschied zur neuen Garde der Tech- und Finanzmilliardäre. Diese bilden die Avantgarde jenes quirlig-kreativen Milieus, für das Pierre Bourdieu den Begriff der petite bourgeoisie nouvelle schuf: neues Kleinbürgertum ganz groß. Und sei es, weil in dieser Schicht der Bildungsgrad traditionell höchste Wertschätzung genießt; sei es, weil die spezifische Tätigkeit – man tippt den lieben langen Tag Zeichen in den Rechner und hinterlässt dabei doch höchst folgenreiche Spuren in der Welt – dazu angetan ist, magische Phantasien von der Allmacht der Gedanken zu nähren; sei es schließlich, weil man, um mit Mikrotechnologie oder Derivatenhandel reich zu werden, wirklich ein wenig von Mathematik und ihren Nachbarwissenschaften verstehen muss – die neue Gattung der Superreichen jedenfalls sieht sich gerne als Universalgenies, ohne deren strategische Brillanz die Welt einfach nichts auf die Reihe bekommen wird. Statt das Gemeinwohl der guten alten unsichtbaren Hand zu überlassen, erklärt man es zu seiner ureigensten Angelegenheit; und statt, wie die Mäzene früherer Tage, Almosen für die Kopfarbeiter bereitzustellen, legen die Philanthrokapitalisten von heute gleich selber Hand an.

Der daraus resultierende Sozialtypus ist der des Nerds, in dem sich der Eigenbrötler und der Streber überlagern. Sein bekanntester Repräsentant heißt Elon Musk, Gründer und/oder Mehrheitsaktionär der Firmen Tesla (Elektroautos), SpaceX (Raumfahrt), Neuralink (Gehirnimplantate) und Paypal sowie nach jüngsten Schätzungen entweder der reichste oder, nach Amazons Jeff Bezos, zweitreichste Mensch der Welt. Um ihn rankt sich ein regelrechter Kult: Als Tesla 2019 ankündigte, ein Autowerk in Brandenburg zu errichten, überschlug sich die Bürgerpresse vor Begeisterung, mit zahllosen Artikeln der Machart »Was die deutsche Politik von Musk lernen kann«. Das meistbenutzte Wort war in diesem Zusammenhang »Visionär«. Denn Musk will schließlich den Klimawandel stoppen und den Mars kolonisieren und die Gehirne direkt miteinander verdrahten – all das nicht in ferner Zukunft, sondern voraussichtlich übermorgen. Muss man soviel Ambition nicht einfach Bewunderung zollen?

Tatsächlich haben, so sagen es jedenfalls die Leute vom Fach, sowohl Tesla als auch SpaceX einige elegante Lösungen für komplizierte technische Probleme in der Auto- und Raketenproduktion gefunden. Aber von Musks vollmundig proklamierten Zielen sind sie eher weit entfernt. Statt mit dem Bau von Marsstationen ist man bislang damit beschäftigt, die Raumsonden überhaupt heil zum Landen zu bringen; und erst kürzlich starben wieder zwei Menschen in einem von Teslas Beta-Modellen, weil sie die Reklameformel vom »selbststeuernden Auto« etwas zu ernst genommen hatten.

Genau darin aber zeigt sich der strategische Nutzen all des futuristischen Getöses. Es sorgt nicht nur für permanente kostenlose Reklame und befeuert damit die Aktienkurse (Tesla ist, nach Ansicht der Börse, um ein Mehrfaches wertvoller als Toyota oder General Motors, obwohl das Unternehmen nur einen Bruchteil von deren Umsätzen verzeichnet). Es erlaubt den Verantwortlichen auch, über Fragen des Arbeitsrechts und der staatlichen Sicherheitsauflagen großzügig hinwegzusehen. Wen kümmern schon solche Kinkerlitzchen, wenn es um die Zukunft der Menschheit geht?

So zahlt das Tesla-Werk in Kalifornien, dem Stammsitz des Konzerns, knapp die Hälfte des Stundenlohns, der bei anderen Autoherstellern üblich ist, liegt aber bei den Arbeitsunfällen deutlich über dem Durchschnitt. Musk selbst wurde sowohl wegen illegaler Antigewerkschaftspraktiken als auch wegen versuchter Kursmanipulation gerichtlich verurteilt – beides freilich ohne deutliche Konsequenzen. Ihn dauerhaft seines Amtes als CEO zu entheben, so das Gericht, würde Tesla unverhältnismäßigen Schaden zufügen; Genies muss man mit Nachsicht behandeln. (Natürlich hat Tesla auch in Brandenburg mit dem Bau seiner Fabrik begonnen, bevor überhaupt eine Baugenehmigung vorlag, und natürlich gehört das laut Presse zu genau dem innovativen Auftreten, von dem die verknöcherten Politiker sich ruhig mal eine Scheibe abschneiden sollten.)

Musk ist, was herauskommt, wenn die Planung des Gemeinwesens größenwahnsinnigen Plutokraten überlassen wird. Das gilt ganz unmittelbar materiell: Dass Tesla, seit seiner Gründung 2003, über 15 Jahre hinweg rote Zahlen schreiben konnte, liegt nicht bloß am Gottvertrauen der Börse, wo Investoren noch jedem, der sie mit Techno-Gebrabbel umschmeichelt, Geld hinterherschmeißen, aus Angst, das nächste Apple oder Microsoft zu verpassen. Es liegt auch am Geschick, mit dem sich das Unternehmen satte fünf Milliarden Dollar an staatlichen Subventionen zusammenschnorren konnte. Und selbst jetzt, wo man endlich Gewinn macht, beruht dieser ganz wesentlich auf staatlichen Weisungen: Weil Tesla als Hersteller von Elektroautos Kaliforniens Umweltrichtlinien einhält, kann das Unternehmen an die Konkurrenten Emissionspakete verkaufen – ohne die hätte es auch 2020 kein Plus gegeben. Das nennt sich dann marktwirtschaftliche Lösungsstrategien für den Klimawandel.

Dass Musk, während Tesla die Staatsknete einstreicht und SpaceX als Lieblingspartner der Nasa die Konkurrenz aussticht, gleichzeitig in einem fort via Twitter über die Tyrannei staatlicher Auflagen zetert, mutet manchem dann doch etwas dreist an. Freilich nicht allen. Lange galt Musk – in den USA wie hierzulande, wo Renate Künast im Tesla zum Wahlkampf vorfährt – als Hätschelkind der Linksliberalen. Die Tiraden aber, im Verbund mit ein paar halbgaren Covid-Verschwörungstheorien und der öffentlichen Ankündigung, seinen Wohnsitz der Steuern wegen von Kalifornien nach Texas zu verlegen, haben inzwischen auch die Konservativen, die ihn noch vor wenigen Jahren als »loser« und »welfare queen« (zu deutsch etwa: Wohlfahrtsschlampe) verhöhnten, dazu veranlasst, ihn als einen der ihren ins Herz zu schließen. Seither firmiert er etwa im »Babylon Bee«, einem Webmagazin für das, was Rechte so für Satire halten, als Heros, der dem tumben Nichtsnutz Staat zeigt, was eine Harke ist.

Ganz falsch liegen sie damit nicht. Das eigentliche Erfolgsgeheimnis, mit dem Tesla sich am Automarkt etablieren konnte, ist schließlich keine Frage der Technik, sondern des branding: das Elektroauto vom Ruch des »Alternativen« befreit zu haben. Die Luxuskarossen, die Musk bauen lässt, verleihen dem solventen Kunden das beruhigende Gefühl, weiterhin im fetten Schlitten den dicken Max markieren zu können, nur jetzt sogar mit ökologisch gutem Gewissen.

Das ist durchaus sinnbildlich für den Muskschen Futurismus. Aus dessen vielbestaunten Zukunftsentwürfen sticht vor allem eines hervor: dass alles so weitergehen wird wie bisher. Die Menschheit wird sich zur interplanetarischen Spezies entwickeln, aber die große Utopie der Marskolonisierung besteht in nichts als einem System anarchokapitalistischer Enklaven, in denen weniger betuchte Neuansiedler ihre Reisekosten großzügigerweise abarbeiten dürfen. Die Tristesse ist Programm. Denn Musk ist überzeugt davon, dass es der Menschheit bald an den Kragen geht: wenn nicht durch den Klimawandel, dann durch (auch so eine rechte Spezialobsession) maschinelle artificial intelligence, die die Spezies unweigerlich als dumm und unverbesserlich ausmerzen wird. Besser also, man bringt die Elite sicher auf dem Nachbarplaneten unter – oder gleich per Gehirnimplantat auf die notwendige Höhe. Mehr steht, ist die Zukunft der Gattung erst einmal privatisiert, wohl nicht zu erwarten.

Die apokalyptische Erwartung ist freilich nicht allein der Verachtung des Titanen für den Pöbel geschuldet. Es spricht aus ihr auch, bewusst oder nicht, eine Ahnung von der Fragilität der eigenen Lage. Das ganze Bohei um den Visionär Musk entstammt ja nicht zuletzt der Sehnsucht einer Gesellschaft danach, dass ihre hellsten Köpfe anderes und Besseres mit sich anzufangen wüssten, als Algorithmen zu programmieren, die Aktien in Millisekunden transferieren oder Nutzer Sozialer Medien zu noch mehr Klicks animieren; dass irgend jemand dem irren Treiben endlich wieder handfest Sinn verleiht. Nicht die technologischen Innovationen also sind es, die Teslas Aktienkurse, und damit auch Musks Privatvermögen, im vergangenen Jahr in die Höhe trieben, sondern deren Idee: nicht die materielle Produktion, sondern das Versprechen, welches die Leute in ihr verkörpert sehen und das sie fürstlich zu entlohnen bereit sind. Musks wahres Geschäft ist nicht die Ingenieurskunst, sondern das Showbiz. Als solches aber steht und fällt es mit der Bewunderung durch die Fans.

Das erklärt nicht zuletzt Musks selbst für einen Exzentriker bizarre Präsenz in den Sozialen Medien. Nichts armseliger, als mitzuerleben, wie ein Multimilliardär namenlosen Twitternutzern ihre Memes stiehlt und als die eigenen ausgibt, nur um ein paar zusätzliche Likes einzuheimsen. Aber es beweist auch, wie sehr Musk insgeheim ahnt, worauf sein Reichtum beruht. Naheliegend daher, denen, die ihn als Genie verehren, entgegenzuhalten, in Wirklichkeit handele es sich bloß um einen Windbeutel. Naheliegend, aber doch falsch. Denn der Windbeutel ist exakt die Gestalt, die das Genie unter den Bedingungen des Spätspätkapitalismus annimmt.

Lars Quadfasel schrieb in konkret 5/21 über die Sprachlosigkeit der Linken in Zeiten der Pandemie