Die Liebe frisst das Leben

Kino aktuell

Die Liebe frisst das Leben

"Die Liebe frisst das Leben" ist ein intimes Porträt von Tobias Gruben, dem früh verstorbenen Sänger und Texter von Die Erde, das sich von anderen Filmen über Musiker abhebt. René Martens hat den Film, der heute um 20 Uhr als exklusive Online-Premiere unter www.bastalk.de zu sehen ist, im aktuellen Heft besprochen.

Regie: Oliver Schwabe; Deutschland 2019 (Mindjazz Pictures); 92 Minuten; ab 23. April im Kino (Verschiebung möglich)

Manche Superlative haben ambivalenten Charakter. Die Behauptung, Tobias Grubens Text für den mit der Band Die Erde II aufgenommenen Song »Heroin« sei einer der eindrücklichsten, die jemals über Drogen geschrieben wurden, ist so einer. Das Heroin ist hier gewissermaßen die erste Person: »Du weißt, dass ich’s gut mach / Und du weißt jetzt, was du tust / Wenn du mich in dein Blut machst«, singt Gruben. »Ist da noch Platz hier auf deinem Arm? / Sonst gehe ich auch gern in dein Bein rein.« Aufgenommen hat er den Song 1996, im folgenden Jahr starb er an einer Überdosis.

Dieser Song rahmt »Die Liebe frisst das Leben«. Zu Beginn des Dokumentarfilms ist eine »Heroin«-Interpretation des Messer-Sängers Hendrik Otremba zu hören, am Ende eine der Band Isolation Berlin. Sie gehören zu einer Reihe von Musikerinnen und Musikern, die noch Kinder waren, als Gruben starb, und hier nun Songs von ihm und seinen Bands spielen. Ihre Versionen bringen deutlich zum Vorschein, dass es diese Stücke verdient gehabt hätten, heute als Klassiker zu gelten. Einmal sitzt der Leipziger Timm Völker auf dem Rücksitz eines Vans und singt »Leben den Lebenden«, einen der bekanntesten Die-Erde-Songs. Das Auto fährt dabei durch das Hamburger Karolinenviertel, in dem Gruben gewohnt hat.

Neben diesen Performances gibt es ein weiteres Strukturelement, das dieses intime Porträt von anderen Filmen über Musiker abhebt. Regisseur Oliver Schwabe greift auf von den Schauspielern Robert Stadlober und Gustav Peter Wöhler gelesene Briefe von Familienmitgliedern zurück. Der verstörendste stammt von Tobias’ 2003 verstorbenem Vater Gottfried. Weil der in prekären Verhältnissen lebende Musiker eine Zeitlang Sozialhilfe bezog, ersuchte der Archäologieprofessor die zuständige Sachbearbeiterin, diese einzustellen. Sein Sohn führe »ein Lotterleben«, er solle »arbeiten gehen«. Dieser autoritäre Charakter wird so zu einer wichtigen Nebenfigur des Films.

Der verstorbene konkret-Autor Martin Büsser schrieb 1997 zu einer posthumen Gruben-Werkschau, der »Sog dieser dunklen, so nackt persönlichen Musik« sei so stark, »dass eine nachträgliche Verkultung zu befürchten ist«. Dazu ist es nicht gekommen. Heute ist Gottfried Grubens Wikipedia-Eintrag umfangreicher als der von Tobias, für dessen Musik der Vater nie ein Wort der Würdigung gefunden hat.

René Martens