LK 4

literatur konkret Nr. 4

Der widerborstige Horst Tomayer hat uns den Vorschlag gemacht, dieses vierte Heft von LITERATUR KONKRET unter das Titelthema zu stellen: »Die Problematik des nicht inhaftierten Schriftstellers«. Der Stimmung in diesem bundesdeutschen Buchherbst hätte es entsprochen - der Wut auf den Kulturrevolutionär der späten Sechziger, der in den späten Siebzigern als feuilletonistischer Fuffziger über die Seufzerbrücke schreitet, wie jener grassierenden Verantwortungslosigkeit, die nur noch für die Pointe lebt. Aber so lange Peter Paul Zahl seine Literatur ganz konkret im Knast schreiben muß, wohin ihn ein bis heute unerschütterbares Terror-Urteil gebracht hat, muß Tomayers Einfall warten.  
 
Die neueste Stimmung im Westdeutschen ist dennoch Thema dieses Heftes: Die Selbstverständlichkeit, mit der die Couturiers jeglicher neuen Mode ihre gestrigen Dessins der Caritas überlassen; die Chuzpe, mit welcher die bürgerlichen Großkritiker ihr hundertmal bankrottes Gewerbe betreiben; die Routine, mit der eben noch gefeierte Schriftsteller zu Schreibwaren-Produzenten degradiert werden, wenn sie nicht mehr in den politischen Auftrag passen.  
 
Titelthema jedoch ist etwas Neues und - trotz alledem - Erfreuliches. Die Zweitausendeins-Kultur, Erfolg und Wirkung des vor zehn Jahren als Secondhand-Vertrieb gestarteten Unternehmens, das heute hunderttausende Kunden hat und Läden in neun Großstädten der Bundesrepublik betreibt, das Bücher zu Bestsellern macht, die den anspruchsvollen Verlagen zu anspruchsvoll geworden sind, um rentabel zu erscheinen, das zugleich Edel-Kitsch vertreibt und eine US-Kultur importiert, auf die wir gerade noch gewartet haben. In einem Gespräch mit Autoren von LITERATUR KONKRET machte Hermann Peter Piwitt den Vorschlag, über Zweitausendeins unter der Überschrift zu berichten: »Ein zweischneidiges Ei«. (Hätten wir dann nicht über den Männlichkeitsautor Uve Schmidt schreiben müssen: »Zwei schneidige Eier«?) Jetzt heißt die Geschichte (von Hartmut Schulze) ganz rätselhaft »Rumpeldipumpel« (Seite 16).  
 
Bei Zweitausendeins erscheint in diesem Herbst auch ein Buch, das in LITERATUR KONKRET nicht besprochen wird - aus uns zu naheliegendem Grund: Hermann L. Gremlizas gesammelte Lehrlingsstücke unter dem Titel »Was Gabriele Henkel alles mit der Hand macht«. 

Inhalt

Editorial

BEIM LESEN NEUER GEDICHTE von Volker von Törne
 
TERZINE von Volker von Törne
HANS MAGNUS ENZENSBERGER ZUM FÜNFZIGSTEN
 
Bemerkungen zum Sportjournalismus von Peter Bichsel
Von der Verantwortungslosigkeit der Leser und Autoren gegenüber den Literaturkritikern
 
»Zehn Jahre Kulturrevolution« von Peter Hamm
Es ist gerade zehn Jahre her, daß sie in Mannschaftsstärke die Literatur totgesagt haben. LITERATUR KONKRET befragte die bekanntesten Leichenbestatter von damals. Die meisten schwiegen beredt. Nur zwei antworteten
 
»Zehn Jahre Kulturrevolution« von Michael Schneider
Es ist gerade zehn Jahre her, daß sie in Mannschaftsstärke die Literatur totgesagt haben. LITERATUR KONKRET befragte die bekanntesten Leichenbestatter von damals. Die meisten schwiegen beredt. Nur zwei antworteten
 
Die Rede des vom Zuschauen erregten Gallistl vom Fernsehapparat herunter, daß es keine Wirklichkeit geben dürfe von Martin Walser
 
Pumpeldipumpel von Hartmut Schulze
Piwitt meint im »Spiegel«, Zweitausendeins sei »infiziert von dem, was man ruhigen Gewissens 'amerikanischen Kulturimperialismus' nennen kann«. Aber was ist mit dem Dorfjungen auf dem Moped, der sich da nicht nur die »Dire Straits«, sondern auch das beste Lehrbuch über den Faschismus kauft
 
UNSER DICHTER von Volker von Törne
 
Big Daddy is watching you von Karin Huffzky
Ist es die Angst vorm Abgesang auf den Mann, die Bukowski bei uns so beliebt gemacht hat? Der US-amerikanische Freak in den Augen einer Feministin
 
»Die Ausschlüsse waren der gewünschte Endpunkt« von Hermann Kant, Hermann L. Gremliza
Ein LITERATUR KONKRET-Interview mit Hermann Kant, dem Präsidenten des Schriftstellerverbandes der DDR / Von Hermann L. Gremliza
 
Die EVA ist tot, es lebe die EVA von Frank J. Heinemann
Wie es der mächtige DGB schaffte, seinen einzigen Buchverlag erst zu kastrieren und dann abzuschieben
 
Heiner Müllers »Endspiele« von Michael Schneider
Vom aufhaltsamen Abstieg eines sozialistischen Dramatikers
 
Identifikation von Walter Boehlich
Eine Biografie gibt oft ein erstaunlich gutes Bild von dem Biografen: Hier Gerhard Zwerenz (Tucholsky) und Barthold C. Witte (Niebuhr)
 
Ein unordentliches, schlampiges, unzuverlässiges Buch von Walter Boehlich
Ein Geschichts-Taschenbuch will zeigen daß alle auf Hitler »hereingefallen« sind
 
Säuberungsbuchkunst von Claudia Wolff
Einst bei Hitler, jetzt bei Springer: Albert Speer stattet aus. Bemerkungen zur jüngsten Neu-Inszenierung
 
Der Farbrikaffe und die Bäume von Tommaso di Ciaula
Leseproben aus dem Wagenbach-Taschenbuch 51
 
Der Fortschritt und die Tränen beim Schreien der Frösche von Hermann Peter Piwitt
Ein apulischer Bauernsohn, Kommunist, wird ins »stählerne Labyrinth der Fabrik« gesteckt. Er sinnt auf Ausbruch
 
Die entwaffnete Sinnlichkeit von Ludwig Fels
1950 starb in London der Wiener Dichter Albert Ehrenstein - »eine Alarmsirene, die von den Rüstungsexperten geschlachtet wurde«
 
Eine Untergrundkarriere von Ursula Krechel
Apo 1970 in Berlin: Mama und ihre drei Söhne drehen arbeitsteilig Dinger. Das ist die Rahmenhandlung von Peter Paul Zahls neuem Roman, in dem er mit seinen Zensoren Katz und Maus spielt
 
Hoffen auf Rühmkorf von Michael Zeller
 
BLEIB ERSCHÜTTERBAR UND WIDERSTEH von Peter Rühmkorf
 
Was nicht im linken Regelbuch steht von Klaus Wagenbach
Als Kolumnist hat Peter Bichsel der Versuchung widerstanden, Mitgliedsbücher zu verteilen
 
Das spannende Spiel der Silhouetten von Roland Lang
Der Österreicher Michael Scharang hat einen spannenden Kriminalroman geschrieben. Aber er hat nicht nur das gewollt
 
Bei den neuen Indianern von Günter Herburger
Während Reinhold Messner auf den K 2 stieg, war Ernst Alexander Rauter als westdeutscher Gast-Arbeiter in Sibirien
 
Der Mönch in der Lederjacke von Christoph Buchwald
Die Erinnerungen eines ehemaligen linken Geheimbündlers als Distanzierungs- und Trauerarbeit
 
Fegefeuer in Beirut von Hugo Dittberner
Nicolas Born hat einen Kriegsroman geschrieben. Darin steht der Satz: »Der Sinn sollte zurückkehren, notfalls auch als schreiende Sinnlosigkeit«
 
Schöner reisen
 
Die Schlechten ins Kröpfchen von Stephan Reinhardt
Der Liedermacher F. J. Degenhardt macht es als Romancier seinen Lesern nicht leicht. Hat er sich es diesmal selbst zu leicht gemacht?
 
Eine Ruhrpott-Fabel von Manfred Behn-Liebherz
Max von der Grün hat einen neuen Roman geschrieben. In einem typischen Milieu, mit einem typischen Helden
 
Politische Lieder von Thomas Rothschild
 
Ich bin Kommunist von Thomas Rothschild
sagt Paul Elflein in seinen authentitischen Erinnerungen. Deswegen wird sein plastisches »Geschichtsbuch« wohl leider keins der vielen faden Schulbücher ablösen
 
Die Trümmer vieler Untergänge von Yaak Karsunke
Endlich hat man die Chance, zu erfahren, wer der Schriftsteller war, den Tucholsky einen »Großen« genannt hat: Walter Mehring
 
Lob des Laub von Winfried Thomsen
Auch was hinauffällt, geht häufig kaputt -ein Aphorismus, den Gabriel Laub zufällig noch nicht gedichtet hat. Oder doch?
 
Die große Föderation der Schmerzen von Uwe Timm
Wieder einmal ist es nicht einer der großen Buchverlage, der einen blinden Fleck des literarischen BRD-Sortiments sichtbar macht
 
Auf Teufel komm raus von Warner Poelchau
Die »Washington Post« sorgte sich um die »entsetzten Leser«, als der ehemalige CIA-Agent Philip Agee auspackte
 
Ein Branchenbuch deutschen Größenwahns von Henryk M. Broder
In Weimars letzten Jahren zog die SA auf, wenn Emil Julius Gumbel sprach. Die Nazis haben ihn ausgebürgert, ihre Testamentsverwalter haben ihn vergessen gemacht
 
Ein Klassiker wird recycled von Elmar Altvater
Drei Jahrzehnte nach seiner Erstveröffentlichung in den USA wird ein früher Theoretiker der Ökologie endlich aktuell
 
Sexuelle Folklore von Gunter Schmidt
1929 war es eine Sensation, 1979 ist es immer noch aktuell: Malinowskis »Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest-Melanesien«
 
Wider die sexuelle Ignoranz von Emma Moersch
Die Abteilung für Sexualwissenschaft des Klinikums der Frankfurter Universität präsentiert ihren jüngsten Forschungsstand
 
Affentiere und Menschenaffen von Martin Buchholz
Zu Lorenz' Graugänsen und Skinners Ratten packt Dieter E. Zimmer noch Wilsons Ameisen. Raus kommt ein stock-reaktionärer Evolutionismus, der uns erneut weismachen will, daß »wir die sind, die wir waren«
 
Die Verunsicherung der Staatsbürger von Bodo Zeuner
Literatur zum 30. Geburtstag der Bundesrepublik
 
Nichts ist vorbei von Paul Kersten
Günter Herburger hat seiner Tochter Anna Katrine einen Gedichtband gewidmet - Liebeserklärungen an »die Möglichkeiten unserer Geschichte«
 
Zehn Jahre danach: Männer schreiben zurück von Oskar Cöster
Die Frauenbewegung meldet: Erfolge allerorten. Und die Mannsbilder? Die haben nichts mehr zu melden. Die Anmache der Frauen hat offenbar nur eins bewirkt: Eine neue männliche Innerlichkeit, die zur »Krise des Mannes« allgemein degeneriert. Der starke Mann ist tot, der »neue« lebt noch nicht
 
Der Scharm ist vorbei von Ingrid Klein
In der Szene sind sie »in«: Anja Meulenbelt und die Geschichte ihres Sexuallebens, die ständige Suche nach dem verlorenen Unglück
 
Ich habe gelesen von Christoph Buchwald
Vier professionelle Leser empfehlen die ihnen wichtigsten Bücher des Jahres:
 
Ich habe gelesen von Peter Faecke
Vier professionelle Leser empfehlen die ihnen wichtigsten Bücher des Jahres:Leonardo Sciascia: »Die Affäre Moro«. Verlag AutorenEdition im Athenäum Verlag, 1979 160 Seiten, 14,80 Mark
 
Ich habe gelesen von Roman Ritter
Vier professionelle Leser empfehlen die ihnen wichtigsten Bücher des Jahres:
 
Ich habe gelesen von Klaus Wagenbach
Vier professionelle Leser empfehlen die ihnen wichtigsten Bücher des Jahres:
 
Ich habe gelesen von Kurt Neff
Vier professionelle Leser empfehlen die ihnen wichtigsten Bücher des Jahres:
 
Literatur des Exils von Werner Schartel
Schartel, Mitherausgeber der im Konkret Literatur Verlag erscheinenden Reihe »Bibliothek der verbrannten Bücher«, stellt die letzt erscheinenden Bände vor
 
Bilderbuch-Verschwörung von Peter Bichsel
Nur für und mit Kindern lassen sich Kaninchen aus dem Hut zaubern. Die Erwachsenen nennen es Betrug
 
Der Rote Elefant von Christiane von der Groeben, Ilse Michaelis
Christiane von der Groeben und Ilse Michaelis beide Mitglieder des »Roter Elephant Arbeitskreis Kinder - Bücher - Medien e.V.«, (s. a. Literatur KONKRET 3/1978) stellen eine Auswahl der Herbstproduktion von Kinder- und Jugendbüchern vor.
 
Ein Lichtblick von Thomas Rothschild
 
“Denkfaul, irrelevant, opportunistisch” von Hans Christoph Buch, Peter Schneider
Gespräch der Autoren Hans Christoph Buch und Peter Schneider über Kritiker und Kritik: »Auf die Phase des Existenzialismus folgte ein unverdauter Marxismus, die stereotype Frage nach der 'gesellschaftlichen Relevanz', und letzt sind wir wieder bei der 'existenziellen Betroffenheit' angelangt. Was im Rahmen philosophischer Systeme einen Sinn hatte, wird in den Feuilletons zur nichtssagenden Phrase plattgewalzt«