LK 13

literatur konkret Nr. 13

Nur eine Minderheit unter den europäischen Schriftstellern ist nicht bereit, für eine Fahrkarte und ein Honorar oder für einen Apfel und ein Ei Nonsense-Statements über ein x-beliebiges Thema abzugeben« (Wolfgang Pohrt in diesem Heft zum Westberliner Schriftstellerkongreß »Ein Traum von Europa«). Das Titelbild von LITERATUR KONKRET 1988 kontrastiert das neueste, bei X und Y beliebte Thema mit der Größe einer kleinsten Minderheit: Arno Schmidt. Er hielt dieses sagenhafte Europa für »das zerklüftete Westkap Asiens«, das man nur »vom Osten her ... entrümpeln« könne,  
und die Westeuropäische Gemeinschaft für einen Versuch, »einen leidlich konkurrenzfähigen Weltstaat zu gründen«.  
 
Beides geschieht nun: mit der Einführung des EG-Binnenmarkts einerseits, mit der Aktivierung östlicher Dissidenten für eine mitteleuropäische Kulturbewegung andererseits; mit Martin Bangemann und György Konrad: »Ob Europa untergeht oder nicht, das hängt nicht zuletzt auch von der europäischen Literatur ab.« Was es mit dieser auf sich hat, steht bei Schmidt: »Eine relative Öde unserer Literatur ist unleugbar... Dennoch sind auch bei uns zur Zeit 5 gute Leute vorhanden. (Freilich, wenn man Verlagsprospekten und Klappentexten trauen dürfte, besäßen wir durchschnittlich 3 Genies pro Quadratmeter.) Diese 5 stehen – und es ist an der Zeit, auch das einmal zu sagen – meist nicht in den Mitgliederlisten unserer Akademien oder des PEN; auch diese Institutionen versagen bei uns. Dreiviertel ihrer Angehörigen sind nur mit bewaffnetem Auge zu erblickende Talente... Die Situation ist, nebenbei bemerkt, in ganz Europa die gleiche.« Von einem, der um jedes Wort kämpfte (und mit seinem Verleger kämpfen mußte), über die vielen, die die Essays nicht halten können.  
 
Und darum, wenn, wie hier, von Literatur die Rede sein soll: Arno Schmidt statt Europa!  
 
Hinweis: Der Karl Kraus-Preis (Preisträger 1986: F. Raddatz; 1987: G. Wallraff) wird in diesem Jahr nicht verliehen. Grund dafür ist nicht ein Mangel an abschreckenswerten Talenten, sondern ein Übermaß an redaktioneller Arbeit, die dem Stifter des Preises keine Zeit zur Fertigung einer Preisrede ließ. 
 

Inhalt

Hitler Greiner Heller Wenders Hochhuth Boock u.a. von Wolfgang Pohrt

Statt nuklearem Holocaust konventioneller Zellenbrand, statt 60 Millionen Deutscher nur 6 verbrannte Ausländer, statt Weltuntergang Hellers »Feuertheater«. Ein Rundschlag gegen die grassierende Pyromanie

Ein Bild ist doch keine Fregatte von Peter O. Chotjewitz

Bernkreuz ist nicht New York, oder: die Schaffenskrise des Malers Kuno Fischer

Der letzte macht das Licht aus von Gerd Fuchs

Und wieder wird die Literatur totgesagt. Diesmal ist es die Atombombe, die unseren Dichtern aufs empfindsame Gemüt schlägt.

Schöngeistiger Flankenschutz von Roman Ritter

Über Peter Schütts letztes Gedicht aus seinem letzten Gedichtband.

Einmal Tchibo und zurück von Wolfgang Welt

Wolfgang Welt unterbrach die Arbeit an seinem ersten Roman für einige Tassen Kaffee und die Erinnerung an Heidi, Anne, Nancy, Judy und die anderen

no culture von Hermann L. Gremliza

Wie Alice hinter den Spiegeln von Ingrid Klein

DDR-Literatur heißt im Westen: es schreiben staatstragende Opportunisten (schlecht) oder potentielle Dissis (gut). Unser gigantischer Antikommunismus läßt DDR-Autoren relativ kalt. Eine Reportage

Weg vom Prinzip Survival von Gwydyon

Von nicht geringerem Kaliber als die Herausforderung der Fotografie an die bildenden Künste vor hundert Jahren ist die der audiovisuellen Medien an die Literatur heute

Eine Frau kocht für ihren Mann Suppe von Karl Kessler

Literaturverfilmungen: Alles ist schon mindestens einmal durchgehechelt worden

Herkules hat mehr Punkte als Theseus von Peter Dahl

Die Fantasy-Bücher vermitteln uns genau das Vergnügen, das uns entgangen ist, weil wir die Fragebögen für die Volkszählung nicht ausfüllen durften.

Der Weg wird lang sein, aber sicher voller Poesie von Antonio Skármeta

Pinochets Propaganda-Apparat verläßt sich ausschließlich auf das Fernsehen. Deswegen konnte sich eine emotional wirksame Widerstandskultur entwickeln

Ich habe den »Außenseiter« nicht erfunden von Theodor Weißenborn

Ein Appell an die Literaten, ihre soziale Aufgabe wahrzunehmen und sich in den Institutionen Kenntnisse über gesellschaftlich Verdrängtes zu beschaffen.

Wie wird man ein Gigant? von Ludwig Fels

Ich liebe Saurier. Sie lebten auf großem Fuß. Ihre Gehirne waren zu klein, um das Böse ersinnen zu können. Sie waren von einer instinktiven Gerechtigkeit, jagten und fraßen sich selber; sie hätten das Eisenerz und das Urangestein verschlingen sollen, alles, was dem Menschen diente.

Afrikaner, Frauen & andere Natur« von Isolde Schaad

Alles wie gehabt: die Schwarzen sind fremde Exoten und sollen Musik machen. Von ihrem Intellekt, ihrer Belletristik will man nichts wissen.

Mercedes, eine Kollision von Iris Disse

Für » Theater heute«, war das neue Theaterstück von Thomas Brasch »die Wiedergeburt des Existentialismus aus dem Geist der Klamotte«. Für die »FAZ« war es »Heimkino, also der vollendete Totschlag an der Phantasie«. Für die Schauspielerin Iris Disse ist es so faszinierend, daß sie bei der neunten Inszenierung des Stücks von Gero Gries im November 1984 in Berlin eine Hauptrolle übernehmen wird.

Fähigkeit zur Selbstentblößung von Ingrid Klein

Der schwierige Thomas Brasch

Eidgenossen zwischen Realität & Fiktion von Fredi Lerch

Am Anfang waren ein Romanverriß und ein neuer Begriff, der als Vorwurf gemeint war: Subrealismus. Daraus entwickelte sich eine für die Schweiz typische Debatte.

Die Deutschen entstauben ihre Klassiker von Rüdiger Schaper

Jeder Geburtstag ein neuer Anlaß zu beweisen, wie die Deutschen mit ihren Großen schon immer nicht fertig wurden.

Der Präsident hatte eine Idee von Niels Kadritzke

Immer raste der CIA-Agent, Prinz Malko, den weltpolitischen Ereignissen hinterher. Auf Grenada machte er endlich Geschichte.

Waldbruder Lenz von Christoph Hein

Konkret-Essay über Sprache, Poesie und Herrschaft

»Spezialität: ländische Sachen« von Georg Bollenbeck

Oskar Maria Graf gilt noch heute als kleinbürgerlich und provinziell. Sein Lederhosen-Image war für ihn Maskerade und Provokation.

»Meine Pflicht beißt Gegenwart!« von Gerd W. Jungblut

Vor 50 Jahren ermordeten die Nazis Erich Mühsam. Er war einer ihrer schärfsten, aber nicht einflußreichsten Kritiker. Sein Leben war »ein Partisanenkrieg auf eigene Faust«. Sein Name bezeichnet ironischerweise die Mühsal seines Lebensweges, der vom nimmermüden Engagement innerhalb der Arbeiterbewegung und von der Solidarität mit Verfolgten und gesellschaftlichen Außenseitern gekennzeichnet ist. Zugleich illustriert er, wie weit ein politischer Schriftsteller mit anarchistischen Ideen jahrzehntelang gegen alle Repressionen der Staatsmacht seinen Weg zu gehen vermag.

»Das Schlimme geschieht, ob man schreibt oder schweigt« von Jan-Phillipp Sendker

Kommt er oder kommt er nicht? Seit dreißig Jahren rätselt das Feuilleton über einen neuen Roman von Wolfgang Koeppen, dessen Weigerung, sein Schweigen vermarkten zu lassen, nicht in unseren Literaturbetrieb paßt.

Orthodox, störrisch, nützlich von Georg Fülberth

Jürgen Kuczynskis inzwischen fast dreitausend Publikationen sind eine riesige Quellensammlung. Seine lustvolle Produzierwut irritiert nur seine Kollegen.

Eine never ending Butterfahrt von Horst Tomayer

Wüste Metaphern & wilde Vergleiche von Matthias Altenburg

Die Geschichte eines Taschendiebs lebt von Details und Nebensächlichkeiten. Das Buch ist ein Alltagsfest der Kleinigkeiten. Ein völlig unmoralisches Buch.

Hat Bismarck auch mit Chile zu tun? von Detlef Klein

Es ist ein Krimi, ein Liebes- und Exilroman, ein Versuch über die »dritte Welt im Kopf«, ein Nacht- und ein Großstadtroman. Sagt der Verlag. Vor allem ist es leider ein mäßiger Roman.

Supermann steht nicht im Parkverbot von Hans-Jürgen Gawoll

Umberto Eco appelliert an die Intellektuellen, die Massenkultur nicht nur zu verachten, sondern sie durch Interpretation zu verändern.

Zwei x zwei = Ödipus von Michael Springer

Aufklärung bedeutet Sozialismus. Aber welchen meint der Literaturkritiker Heinrich Vormweg? Das fragt sich: Michael Springer

Mehr als eine Lovestory von Klaus Nothnagel

Der DDR-Autor Günter de Bruyn hat die Geschichte einer schließlich doch gelingenden Abrichtung eines Aufsteigers beschrieben.

Das Nashorn & das Blaue Wunder von Annette Garbrecht

Ein Spielbuch in Sachen Sprache, ein Sachbuch der Sprachspiele, ein Sprachbuch voller Spielsachen für Kinder und andere Erwachsene.

Die Figuren behalten ihr Geheimnis von Uwe Timm

Mythen stehen hoch im Kurs, Dialektik und Aufklärung sind nicht mehr gefragt. Dabei werden wichtige zeitgeschichtliche Chronisten leicht übersehen.

Das Chaos des Fleisches in Stein von Boris Penth

Mensch und Gewalt sind sein Thema, das er unbeirrbar variiert. »Er ist Gewalt«, sagt Elias Canetti über den Maler und Bildhauer Alfred Hrdlicka.

Kunstwerke und Massenkunst von Hartmut Böhme

Die neue Taschenbuchreihe »kunststück« folgt der Tradition einer Kunstgeschichte im Sinne Walter Benjamins.

Etwas vom frühen Wilhelm Reich von Helmut Heißenbüttel

Utopischer Tenor der sechziger Jahre: die Perspektive des Sexualwissenschaftlers Sigusch verweist ins Philosophische.

Die Dame und ihre Mrs. Fowler von Sabine Zurmühl

Auf ihr »kleines Experiment«, ein Buch unter Pseudonym veröffentlicht zu haben, muß Doris Lessing nicht unbedingt stolz sein.

Sieben Tage frei für die Polizei von Jürgen Saupe

Martin Becks und Gunvald Larsons Ruf wird durch diesen Politthriller aus ihrem Land nicht gefährdet.

Ein irrer Nager von Bertram Job

Dr. Ratte ist intelligent, kastriert und für den wissenschaftlichen Fortschritt: ein Opfer auf der Seite der Täter.

Afrika von Eckhart Breitinger

Einwanderer von Horst Hamm, Martin Cavelis

DDR von Matthias Altenburg