LK 15

literatur konkret Nr. 15

Kunst, Literatur und deutsche Revolution

Der Feind meines Feindes ist ein Dichter
 
Ein erstklassiges Drama erkennt  
man daran, daß das Volk in ihm stört.  
Peter Hacks
 
Wenn es aber die Hauptrolle spielt, wie in dem Stück »Wir sind ein Volk«, das die Schriftstellervereinigung Weh und Ach im November 1989 in der »Heldenstadt Leipzig« herausgebracht hat? Wenn es aus der Rolle fällt und über seine dramatischen Schöpfer her? Wenn es ihnen das Urheberrecht enteignet und das Drama zur Farce umschreibt, in dem die Autoren als Chargen auftreten, die, kaum haben sie die Bühne betreten, der szenischen Anweisung zu folgen haben: »(Geht ab.)«  
 
Es fällt ihnen schwer. Zu gut hatte es sich im Windschatten der Mauer leben und schreiben lassen. »Gute und schlechte Bücher, die die Zensoren verboten, wurden gleichermaßen mit dem Heiligenschein des Märtyrertums umgeben und damit für Kritik unangreifbar gemacht« (Günter de Bruyn). Der schlechte Autor, der dem Politbüro gefiel, wurde belohnt, besser noch der schlechte Autor, der nicht gefiel und deshalb bei BRD-Verlagen Devisen verdienen mußte. Vom politischen Bonus, den es solcher Literatur jahrzehntelang eingeräumt habe, spricht das westliche Feuilleton heute ganz unbefangen.  
 
Dieser Krieg ist aus, und die Gefahr, daß im Feuilleton und in den Verlagen demnächst Friedensmaßstäbe angelegt werden könnten, bedroht nicht nur die Papierverbraucher im Osten. Auch im Westen wird der Schriftstellerstand schrumpfen - nicht um die hier wie dort wünschenswerten neunundneunzig Prozent, aber doch um viele, die sich freiwillig an die ideologische Front gemeldet hatten und dafür von der ?>Frankfurter Rundschau« mit dem Dichter-Notabitur belohnt worden waren.  
 
Es ist verständlich, daß die Propagandakompanie, um ihrer Demobilisierung zu entgehen, das literarische Kriegsrecht mit seiner Generalklausel: Der Feind meines Feindes ist ein Dichter, in die Nachkriegszeit hinüberretten will. Groschenjungs, die auf den leisesten Wink eines Anzeigenkunden Männchen machen, spielen gegenüber Schriftstellern Standgericht. Leider, entfuhr es einem von ihnen in der »Frankfurter Allgemeinen«, leider könne der Hermann Kant ja schreiben (was aber nicht genüge, um weiter gedruckt zu werden). Es ist verständlich. Ist es auch aussichtsreich? 

Inhalt 

Der internationale Opportunismus in deutschen Reimen von Peter Hacks
Über Hauptmanns »Festspiel«
 
Aufklärung und »Aufkläricht« von Gerd Fuchs
 
Dichter und Heldengesänge von Kerstin Hensel
Bin ich das Schwert? Bin ich die Flamme? Was machen die Dichter, wenn das Geröhr des Regimes und die Töne der Aufständischen gleichermaßen die dithyrambischen Laute verschlägt?
 
Name Dropping von Hermann Kant
 
Was macht ein revolutionärer Künstler ohne Revolution? von Ronald M. Schernikau
Dieses ist eine Huldigung an Andy Warhol, den einzigartigen, undemokratischen, nicht wiederholbaren, den letzten Verfechter des traditionellen Kunstbegriffs.
 
Literatur & Wiedervereinigung von Eckhard Henscheid
Wer packt's an? Eine Betrachtung von Eckhard Henscheid
 
Peter Hacks oder Die Obrigkeit bin ich von Hermann L. Gremliza
 
Müssen die DDR-Künstler jetzt nachsitzen? von Dieter Asmus
Für die einen gibt es keine gute Kunst in der DDR, für andere nicht in der BRD. Gibt es also nirgendwo gute Kunst?
 
Eins : Eins von Horst Tomayer
tauscht Horst Tomayer
 
Kein Umgang! von Klaus Höpcke
Ohne den Versuch des Sozialismus hätte es die DDR-Literatur teils überhaupt nicht, teils so nicht gegeben. Dieser Versuch in seiner widerspruchsvollen Problematik gehört zu ihrem Wesen. Das sehen die West-Frondeure anders.
 
Die Bücherschlacht um Leipzig von Elmar Faber
Gründerzeiten für DDR-Verlage und Aufbruchstimmung im deutschen Buchmarkt. Ein Resümee von Elmar Faber
 
Reisende in Sachen Artenschutz von Christel Dormagen
Für den rasenden Westblick sehen manche Ost-Avantgardeproduktionen wie die Panzerketten des Schweizer Ingenieurs aus, der sie ahnungslos ein zweites Mal erfand.
 
Der hartnäckige Grund von Literatur von Brigitte Burmeister
Die Stunde der Wahrheit heißt bei einer deutschen Revolution immer: Abrechnung mit allen Beteiligten.
 
Das Manuskript ist literarisch hochinteressant von Werner Steinberg
Werner Steinbergs Roman »Die Mördergrube« konnte 1979 noch nicht in der DDR erscheinen, 1990 nicht mehr Wir dokumentieren die erste Ablehnung des Verlags
 
»Schuldig-unschuldig« von Jan Philipp Reemtsma
Über Kulturpolitik als Machtpolitik
 
Stalingrad interessiert mich mehr als Bonn von Heiner Müller, Ingrid Klein, Peter Blie
Ein Interview mit Heiner Müller. Die Müller-Maschine angeworfen und bei Laune gehalten haben Ingrid Klein und Peter Blie
 
Kein einziges Wort des Trostes von Andrea Dworkin
Statt Emily Brontees Roman »Sturmhöhe« zu verklären, sollte man ihn auch als Grundlagenwerk zur Sexualwissenschaft ernstnehmen.
 
Stimmungsbarometer der Linken von Armin Schreiber
Für den jugoslawischen Comic-Maler Enki Bilal ist das Phantastische Mittel der Aufklärung und des Widerstands.
 
Jules und Jim in Rußland von Gary Smith
Walter Benjamins Tagebuch, 1926 in Moskau geführt, ist ein Schlüssel zu seiner kompositorischen Praxis und zur sowjetischen Kulturpolitik
 
Unsere Sprache wirkt lächerlich von Wolfgang Schneider
Im Zentrum von Primo Levis literarischer Arbeit stehen Auschwitz und die Rekonstruktion der Wahrheit über die Konzentrationslager
 
Der Dichter und der Bürger von Hermann Peter Piwitt
Stephan Reinhardt hat die erste umfassende Biographie über den »konservativen Linken« Alfred Andersch geschrieben, dessen starkes Vorleben hier gewürdigt wird von Hermann P. Piwitt
 
Verzaubernd ozeanische Sätze von Eberhard Hübner
Einer von vielen möglichen Zugängen zum neuen Kronauer-Roman, der den Lesern mehr als die sonst schon übliche Anstrengung zumutet.
 
Was bis dahin gewesen ist von Oliver Tolmein
Scheinbar egozentrisch mutet der radikale Versuch von Ludwig Fels an, das Sterben und den Tod seiner Mutter zu beschreiben.
 
Des Mannes Dreifaltigkeit von Layla Dawson
Philip Roth formt Bücher, die wie Mäntel aussehen, deren Futter nach außen gekehrt ist, und - süchtig geworden - kehrt der Leser immer wieder zu seinem Stoff zurück.
 
Mayla, Kurt & die Missionare von Boris Penth
Der neue Roman von Bodo Kirchhoff, »Infanta«, ist weniger ein Liebesroman als ein Plädoyer für ein Leben, in dem Liebe genügend Raum hat.
 
Grandma´s Entsorgung von Christel Ehlert-Weber
Eskaliert die Erschöpfung der Familie wegen Grandmas Altersdemenz, werden Gespräche über Sterbehilfe selbstverständlich.
 
Der »Fall Jesu« ist nicht bekannt von Michaela Ott
Mit ungewöhnlicher Unbeschwertheit erzählt Jurij Dombrowskij von stalinistischen Schauprozessen und ihren Methoden.
 
Die Angst des Kopfes vor Schlägen von Hans Joachim Bernhard
Das Dresdner Tagebuch des Lyrikers Thomas Rosenlöcher hat Chancen, sich in der Flut der Post-DDR-Literatur zu behaupten.
 
Liest Väterchen Stalin mit? von Klemens Renoldner
Der Entwicklungsroman des DDR-Autors Werner Steinberg über einen Mitläufer und Opportunisten.
 
Unmoral und Vergnügen von Dorothee Hackenberg
Die »Groteske« von Patrick McGrath über den Knochenforscher Sir Hugo, den Mord an seinem Schwiegersohn und den bösen Butler hinterläßt eine etwas ratlose: Dorothee Hackenberg
 
Bermudadreieck Familie von Johanna Wieland
Geschichten aus dem wirklichen US-amerikanischen Mittelstandsleben sind Ouvertüren für Joan Barfoot's neuen Roman »Family News«.
 
Ab in die Spanplattenplantage von Peter Blie
Ulrich Horstmann hat seinen Ansatz, die Menschheit insgesamt verschwinden zu lassen, leider modifiziert. Das bedauert Peter Blie
 
Tea-Time & andere Verwicklungen von Stefanie Holzer
»Tee und blauer Samt« ist einer der zwölf Romane von Barbara Pym, einer sehr englischen Autorin, findet Stefanie Holzer
 
kurz & neu
12 aus 12. 000: Die LITERATUR KONKRET-Auswahl aus den diesjährigen belletristischen Neuerscheinungen (West)
Rezensionen von Detlef Klein, Hannelore Heinrichs, Eberhard Hübner, Peter Blie, Annette Garbrecht, Dorothee Hackenberg und Stefanie Holzer