LK 24

literatur konkret Nr. 24

Sprache im humanitären Einsatz

Karl Kraus:
"Kein Volk lebt entfernter von seiner Sprache als die Deutschen"

Das erste Opfer des Krieges, so wurde in den Tagen des neuerlichen Angriffskrieges der Deutschen auf Jugoslawien immer wieder gemeldet, sei die Wahrheit. Das ist insofern verwunderlich, als sie, die Wahrheit, in der Regel schon in Friedenszeiten auf der Strecke zu bleiben pflegt. Kann aber eine Tote zwiefach gemeuchelt sein? Und wo befindet sich ihr Grab? Und wer ist, wenn die doppelt Ramponierte Opfer heißt, der Täter? Der Killer Irrtum? Oder die Agentin Lüge?  
LITERATUR KONKRET ist, aus Anlaß des 100jährigen Jubiläums des Erscheinens der ersten »Fackel« von Karl Kraus, der Medien- und Sprachkritik gewidmet, untersucht die Folgen der Hinrichtung der Sprache für politische Zwecke und bildet diese in Person des erfolgreichsten Rhetors der Deutschen (bei der Posen-Probe) auch noch ab. Gewürdigt werden ferner die Leistungen sprachkritischer Interventionen in Literatur und Gesellschaft sowie, vor dem Hintergrund der aktuellen geistigen Mobilmachung, die Zusammenhänge von Sprache und Krieg.  
 
»Wer nichts der Sprache vergibt, vergibt«, Karl Kraus zufolge, »nichts der Sache.« Die Kritik der Phrasen ist die Kritik der Waffen in einem Krieg, an dessen Ende die Wahrheit nur vorübergehend erliegt, die Opfer aber bleiben werden und, wie immer, konkrete Menschen sind. Die so verstandene Sprachkritik erschöpft sich nicht in Sprachreinigung, sondern unterstützt die erkennungsdienstliche Arbeit - zur fälligen Überführung der Täter.

Inhalt

  • Dementia nationalis
    von Gerhard Scheit
    Von den Phrasen der Arbeiterbewegung zu den Phrasen der Volksgemeinschaft: Die Sprachkritik von Karl Kraus resultiert in der Kritik der Nation
  • Sprache im humanitären Einsatz
    von Georg Seeßlen
    Anmerkungen zur Balkanisierung des Balkans im Namen der moralischen Gewißheit
  • Rassentum
    von Gerhard Henschel
    Ein Volk redet Hackfleisch. Über die nationalsozialistische Sprachregelung
  • »Ich gehöre dazu«
    von Erwin Riess
    Realer Sozialismus – sub specie Judaeorum. Über Victor Klemperers Tagebücher 1945-59
  • Sprachloser nie
    von Peter O. Chotjewitz
    Ein Plädoyer für die Abschaffung der Literaturkritik
  • Ran ans Stammwort!
    von Jürgen Roth
    Von der Aufklärung zur Entwelschung: Die Geschichte der Sprachkritik in Deutschland ist keine der Beförderung der Humanität
  • Wider das freche Menschenwort
    von Frank Schäfer
    Über Fritz Mauthner, der vor 100 Jahren die landläufige Sprachskepsis philosophisch grundierte
  • Das Wort als Wille zum Bluff
    von Peter Köhler
    Eckhard Henscheids Sprachkritik – eine Sprachkritikkritik
  • Nicht der Rede wert?
    von Christel Dormagen
    Luise Pusch und die feministische Sprachkritik
  • Unbeängstigt
    von Rayk Wieland
    Anmerkungen zu den Gedichten von Peter Hacks
  • Äh=Tümelei
    von Kay Sokolowsky
    Als Privatmythologie grandios, als Sprachtheorie untauglich: Arno Schmidts Lehre von der phonetischen Anordnung der Worte im menschlichen Gehirn
  • Die Emanzipation des Klomannes von Hermann L. Gremliza