LK 26
literatur konkret Nr. 26
collection gaga
Deutsche Popliteratur
Mode ist die ewige Wiederkehr des Neuen
Walter Benjamin
Seit drei, vier Jahren hat sich in Deutschland eine neue Literaturszene etabliert, die als »Popliteratur« nach wie vor Furore macht. Es liegt nahe, sie als Textprogramm der rotgrünen Berliner Republik zu lesen, die seit der gleichen Zeit datiert und deren Name und Programm für einen von historischen Skrupeln unbelasteten nationalen Neuanfang stehen. Wie diese Konstruktion eines geläuterten und mittlerweile schon wieder unschuldigen Deutschlands Pop werden konnte oder mußte, ist Gegenstand der Ermittlungen von Literatur Konkret.
Pop ist, was immer er ist, ein anderes Wort für die Emanzipation von Tradition und Geschichte, und German Pop taugt, was immer er taugt, als Reklame für das nationale Rebirthing. Gegenstand der Popliteratur sind die Befindlichkeiten einer Generation, die ihr Einverständnis mit der Wiedervereinigung und unverhohlenen deutschen Großmachtambitionen erklärt hat. Was ihr nach der Abkehr nicht nur von Ideologien, sondern auch von jeglicher politischer Partizipation bleibt, ist die Devotion vorm Kassenbon, sind Beschreibungen von Lebensläufen, die sich als Konsumentenbiographien erweisen. Dabei erreicht die »Generation Golf«, wie sie korrekt genannt wird, leider nicht Anmut und Charme der »Generation Palmin« oder der »Generation Erbswurst«, deren hundert Jahre alte Reklamebildchen dieses Heft illustrieren.
Inhalt
- Jüngstes Deutschland
Von Joachim Rohloff
Sentimentale Bedürfnisse nach einer heilen deutschen Nation. Zum Geschichtsbild der sogenannten Generation Golf - Bedeutis und Wixis
Von Georg Seeßlen
Was kann die Popliteratur, und was meint sie zu können? - Springers Stiefel oder: Schöne neue Literatur
Von Hermann L. Gremliza
Über das Treiben der neuen Jungen und ihren Impressario Joachim Bessing - Gelingen der Nation
Von Günther Jacob
Wie Popliteratur zu einem wesentlichen Teil der neuen deutschen Nationalkultur geworden ist - Moderne Untergangsformen
Von André Thiele
Die popkulturelle Literatur will einer Welt im Untergang Benimm vermitteln. Benimm sei, wenn man die Welt beim Untergang nicht störe. Was aber, wenn Benimmbücher die bessere popkulturelle Literatur sind? - Safer Pop
Von Peter Kessen
Warenfetischismus und Truppenbegleitung über den "langen Marsch" des Pop zu sich selbst - Liga für Kampf und Freizeit
Von Peter Köhler
Lob des untätigen Rumsitzens - und was Surfpoeten und Suffpoeten sonst noch zu sagen haben - Überdüngtes Gewässer
Von Alfred Schobert
Rainald Goetz und Botho Strauß: über den revisionistischen Kern des popliterarischen Pudels - Porträts
Ein Führungszeugnis für die Popkulturelite der Berliner Republik - 7 KONKRET-Autorinnen und -Autoren über 7 Selbstdarsteller des neuesten Literaturbetriebs
Peter Kessen über Christian Kracht
Christel Dormagen über Judith Hermann
André Thiele über Alexander von Schönburg
Jürgen Roth über Maxim Biller
Joachim Rohloff über Benjamin von Stuckrad-Barre
Benjamin Schiffner über Elke Naters
Michel Rudolf über Alexa Hennig von Lange - Generation Golf
Ein Aufruf von Horst Tomayer - Blumenkohl, fraktal
Von Thomas Ebermann
The paradise is here ... Hausmeistern, Handwerkern und "Ostkellnern" zum Trotz
Über den "smart capitalism" des Zukunftsexperten Matthias Horx - Insidergeschäfte
Von Holm Friebe
Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Surfen. Anmerkungen zu Texten und Textsorten im Internet - Sommerbubenstimmen
Von Frank Schäfer
Bekannte Lieder im Hintergrund: über die Rolle der Popmusik in der Popliteratur - Wegschmeißliteratur
Von Jürgen Roth
Kurze Chronik und Bilanz einiger (un-)vergessener Literaturmoden der deutschen Nachkriegsgeschichte
- Rezensionen
Neun KONKRET-Autorinnen und Autoren stellen neun Bücher vor
Erwin Riess über Marc Fischer: Eine Art Idol
Oliver Maria Schmitt über Sven Regener: Herr Lehmann
Werner Jung über Werner Krauss: Die nabellose Welt
Marit Hofmann über Wilhelm Genazino: Ein Regenschirm für einen Tag
Jürgen Roth über Dirk von Petersdorff: Verlorene Kämpfe
Connie Uschtrin über Mariana Leky: Liebesperlen
Michael Rudolf über Rolf Henrich: Die Schlinge
Gert Ockert über Sibylle Berg: Das Unerfreuliche zuerst
Michael Wuliger über Steffen Radlmaier (Hg.): Der Nürnberger Lernprozeß