Der 24. Merz

Montagmittag, 21. Oktober 2024, Regierungspressekonferenz in Berlin. Die Veranstaltung läuft seit genau einer Minute, da kündigt die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann an, es werde beim Arbeitsbesuch des slowakischen Präsidenten bei Bundeskanzler Scholz sicherlich auch um »die weitere Unterstützung der Ukraine im Verteilungskampf – im Verteidigungskampf, Entschuldigung, gegen den russischen Angriffskrieg« gehen.

Hoffmann findet ihren Versprecher sichtlich lustig, vermutlich hat sie den Namen Karl Kraus noch nie gehört. Und der Vergleich mit dem namenlosen Wiener und analphabetischen Weltexperten vom August 1914, den Karl Kraus in seinem Marstheaterstück Die letzten Tage der Menschheit vom »heilinger Verteilungskrieg« schwadronieren lässt, weil er zu blöd ist, die Propagandaparole »heiliger Verteidigungskrieg« richtig nachzuplappern –: Dieser Vergleich hinkt zwar, aber bei dem strohdummen Lachen der stellvertretenden Regierungssprecherin über ihren Lapsus läuft’s einem doch eiskalt den Buckel runter. »Mir führn einen heilinger Verteilungskrieg führn mir!« Das Zitat findet sich gleich in der ersten Szene des ersten Akts der Letzten Tage. Anders aber als Hoffmann, die ihren Fehler sofort bemerkt hat, kriegt der Patrioteneinpeitscher am Ringstraßen-Korso gar nichts mit und wiederholt den Schmäh sogar.

Womit wir bei Friedrich Merz sind, dem Deutschlandtrend-Bundeskanzler, der drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Bundestag einen Freudschen Versprecher ablieferte, den außer Kay Sokolowsky in konkret 4/22 kaum jemand bemerkte – der Redner selber schon gar nicht: »Dieser 24. September 2022«, sagte Merz schicksalsschwer, werde »uns allen im Gedächtnis bleiben«. Es war aber der 24. Februar 2022, von dem Merz eigentlich sprechen wollte. Der 24. September, der sich aus Merzens Unterbewusstsein mit aller Macht vordrängte, war 2002: Da wurde Merz von Merkel als Unionsfraktionsführer gestürzt. Und war das nicht der eigentlich viel schlimmere Angriff aus dem Osten auf unser (west-)deutsches Vaterland: Eine Ostdeutsche und Russlandversteherin stößt einen aufrechten Sauerländer vom Thron? Steht Deutschland seitdem nicht würde- und wehrlos da, den roten Horden hilflos ausgeliefert? Kann es eine andere Lösung geben als die, dass jetzt endlich Friedrich Merz die Führung übernimmt im heiligen Verteilungs-, pardon: Verteidigungskrieg? 

Florian Sendtner