Kim Eun-ha vs. Aiwanger
Florian Sendtner über den Putschversuch in Südkorea
»Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss.« Als Hubert Aiwanger am 10. Juni 2023 vor einem johlenden Mob diesen Satz ins Mikrofon schrie, war die Empörung groß. Groß und hilflos. Was eigentlich genau ist so schlimm an der Aussage? Auf Nachfrage gerieten die meisten Aiwanger-Kritiker ins Schlingern und Herumeiern.
Eineinhalb Jahre später hat nun Kim Eun-ha Aiwanger Bescheid gegeben. Die Südkoreanerin sagte am 3. Dezember 2024 in Seoul: »Ich glaube, dass wir uns die Demokratie zurückholen müssen«, und war damit tags darauf in den »Tagesthemen« zu sehen. Also fast wörtlich die gleiche Formulierung, die der stellvertretende bayerische Ministerpräsident benutzt hatte. Nur traf der Satz bei Kim Eun-ha zu und war aus ihrem Mund berechtigt.
Der südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol hatte an diesem 3. Dezember 2024 die ständigen Scherereien mit der mächtigen Opposition im Parlament satt (er warf ihr vor, mit Nordkorea unter einer Decke zu stecken) und rief kurzerhand das Kriegsrecht aus. Doch vielen Südkoreanern steckt noch das Massaker von Gwangju vom Mai 1980 in den Knochen. Damals protestierten Studenten in der Millionenstadt im Südwesten von Südkorea gegen die Militärdiktatur und das Kriegsrecht. Als sich die restliche Bevölkerung den Demonstrationen anschloss, erklärte der Diktator Chun Doo-hwan, die Protestbewegung in Gwangju stecke mit Nordkorea unter einer Decke, und ließ sie mit freundlicher Billigung von US-Präsident Jimmy Carter niedermetzeln. Bis heute ist die genaue Zahl der Ermordeten unbekannt, sie wird auf etwa 2.000 geschätzt.
Bei der jetzigen Ausrufung des Kriegsrechts waren deshalb viele sofort hellwach. Und massenhaft auf den Straßen und Plätzen von Seoul präsent. Das Parlament ließ sich vom anstürmenden Militär nicht einschüchtern und kassierte das Kriegsrecht. Innerhalb von Stunden war klar: Yoon Suk-yeols Coup war gescheitert. Die Opposition hatte sich die Demokratie zurückgeholt. Und jetzt noch mal zurück zu Aiwanger: Einer, der ein Regierungsamt auf Länderebene bekleidet, hetzt einen rechtsextremen Mob gegen die Regierung auf Bundesebene auf. Eine Möchtegern-Putschisten-Idee, die von Yoon Suk-yeol hätte stammen können. Beide Herren waren bei Redaktionsschluss noch im Amt.