Antifaschismus muss links bleiben

Demos gegen rechts? Schön und gut. Doch sie sind zwecklos, wenn »die Mitte« sie übernimmt. Von Christian Pfeiffer

Mehr als 200.000 Menschen gegen Rechtsextremismus« – Schlagzeilen wie diese prägen seit drei Wochen die Medienlandschaft. Nach den Veröffentlichungen des Recherchenetzwerks Correctiv über Deportationspläne aus dem Umfeld von AfD, Identitären und Rechtskonservativen sind Hunderttausende auf den Straßen.

Ein schöner Kontrast zu sogenannten »Montagsspaziergängen«, Traktoren mit Fahnen der völkisch-nationalistischen Landvolkbewegung oder Protesten gegen geplante Unterkünfte für Geflüchtete. Zumal diese Demonstrationen nicht nur in größeren Städten, sondern überall im Land stattfinden. Allein für die ersten beiden Wochenenden zählte die von Campact betriebene Webseite »Zusammen gegen Rechts« mehr als 400 Proteste.

Unter dem Motto »Schulter an Schulter gegen Faschismus« fand am 27. Januar auch im beschaulichen Örtchen des Autors in der ostwestfälischen Provinz eine Demonstration statt. Mit etwa 1.000 Menschen die größte seit Jahrzehnten. Hier und in anderen kleineren Orten, vor allem im Osten, ist das erst einmal ein Erfolg.

Doch gleichzeitig erscheint vieles wie ein Déjà-vu. »Wir« waren schon mal mehr, die »Bunt statt Braun«-Transparente mussten nur kurz entstaubt werden. In der »Zeit« sagte der flüchtlingspolitische Sprecher von Pro Asyl, Tareq Alaows: »Ich hoffe, dass auch Friedrich Merz kommt«, um an der Großdemonstration in Berlin teilzunehmen. Denn siehe da: Von Scholz bis Söder werden die Kundgebungen gelobt. Wieder einmal ist weithin der unbedingte Wunsch spürbar, vor allem eins zu sein: staatstragend. Da sollen gefälligst Deutschlandfahnen geschwenkt werden; »Zeit«-Autorin Frida Thurn hofft auf eine »Bürgerbewegung«, bei der die Demo-Verantwortlichen »nicht ausgrenzen«; den vorläufigen Höhepunkt der bürgerlichen Aneignung liefert der Politologe Lothar Probst bei »buten un binnen« im Regionalfernsehen von Radio Bremen. Dort klagt er, »linke und antirassistische Gruppen« würden die Proteste »kapern«.

In vielen Fällen, gerade in kleineren Orten, ist jedoch das Gegenteil der Fall. Dort sind es genau diese linken und antirassistischen Gruppen, die über Erfahrungen und Fähigkeiten verfügen und in der Lage sind, kurzfristig eine Demo zu organisieren. Wenn etwas gekapert wird, dann sind es diese Bemühungen langjähriger Aktivistinnen und Aktivisten, die zusätzlich zur Lohnarbeit noch über Grußworte, lokale bis überregionale Funktionärinnen und Funktionäre sowie Parteiflaggen diskutieren müssen. Oder darüber, ob es denn angemessen sei, »Hass« auf die AfD zum Ausdruck zu bringen.

Und plötzlich, wenn auch nicht unerwartet, wissen gerade die am besten, wie Antifaschismus auszusehen hat, die den gesellschaftlichen Rechtsruck jahrelang ignoriert, wenn nicht sogar befördert haben. Vor allem wissen sie, dass er möglichst nicht Antifaschismus genannt werden sollte, sondern beispielsweise »Aufstand gegen die AfD« (»Spiegel«). Solche Formulierungen haben dann den genialen Vorteil, gegen die AfD und für Demokratie sein zu können – denn sie sind unkonkret genug, um den eigenen Beitrag zur Rechtsentwicklung nicht thematisieren zu müssen.

Auch in manch anderer Forderung ist die Einhegung des Protestes schon angelegt. Vor allem in der Debatte um ein Verbot der AfD ist nichts zu gewinnen. Nicht auf Grund wohlklingender demokratietheoretischer Erwägungen für oder wider, auch nicht, weil offensichtlich ein Verbot nicht die Gesinnung von Nazis ändert. Die Verbotsdebatte delegiert einmal mehr die Abwehr des Faschismus an den Staat. Ein Verbotsantrag hätte kurzfristig keine wirklichen Konsequenzen; die Verantwortung läge bei der vermeintlich neutralen Institution Bundesverfassungsgericht; und unabhängig vom Ausgang des Verfahrens könnten die Akteure sich darauf zurückziehen, sie hätten ja zumindest den Versuch unternommen.

So hat die Kritik an Form und Inhalt der Proteste gute Argumente. Gegen Rassismus und Deportationspläne zusammen mit denen zu demonstrieren, die anderntags ein »Besser-Abschieben-Gesetz« (Rückführungsverbesserungsgesetz) beschließen, ist zumindest fragwürdig.

Doch sollten sich linke Initiativen gerade dann zurückziehen, wenn Menschen auf die Straße gehen, die bisher kaum oder gar nicht für antifaschistische Politik erreichbar waren?

Nein. Linke können nicht auf die Möglichkeit verzichten, ein Angebot an diejenigen zu machen, die sich nun ernsthaft engagieren möchten. Zunächst kann überall dort die Kritik am rassistischen Normalzustand deutlicher hör- und sichtbar gemacht werden, wo Kundgebungen und Demonstrationen maßgeblich von antifaschistischen Gruppen organisiert und getragen werden.

Darüber hinaus müssen Strukturen gestärkt werden, weil abzusehen ist, dass die Großmobilisierungen, wie auch in der Vergangenheit, abflauen werden. Denn neben der Signalwirkung, die die vergangenen Wochen für alle von ziviler und staatlicher rechter Gewalt Bedrohten hatten, ist vor allem auf dem Land jede zusätzliche Person wichtig. Großveranstaltungen allein werden AfD und andere Rechtsextreme ohnehin nicht aufhalten, selbst wenn gerade eine spürbare Verunsicherung bei der AfD und ihrem Umfeld herrscht.

Wenn aus der aktuellen Dynamik eine langfristige Stärkung antifaschistischer Politik entstehen soll, führt an einer aktiven Beteiligung kein Weg vorbei. Initiativen vor Ort dürfen dabei nicht als praktische Demodienstleister für eine bürgerliche Selbstvergewisserung agieren. Im Gegenteil: Linke dürfen die Proteste nicht von der Mitte kapern lassen.

Christian Pfeiffer schrieb in konkret 2/20 über linke Kritik an der Ökologiebewegung