The Zone of Interest

Letzte Woche kam Jonathan Glazers "The Zone of Interest" in die Kinos. Tim Lindemann empfahl den "herausragenden Film" in konkret 2/24: "Es ist der Einblick in die selbstverständliche Berufung auf das Recht zur Tötung, sogar zur Ausrottung anderer, der »The Zone of Interest« als Film über Faschismus so prägnant macht. Ein heiteres Kaffeekränzchen im Familienkreis liegt oft nur einen Moment entfernt vom Planen einer neuen Gaskammer."

 

FILM DES MONATS

The Zone of Interest

Regie: Jonathan Glazer; mit Christian Friedel, Sandra Hüller, Medusa Knopf; USA/UK/Polen 2023, 106 Minuten, ab 29. Februar im Kino 

Bei einem Gespräch im Rahmen des Telluride-Filmfestivals 2023 wurde der britische Regisseur Jonathan Glazer nach der Inspiration für seinen neuen Spielfilm »The Zone of Interest«, einer losen Adaption des gleichnamigen Romans von Martin Amis, gefragt. Der Film folgt dem Alltag von Rudolf Höß, dem Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, seiner Frau Hedwig und ihren Kindern und spielt beinahe ausschließlich auf dem Grundstück des Familienanwesens, das Höß direkt neben den Lagermauern errichten ließ. Glazer musste nicht lange über eine Antwort nachdenken. Er erinnere sich deutlich an ein Foto in einer Ausgabe des »National Geographic«, die ihm als Kind in die Hände fiel. Es zeigte einen Rabbiner, der nach den Novemberpogromen 1938 die Straße vor einem zerstörten Laden säubert. Um ihn herum sah man die grinsenden Gesichter der Täter und Gaffer. 

Glazer ist Jude. Er erkannte, so erzählt er in dem Gespräch, sich und seine Verwandten in dem Gesicht des Rabbiners wieder – doch das Lachen der Nazis erkannte und verstand er nicht. Man muss von der Biografie des Regisseurs nichts wissen, um »The Zone of Interest« als den herausragenden Film anzuerkennen, der er ist. Die Anekdote bietet aber einen Zugang zu diesem komplexen, sperrigen Werk. Denn Glazers Film ist weit mehr als ein weiterer filmischer Versuch, die deutschen Mörder im Sinne der »Banalität des Bösen« als Räder in einer bürokratischen Maschine darzustellen – das ist zweifellos Teil der Filmkonstruktion, aber keineswegs ihr Endpunkt. Vielmehr geht es Glazer darum, ein phänomenologisches Verständnis des Faschismus zu vermitteln, das viel mit Klaus Theweleits Argument zum »Lachen der Täter« und, in filmischer Hinsicht, dem Dokumentarfilm »The Act of Killing« von Joshua Oppenheimer gemein hat.

Die filmischen Werkzeuge, die der Regisseur zu diesem Ziel verwendet, sind erstens eine distanzierte Inszenierung, die sich der Psychologisierung der Figuren verweigert, und zweitens ein effektives Sounddesign. Zur Distanzierung tragen vor allem die beiden hervorragenden Hauptdarsteller Christian Friedel und Sandra Hüller bei, die das Ehepaar Höß spielen. Ihre präzise Interpretation von Biederkeit, Arbeitsamkeit und Jovialität bei gleichzeitiger innerer Kälte und Grausamkeit ist brillant und tief beunruhigend. Zum anderen unterstreichen die starren, kühlen, oft aus großer Entfernung aufgenommenen Bilder des Kameramanns Łukasz Żal diese Kombination aus Normalität und Grauen, Distanz und unerträglicher Nähe. 

In Das Lachen der Täter kritisiert Theweleit die mediale Pathologisierung faschistischer Massenmörder. Selbst wenn »spezifische psychische Konstellationen bei ihnen vorlägen, die in Bezug auf ihr Morden aufschlussreich wären«, seien ihre Taten doch vor allem als »Ausdruck einer postulierten Notwendigkeit der Handlungen selbst gesetzter Vereinigungen übergeordneten Rechts« zu verstehen. Der Faschist, so Theweleit, ist »kein Patient. Er ist der Arzt. Wir sind in seinen Augen Kranke.« Es ist der Einblick in diese selbstverständliche Berufung auf das Recht zur Tötung, sogar zur Ausrottung anderer, der »The Zone of Interest« als Film über Faschismus so prägnant macht. Ein heiteres Kaffeekränzchen im Familienkreis liegt oft nur einen Moment entfernt vom Planen einer neuen Gaskammer. Hedwig Höß’ Lachen und Scherzen mit ihren Bekannten geht nahtlos über in eine gezischte Todesdrohung an eine Hausangestellte. 

Theweleit zitiert Klaus Kreimeier, der über Claude Lanzmanns Film »Shoah« schrieb: »Die Sprache der Barbarei tappt nicht etwa in ihr gestellte Fallen, sondern sie ist geheimnislos. Man muss … ihr nur zuhören.« »The Zone of Interest« lässt uns genau zuhören und Zeugen werden – nicht nur der Sprache und des Lachens der Täter, sondern auch ihres grausamen Wirkens. Der Film nähert sich diesem Grauen nämlich, ohne jemals zu ästhetisieren oder überhaupt zu verbildlichen. Statt dessen manifestiert sich das Morden jenseits des Grundstücks der Familie Höß gänzlich als akusmatischer Filmton – als Klang also, dessen Ursprung unsichtbar bleibt. Ein dumpfes Grollen, unverständliches Befehlsgebrüll und vereinzelte Schreie sind die ständige klangliche Kulisse des scheinbar so idyllischen Lebens der Höß-Familie. Mit der brillanten Filmmusik von Micah Levi fügt der Film auch noch einen direkteren Kommentar auf der Tonebene hinzu: Bilder von Hedwig Höß in ihrem blühenden Garten werden mit tiefen, disharmonischen Klängen unterlegt, die einen im Kino bis ins Mark gehen.

Der britische Filmwissenschaftler Archie Wolfman hat darauf hingewiesen, dass Akustik eine besondere Rolle in neueren Filmen spielt, die sich mit dem Holocaust beschäftigen. Filmemacher/innen wenden sich damit ab vom Bruch mit dem Postulat des Unzeigbaren, den Mainstream-Filme wie »Schindlers Liste« und »Das Leben ist schön« in der Vergangenheit vollzogen. Wolfman nennt als Beispiel Atom Egoyans »Remember«, in dem ein ehemaliger KZ-Aufseher an seiner Stimme erkannt wird. 

Aber auch »The Act of Killing« bietet sich als Vergleich an, obschon dieser Dokumentarfilm sich mit den Tätern der antikommunistischen Massaker im Indonesien der sechziger Jahre beschäftigt. Regisseur Oppenheimer montiert dort über unscheinbare Landschaftsaufnahmen ein ähnliches Dröhnen und Surren wie Glazer und Levi in »The Zone of Interest«, um unzeigbare Bilder implizit filmisch zu repräsentieren. Seine finale Szene übernimmt Glazer dann sogar fast direkt von Oppenheimer. In beiden Filmen beginnt ein Massenmörder plötzlich krampfhaft zu würgen, um sich schließlich kläglich in einer Ecke zu übergeben. 

Tim Lindemann