Freizeitkämpfer

Ein Plädoyer für mehr Freizeit, das »die Arbeit radikal hinterfragt«, verspricht der »Zeit«-Redakteur David Gutensohn mit seinem Buch Generation Anspruch. Erfüllen kann er dieses selbstgesteckte Ziel jedoch nicht.

Zwar bemüht er sich redlich, den Wert der arbeitsfreien Zeit hervorzuheben, und polemisiert teils gekonnt gegen den in Deutschland herrschenden Arbeitswahn. Eine radikale Kritik der Arbeit unter kapitalistischen Verhältnissen sucht man jedoch vergebens. Beklagt wird vielmehr, dass die Arbeitszeit nicht effizient genug genutzt wird und aufgrund mangelnder Flexibilität die Produktivität auf der Strecke bleibt. »Es geht meiner Generation um Freizeit, nicht um Faulheit«, beteuert Gutensohn.

Getreu dem Titel seines Buches widmet er sich nicht dem Verhältnis von Kapital und Arbeit. Klassen existieren in seinem Buch schlicht nicht. Die Verkürzung der Arbeitszeit mutiert statt dessen zur reinen Generationenfrage. Die arbeitswütigen Babyboomer auf der einen Seite, die »Generation Anspruch« mit flexiblen Arbeitszeiten und fluiden Übergängen zwischen Arbeit und Freizeit auf der anderen. Wie weit diese Gegenüberstellung von der Realität entfernt ist, zeigt sich, wenn Gutensohn die titelgebende »Generation Anspruch« beschreibt. Diese spreche »nicht nur selbstverständlich Englisch und ist in ihrer Schulzeit mit Interrail-Zügen durch Europa gereist, sie hat auch teilweise in London oder Rom studiert oder nach dem Abitur ein Jahr in Australien oder Amerika gelebt«.

Dass noch immer mehr als der Hälfte besagter Generation hierzulande der Weg zum Abitur versperrt ist, dass noch viel weniger junge Menschen sich ein Auslandssemester in den teuersten Städten Europas und die allerwenigsten ein Jahr Auszeit auf einem anderen Kontinent leisten können, ficht Gutensohn nicht an.

Der Kampf um mehr Freizeit ist für ihn kein kollektiver Akt, sondern vor allem ein individueller Aushandlungsprozess. »Nur wer seinen Job hinterfragt, kann etwas an ihm verändern. Entweder durch Gespräche mit Vorgesetzten oder dadurch, dass man seine Stelle oder gar die ganze Branche wechselt«, so Gutensohn, dem tatsächlich das Kunststück gelingt, ein Plädoyer zur Arbeitszeitverkürzung vorzulegen, in dem Gewerkschaften, Betriebsräte oder Tarifverträge nicht einmal Erwähnung finden.

David Gutensohn: Generation Anspruch. Arbeit ist nicht alles – und das ist auch gut so. Oekom, München 2024, 192 Seiten, 22 Euro

Stefan Dietl