VON konkret

In der herrschenden Weltordnung scheinen die Güter ein für allemal verteilt. Eine Minderheit, Weiße des Nordens, besitzt alles: Geld, Nahrung, Gesundheit, Wasser, Kleidung; die Mehrheit, Schwarze, Braune, Gelbe des Südens: nichts. Bodenschätze werden ihnen auf dem Weltmarkt zu Preisen abgenommen, gegen welche die anfangs übliche Bezahlung mit Glasperlen fair erscheint. Erstaunlich ist allein, wie wenige darüber Terroristen werden.

Viel ist passiert, seit Hermann L. Gremliza in seinem letzten Buch Haupt- und Nebensätze (konkret texte 78) das globale Machtgefüge beschrieb. Nun scheint es, als würden zumindest einige Gelbe und Braune des Südens den Weißen des Nordens an die Güter gehen und mit ihnen um Bodenschätze, billige Arbeitskräfte und so weiter konkurrieren. Für Staaten wie Indien, die sich Blockfreiheit leisten können, belebt die neue Weltordnung das Geschäft – siehe Jörg Kronauers Beitrag (Seite 12). Der Rest des globalen Südens aber kann sich lediglich aussuchen, von wem er sich ausbeuten lässt. Weil die USA und die EU dort gegenüber China, Indien und Russland an Einfluss verlören, hätten sie ihr Engagement in Afrika verstärkt, schrieb Kronauer in konkret 3/23:

Um einen neuen Anlauf zu starten, hielt die US-Regierung Mitte Dezember 2022 einen US-Afrika-Gipfel ab … Insgesamt 49 afrikanische Staaten nahmen teil; Präsident Joe Biden warb nach Kräften um eine stärkere Orientierung des Kontinents auf die USA: »Wir wollen gemeinsam eine Zukunft der Chancen schaffen, in der niemand, wirklich niemand zurückgelassen wird.« Na klar. Biden stellte, eher diffus, 55 Milliarden US-Dollar für Afrika in Aussicht, verteilt auf die nächsten drei Jahre, und kündigte an, Washington werde auf dem Kontinent nicht, wie China, banale Infrastruktur – Straßen, Brücken, Häfen – bauen helfen, sondern die Energiewende fördern und schicke Digitalprojekte anstoßen.

Im Rahmen des Gipfels hatte Biden außerdem für die Aufnahme der Afrikanischen Union in die G20 geworben. Dem hat sich Olaf Scholz, wie die »Deutsche Welle« berichtet, jetzt angeschlossen:

Im Klub der G20 ist bislang nur ein Staat aus Afrika Mitglied – das will Deutschlands Regierungschef ändern: »Das gebietet der Respekt vor dem Kontinent und seinen vielen Staaten und auch seiner wachsenden Bevölkerung«, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch der Zentrale der Afrikanischen Union (AU) in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba.

Aber nicht einmal die »Deutsche Welle« gibt noch vor zu glauben, es ginge bei der Erweiterung des Vereins jener Staaten, die den globalen Reichtum unter sich ausmachen, um »Respekt«. Tatsächlich bemühe man sich um Afrika, weil man es »nicht den dort sehr aktiven Konkurrenten China und Russland überlassen will«.

Wer immer es gibt: Das Versprechen, sich künftig stärker zu engagieren, versteht man überall im globalen Süden zu Recht als Drohung. Hat man die Wahl, entscheidet man sich lieber für den Ausbeuter, mit dem man weniger Erfahrungen gemacht hat. Und so werden die USA auf ihrem Angebot, in Afrika schicke Digitalprojekte anzustoßen, wohl sitzenbleiben. »Dumm nur«, so Kronauer (konkret 3/23), »dass Afrikas Digitalisierung längst von Beijing vorangetrieben wird, nicht zuletzt mit Hilfe eines Konzerns, den die USA am liebsten versenken würden – Huawei.«

 

Schon während des Krieges in Syrien hatte es, wie Kronauer in konkret 12/15 festhielt, Anzeichen für eine Neujustierung der internationalen Ordnung beziehungsweise ein Ende der westlichen Hegemonie gegeben. Der russische Militäreinsatz dort und später die Bildung des sogenannten Astana-Formats führten dazu, dass der syrische Bürgerkrieg »im politischen Sinne eine Niederlage des Westens« (Markus Kaim) bedeutete.

Gut sieben Jahre später hat sich die Arabische Liga entschieden, Baschar al-Assad wieder in ihren Kreis aufzunehmen, und die »FAZ« vom 9. Mai kommentiert das so:

Die Wiederaufnahme Syriens sendet ein gefährliches Signal aus. Die arabischen Machthaber spielen nach eigenen Regeln. … Das ist auch ein Triumph über den Westen. Ihm werden nicht nur die Folgen von Zaudern und Tatenlosigkeit in Syrien vor Augen geführt, sondern auch sein Bedeutungsverlust in der Region.

Die neue Unabhängigkeit der arabischen Autokraten ist die Konsequenz einer Entwicklung, die Kronauer im Mai-Heft beschrieben hat: Die USA ziehen sich sukzessive aus dem Nahen und Mittleren Osten zurück und konzentrieren sich stärker auf den Machtkampf mit China.

Man mag Schadenfreude empfinden darüber, dass dem Westen überall die Felle davonschwimmen. Besser oder bewohnbarer wird die Welt durch ihre neue Ordnung allerdings nur für jene Minderheit der Gelben und Braunen, die heute schon (relativ) wenig Grund zum Klagen hat. Der Rest muss, wie gewohnt, mit dem Schlimmsten rechnen.

 

Der im Mai-Heft angekündigte Beitrag von Rolf Surmann über die Kritik am Verständnis des Holocaust als singulär erscheint in der nächsten Ausgabe.