Sozis in der Dissidenz
Das »Friedensmanifest« einiger SPD-Mitglieder sollte ein Protest gegen die Parteispitze sein, weicht aber von Deutschlands Kriegskurs kaum ab. Von Johannes Schillo
War da nicht was? Ein heißer Konflikt, bevor die sommerliche Hitzeperiode begann? Ach ja, Anfang Juni erblickt ein »Manifest« das Licht der Welt, das ein paar Tage lang für größte Aufregung sorgt. Unerhört, leibhaftige SPD-Mitglieder fangen an, mit der Friedensbewegung zu liebäugeln! Genauer gesagt: Verunsicherte Altfunktionäre geben zu bedenken, ob sich nicht verbreitete Friedenshoffnungen und Kriegsängste – gegen den eigenen Niedergang und in Konkurrenz zu BSW/AfD – in Wahlstimmen ummünzen lassen. Dazu verfassen parteieigene »Friedenskreise« ein Manifest, das mit der umwerfenden Losung »Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung« antritt.
Es benennt mit den ersten beiden Punkten das, was die deutsche Politik sowieso vorhat – eine gigantische Aufrüstung im Rahmen neu gewonnener europäischer Eigenständigkeit, die aber koordiniert und kontrolliert, ohne Erzeugung der bekannten »Rüstungsspirale«, stattfinden soll. Und am Ende irgendwie zu Abrüstung führen könnte – wenn man sich nur oft genug auf dieses Ideal beruft.
Die Notwendigkeit, sich mit dem russischen Kriegsgegner zu verständigen, liegt zwar noch etwas in der Ferne, aber auf irgendeinen Vertrag muss es ja hinauslaufen; benutzbar soll »unsere« östliche Einflusssphäre schließlich wieder werden. Wozu sonst der ganze militärische Aufwand? Und das Nato-Oberhaupt im Weißen Haus hat sowieso keine Hemmungen, entsprechende Gespräche zu führen und Geschäftsgelegenheiten zu sondieren.
Angesichts der allgemeinen Empörung reibt man sich die Augen. Das soll eine »Kampfansage« (»FR«, 12.6.) sein, die sich »frontal gegen die Pläne von Regierung und SPD-Spitze« (»Stern«, 10.6.) stellt? Ein paar verstaubte Ideale aus der Zeit, als der Kalte Krieg mit Entspannungsmaßnahmen flankiert wurde, sollen die radikale Infragestellung der Verteidigung gegen Putins Reich des Bösen sein? Im Grunde weiß das auch die Presse besser und kann sich nebenbei über die Nostalgie altgedienter Sozis lustig machen: »Gegen einen solchen Kracher vermag nicht einmal das Furzkissen des Überschall-Teslas anzustinken« (»FAZ«, 13.6.).
Trotzdem wird gehetzt, dass es nur so kracht, und klagt die »FAZ« im selben Atemzug über »Realitätsverweigerung« (12.6.). Die Autoren des Manifests seien als »Sicherheitsrisiko für Deutschland und Europa« einzustufen, als »Tauben am Tor zur Hölle«, wie der Spruch von Kanzler Scholz, Pazifisten seien »Engel aus der Hölle«, zeitgemäß abgewandelt wird.
Das Stichwort »Realitätsverweigerung« macht sich auch die SPD-Spitze zu eigen und stellt dann auf dem folgenden Parteitag klar, dass es nur einen realistischen Kurs gibt, nämlich den, den die SPD gemeinsam mit CDU/CSU eingeschlagen hat. Das heißt: alles dafür tun, dass zum Ende des Jahrzehnts Kriegstüchtigkeit hergestellt ist und der Iwan einpacken kann. Von Skepsis, geschweige denn von Widerstand ist beim Parteitag kaum etwas zu spüren.
Die Presse ist etwas überrascht; die »Grabenkämpfe von einst brechen nicht auf« (»General-Anzeiger«, 30.6.), heißt es. Entdeckt wird vielmehr »eine gewisse Wurstigkeit« der Delegierten (»FR«, 30.6.), andere Kommentare sprechen von der Feigheit der Dissidenten, denn keiner von ihnen habe den Mut gefunden, »auf offener Bühne auch nur ein kritisches Wort gegenüber ihrem Parteivorsitzenden zu äußern« (»FAZ«, 30.6.). Eine Debatte über den Wehrdienst findet nicht statt, statt dessen wird im Hinterzimmer mit den Jusos ein Kompromiss ausgehandelt, der ganz auf der offiziellen Linie (siehe konkret 6/25) liegt: Vorerst keine Wehrpflicht, sondern erst, wenn man sie brauchen kann. Und auch ein paar Bedenken, ob die Aufrüstung mit der Fünf-Prozent-Marke solide eingefädelt ist, dürfen laut werden.
Erstaunlich ist, wie wohlwollend die selbsternannte Gegenöffentlichkeit (»Overton«, »Nachdenkseiten«) auf den Vorstoß der SPD-Dissidenten reagiert. Als würde der Antikriegsprotest hier seinen entscheidenden Schub erhalten. Ausgerechnet die »Junge Welt«, die von den regierenden Sozialdemokraten in die Extremistenecke gestellt wird, sieht hier den »Auftakt für einen aktiven Kern der Friedensbewegung« (20.6.). Als ob nicht mit einer Initiative wie »Sagt nein!« aus der Verdi-Opposition, unterstützt von mehr als 25.000 Unterzeichnern, längst ein wirklicher Einspruch gegen den Kriegskurs der (in der Regel SPD-nahen) DGB-Führung erfolgt wäre.
Die Kritik der Initiative am halbherzigen SPD-Dissidententum gilt solchen Altlinken als »sektiererisch«. Anscheinend träumen sie vom legendären »breitesten Bündnis« der Friedensbewegung, in dem auch gemäßigte Kriegstreiber ihren Platz finden. Immerhin, Nico Popp fällt dann im »JW«-Interview mit Peter Brandt die Harmlosigkeit des Manifests auf; das Bekenntnis zum Kombinat von Rüstung mit Kontrolle und Diplomatie sei eine Position, »die bis in die Union hinein mal Konsens war« (20.6.).
Dem Manifest steht ja auch die eigentliche Sorge – Mitglieder-, Wähler- und Profilschwund – auf die Stirn geschrieben, und Mitverfasser Mützenich dementiert gleich, dass man »ein Stachel im Fleisch der SPD oder der Koalition sein« wolle (»Junge Welt«, 14./15.6.). Gerade angesichts dieser konstruktiven Haltung stellen die Reaktionen aus der SPD-Führung und dem Regierungslager eine erklärungsbedürftige Hetze dar. Sie geht nur aus dem bedingungslosen Schulterschluss hervor, der der Nation bei der Kriegsvorbereitung abverlangt wird und der gegen einen traditionellen Friedensidealismus durchgesetzt werden muss.
Das Feindbild Russland steht felsenfest, und selbst eine minimale Abweichung wird bestraft, sogar eine, die die Ziele im Groben teilt und die sich der westlichen Feindschaftserklärung – wegen Putins »Angriffskrieg« – anschließt.
Johannes Schillo schrieb in konkret 6/25 über die Wehrpflicht in Deutschland
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