BETRIEBSGERÄUSCHE - konkret entsorgt den Sprachmüll der Medien
Die »Bildzeitung« ahnte es schon vor einem halben Jahr: Merkel-Buch erscheint im Herbst. Und tatsächlich meldete der Rest der Presse am 26. November auf allen Titelseiten, Merkel-Buch sei erschienen. Leutheusser-Westernhagen und Dinges-Gmelin kannte man, aber wer zum Teufel war Merkel-Buch? Womöglich irgendwie mit der ehemaligen Bundeskanzlerin verwandt? Und warum schafft man es sogar in die Audiothek der ARD, bloß indem man irgendwo erscheint? Einen Hinweis gab wieder einmal »Bild«: Seehofer über Merkel-Buch: Hatte in der Einschätzung zur Migration Recht. Sie oder er hatte also etwas mit der höheren Politik zu tun.
Stefan Gärtner über Nuancen des Antisemitismus bei BDS-Aktivisten
Der Bundestag hat eine neue Antisemitismus-Resolution verabschiedet, und »manche Politikerinnen, insbesondere bei den Grünen« hätten laut »SZ« gern eine »neuere Antisemitismus-Definition« berücksichtigt, »die Kritikern Israels mehr Raum zum Atmen lässt. Dazu zählt etwa die Jerusalem Declaration, und darin heißt es: ›Boykott, Desinvestition und Sanktionen sind gängige, gewaltfreie Formen des politischen Protests gegen Staaten. Im Falle Israels sind sie nicht per se antisemitisch.‹«
Thomas Schaefer über Die Araber von Palästina von Martha Gellhorn
Zentral im Buch Die Araber von Palästina, aber auch für Martha Gellhorns Sicht der Dinge steht die Reportage, die sie im Februar 1962 über den Eichmann-Prozess in Jerusalem geschrieben hat. Was sie da beobachtet, mag tauglich sein, noch einmal zu verdeutlichen, worum es bis heute – und heute erst recht – im israelisch-palästinensischen Dauerkonflikt geht: um das Existenzrecht Israels als Folge des Nationalsozialismus. »Dieser Prozess ist für unsere Erziehung gedacht, und wir sind verpflichtet, von (!) ihm zu lernen – um der Sicherheit und Ehre unserer Spezies willen.«
Florian Sendtner über den Putschversuch in Südkorea
»Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss.« Als Hubert Aiwanger am 10. Juni 2023 vor einem johlenden Mob diesen Satz ins Mikrofon schrie, war die Empörung groß. Groß und hilflos. Was eigentlich genau ist so schlimm an der Aussage? Auf Nachfrage gerieten die meisten Aiwanger-Kritiker ins Schlingern und Herumeiern.
Das Ende der Regierungskoalition hat einen gewissen Schauwert. Politisch aber wird sich, vom Personal abgesehen, wenig ändern. Von Felix Klopotek
Am 6. November, mittags, als es am Wahlsieg Donald Trumps nichts mehr zu rütteln gab und die Gerüchte vom baldigen Ampel-Crash eskalierten, meldeten die Presse-Agenturen auch diese Nachricht: »Linkenchefin fordert Ampel zum Zusammenbleiben auf.« Denn, so die frisch gekürte Parteivorsitzende Ines Schwerdtner, »der Wahlsieg Trumps muss ein Weckruf sein für die Bundesregierung … Trump wird einen klaren Konfrontationskurs zur EU und Deutschland fahren. Deshalb muss die Ampel das Land wieder handlungsfähig machen.« Als sich gern radikal gebende linke Oppositionspartei sich der Staatsräson unterordnen, indem man von der Regierung verlangt, sie solle das gefälligst auch tun: ein durchaus verblüffender Move für die Arbeiterführerin in spe! Möchte man meinen.
»Israel im Kampf gegen die Vereinten Nationen: Das israelische Parlament hat der Weltorganisation gerade offiziell untersagt, sich weiter um das Wohl der Palästinenser in den besetzten Gebieten zu kümmern. So lässt sich verkürzt zusammenfassen, was die Knesset in Jerusalem mit der überwältigenden Zustimmung von Regierungsparteien und Opposition beschlossen hat. Unter dem Strich bedeuten die neuen Gesetze praktisch das Aus für die UNRWA als der wichtigsten Organisation, die den zahllosen Flüchtlingen unter den mehr als fünf Millionen Menschen in den von Israel besetzten Gebieten ein irgendwie menschenwürdiges Leben ermöglicht.« Und der »SZ«-Kommentar fragt zwar nicht, welches Süppchen PLO, Fatah und Hamas auf dem Feuer halten konnten, während die UNRWA Suppe kochte, kann aber der israelischen Führung in den Kopf gucken: »Palästinensisches Leben … soll unerträglich gemacht werden«, was den Verdacht erlaube, »dass am Ende all dessen die Vision eines Groß-Israel steht«, statt am Anfang, wo eine Vision doch hingehört. »Eines Staats also, der nur nach großflächiger Vertreibung der Palästinenser Wirklichkeit werden könnte.«
Omri Boehm ist der Philosoph der Stunde: Er veredelt die autoritäre Wende mit salbungsvollem Sermon. Von Klaus Weber
Omri Boehm »erweckt die kritische philosophische Tradition zu neuem Leben«, sein Buch Radikaler Universalismus (Propyläen, Berlin 2022) sei »ein Gegenmittel für die epistemologischen und moralischen Krankheiten unserer Zeit« und es »gibt uns Grund zur Hoffnung«. Es sei »kraftvoll und überzeugend« und werde »ein Meilenstein im großen Gebäude der Philosophie werden«.
Das antisemitische Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 hat in weiten Teilen des deutschen Kunstbetriebs offenen Judenhass entfesselt. Von Markus Ströhlein
Sie werden gemieden, weil sie Israelis – und schaut man genau hin –, weil sie Jüdinnen und Juden sind«, berichtet der Kunstwissenschaftler Jonathan Guggenberger über die Lage israelischer Austauschstudentinnen und -studenten an der Königlichen Akademie der Künste in Den Haag und der Design Academy Eindhoven. Beide Hochschulen setzten nach Boykottaufrufen antiisraelischer Gruppen in diesem Jahr das Austauschprogramm mit der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem aus.
Montagmittag, 21. Oktober 2024, Regierungspressekonferenz in Berlin. Die Veranstaltung läuft seit genau einer Minute, da kündigt die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann an, es werde beim Arbeitsbesuch des slowakischen Präsidenten bei Bundeskanzler Scholz sicherlich auch um »die weitere Unterstützung der Ukraine im Verteilungskampf – im Verteidigungskampf, Entschuldigung, gegen den russischen Angriffskrieg« gehen.
Kost' ja nichts: Der Bundespräsident hat im italienischen Marzabotto seine wohlfeile Entschuldigungstour fortgesetzt. Von Rolf Surmann
Ende September reiste Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit dem italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella nach Marzabotto in der Nähe von Bologna. Anlass war der 80. Jahrestag eines SS-Massakers in diesem Ort, bei dem fast 800 Menschen ermordet wurden – ein Kriegsverbrechen, das ähnlich in vielen Dörfern und Städten Italiens, Griechenlands und anderswo begangen worden war. Doch dieser Besuch folgte nicht der üblichen Erinnerungsroutine, zu der die deutsche Politik sich nach Jahrzehnten absoluter Ignoranz vor zirka zwanzig Jahren durchgerungen hat. Er wirkte wie der Sprung durch einen brennenden Reifen.