Rasterfahndung anno 2025
Deutsche Polizeichefs lieben Gotham, Datenschützer sind bestürzt. Wie geht es weiter mit der Datenanalyse-Software der US-Firma Palantir? Von Peter Kusenberg
Am 23. Juli 2025 erhob die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Verfassungsbeschwerde »gegen systematische polizeiliche Datenanalysen in Bayern«. Das Werkzeug Vera, das dort zum Einsatz kommt, verwertet und verknüpft in einem als »Data-Mining« benannten Prozess riesige Datenmengen aus unterschiedlichen behördlichen Datenbanken. Der Vorwurf der GFF richtet sich gegen den unrechtmäßigen Einsatz der Software, der das Grundrecht des Einzelnen verletze, über private Daten zu bestimmen.
Vera heißt in Hessen Hessendata, in Nordrhein-Westfalen Datenbankübergreifende Recherche und Analyse (DAR). In Baden-Württemberg trägt die Software noch den Namen Gotham, unter dem das US-Unternehmen Palantir sie vermarktet. Die Regierung in Stuttgart hatte bis Ende Juli einen Dissens über den Einsatz von Gotham simuliert, damit die größere Regierungspartei, die Grünen, sich als »kritisch« inszenieren konnte. Doch, wie üblich bei jenen prinzipienlosen Gesellen, gilt nach der Einigung über die Polizeigesetz-Anpassung der bereits im März geschlossene Vertrag mit Palantir für mindestens fünf Jahre.
Jenes 2003/04 gegründete Unternehmen nutzte einen Algorithmus des Bezahldienstes Paypal, der zur Ermittlung von Online-Betrug eingesetzt wurde. Palantir, benannt nach einem der »allsehenden Augen« im Fantasy-Werk Der Herr der Ringe, wurde, wie Paypal, unter anderen von Peter Thiel gegründet, dem erzlibertären Investor aus Frankfurt, den der Satiriker Jan Böhmermann vor drei Jahren in einem martialischen Video besang: »Feel his German affection / For natural selection / Ja, ruling the world has a certain appeal.« Der gruselige Offshore-Liberalist operiert vornehmlich im Hintergrund, während Palantirs Vorstandsvorsitzender Alex Karp als das Gesicht des Unternehmens auftritt. Karp, gleichfalls Jahrgang 1967, und ebenfalls, dank seines Studiums in Frankfurt, deutsch sprechend, wirkt auf den ersten Blick einnehmend. In der Wikipedia heißt es über ihn, er sei »der Sohn eines jüdischen Kinderarztes aus New York und einer afroamerikanischen Künstlerin«. Im Dokumentarfilm des Regisseurs Klaus Stern, »Watching You – Die Welt von Palantir und Alex Karp« (2023), heißt es über ihn, er sei »einer der größten Nebelkerzenwerfer« und wolle »auf seine Art die Weltherrschaft«. Für Kai Diekmann, Ex-Chefredakteur der »Bildzeitung«, ist er folgerichtig ein »unglaublicher Typ«. In Sterns Film sagt Karp an einer Stelle, dass sein Programm »zum Töten von Menschen eingesetzt werden« könne.
Bei deutschen Ermittlungsbehörden beschränkt sich Palantirs Gotham darauf, Daten verschiedener Datenbanken miteinander zu verknüpfen und zu visualisieren, angeblich ohne Internetverbindung. Am 10. August 2025 meldete der IT-Nachrichtendienst »heise online«, dass sich die Firma »gegen Vorwürfe mangelnder Datensicherheit beim umstrittenen Einsatz ihrer Datenanalyse-Software bei deutschen Polizeien (!)« wehre: »Eine Übertragung oder ein Abfluss von Daten – etwa in die USA – ist technisch ausgeschlossen«, hieß es. Der Zugriff auf die Server in Hessen und Bayern mag aktuell beschränkt sein, doch die Schöpfer von marktbeherrschenden Programmen – das zeigt der Aufstieg von Meta, Alphabet und Amazon –sind an einer ständigen Erweiterung ihrer Macht interessiert. Peter Thiel nennt das Monopol ein Ideal seines unternehmerischen Handelns, das aktuelle Weltpolitik direkt beeinflusst. So konnte dank Palantirs Hilfe die Ukraine insbesondere in den ersten Kriegsmonaten die russischen Truppen enorm schwächen.
Seit beinahe zehn Jahren ist es staatlichen Ermittlungsbehörden erlaubt, Spähsoftware auf Smartphones einzusetzen, allerdings, das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, nur in eklatanten Fällen mit Höchstfreiheitsstrafen ab drei Jahren. Der IT-Sicherheitsexperte Dennis-Kenji Kipker meint, die Gotham-Software bewirke einen »ganz erheblichen sicherheitspolitischen Beifang: Die sicherheitsbehördliche Datenauswertung, die bislang der begründete Ausnahmefall ist, wird dadurch zum begründeten Regelfall gemacht.«
Leider, wie »heise online« schreibt, schwindet der Enthusiasmus der Datenschützer, es werden »Aufsichtsbehörden verklagt, weil sie zu wenig tun«. Dabei wächst der Bedarf, da in den Gotham-Bundesländern jeweils mehrere tausend Beamte Zugriff auf das System haben, und dass die alle nach Terroristen fahnden, ist zweifelhaft. NRW-Innenminister Herbert Reul hält Gotham für ein »Riesending«, um Anschläge zu verhindern, der unkaputtbare Jens Spahn und Innenminister Alexander Dobrindt sind gleichfalls begeistert. »Offenkundig sieht Dobrindt sich als Lobbyist eines hochumstrittenen US-Unternehmens«, sagte Konstantin von Notz (Die Grünen) dem Magazin »Stern«. Also jammern die deutschen Palantir-Fans, ihnen seien die Hände gebunden, es gebe keine europäische Software gleicher Qualität.
Vor rund 50 Jahren ersehnte der deutsche Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Horst Herold, eine »Superdatenbank«, wie es der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri, Bezug nehmend auf das Überwachungs-Ideal im NS-Staat, nennt. Herold, »Computerfetischist« und Erfinder der Rasterfahndung, erklärte, »die Polizei könnte ihren Einsatz nach hochprognostischen Kriminalitätsballungen ausrichten, sie könnte zu der Zeit an dem Ort sein, an dem den Hochrechnungsergebnissen entsprechend das Verbrechen räumlich passieren muss.« Petri meint, Herold wäre begeistert gewesen von Gotham, damit hätte das BKA Folkerts, Klar und Mohnhaupt wohl schon nach 20 Minuten eingesackt – und alle Bundesbürger mit »klammheimlicher Freude« gleich mit.
Peter Kusenberg schrieb in konkret 6/25 über die digitale Offensive der Regierung Merz
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