Münchner Marmorschädel
Franz Josef Strauß steigt auf nach Walhalla. Von Florian Sendtmer
Als die »Süddeutsche Zeitung« das im September erschienene Hannah-Arendt-Buch von Winfried Kretschmann gebührlich beweihräucherte (»ein außergewöhnliches Politikerbuch«, weil »sich hier Macht und Geist mal ausnahmsweise auf Augenhöhe begegnen«), flocht sie, als Trost für die kritik- und distanzlose, dafür sehr humorige Besprechung, einen Seitenhieb auf den mutmaßlich neidischen Münchner Kollegen ein: »Muss Markus Söder sich jetzt bei Insta abmelden, einen kleinen Adorno-Band machen oder wenigstens einen Podcast mit Richard David Precht?«
Dabei hatte Söder die Sache längst eingetütet. Er zieht nach mit zwei Marmorbüsten, die in die Walhalla kommen sollen, den 1842 von König Ludwig I. errichteten Ruhmestempel der Teutschen, der bei Regensburg über der Donau den Athener Parthenon nachäfft. Dort oben, wo Totila und Teutelinde, Kaiser Wilhelm I. und Turnvater Jahn unbewegt über die Besucher hinwegstarren, ziehen nun, als mutmaßlich letzte »große Teutsche« im unschlagbaren Doppelpack ein: Franz Josef Strauß und Hannah Arendt. Über letztere ließ das bayerische Kabinett verlauten (ein bei Kretschmann bestelltes Diktum?): »Arendt beeindruckte als unabhängige Denkerin, deren theoretische Arbeiten und öffentliche Tätigkeit bis heute weltweit Debatten über Totalitarismus, Freiheit und politische Verantwortung prägen.« Um nicht zu sagen: Deren theoretische Arbeiten bis heute so erfolgreich für die Relativierung der nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen missbraucht werden.
Zu seinem Übervater ließ Söder auf allen asozialen Kanälen am 3. Oktober, Strauß’ 37. Todestag, verkünden: »Wir gedenken Franz Josef Strauß.« Ja, Söder kann subtil sein: Auch ein fehlender Genitiv-Apostroph reicht, um in der Standarddisziplin »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod« einen Punkt zu machen! Unter den allein bei Facebook über 1.500 zumeist zustimmend-ehrfürchtigen Kommentaren unter Söders weihevollem Gesülze folgte unweigerlich immer wieder der totalitäre Untertanenstoßseufzer: »Der hätte aufgeräumt!« Strauß’ Sonthofener Rede von 1974, nie war sie so präsent wie heute: »Und wenn wir hinkommen und räumen so auf, dass bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen keiner es mehr wagt, in Deutschland das Maul aufzumachen.«
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