Rechtspflege

Die Münchener Justiz im Kampf gegen Pazifisten und John Heartfield. Von Martin Knepper

München, März 2023: Auf einer öffentlichen Versammlung der Klimastreik-Bewegung verteilt Gaby G. Flyer mit der Einladung zu einer Diskussionsveranstaltung der Gewerkschaft Verdi, bei der sie im Arbeitskreis gegen rechts aktiv ist. Nachgeordnete Vollzugsorgane, das heißt Polizisten, die bei dieser Veranstaltung anwesend sind, beschlagnahmen die Flyer unter Verweis auf Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs, der das »Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen« ahndet.

Anlass ist die Vorderseite des Flyers, in ermittlungsrichterlichen Worten so beschrieben: Auf den Pappkarten waren vier bluttriefende Beilen (!), welche in einer Hakenkreuzformation angeordnet sind, abgebildet. Darunter war in kleiner Schrift zu lesen: »Der alte Wahlspruch im ›neuen‹ Reich: Blut und Eisen«. Die Worte Blut und Eisen waren dabei im Vergleich zu den übrigen Worten größer geschrieben, so dass gerade diese neben der Hakenkreuzabbildung ins Auge stachen.

Dass die inkriminierte Abbildung, eine Fotocollage, erstmals 1936 in der Prager Exilausgabe der »Arbeiter-Illustrierte-Zeitung« erschienen ist und von John Heartfield stammt – dies nicht zu wissen, mag man den beschlagnahmenden Polizisten nachsehen. Polizeihauptmeister der Besoldungsgruppe A 9 sind nicht zum Studium der Kunstgeschichte verpflichtet. Man freut sich schon, wenn sie nicht den Ethikunterricht verschlafen. Frau G. fordert seither ihr Recht und ihre Flyer zurück, doch im Land von Georg Elser einer- und Hubert Aiwanger andererseits bleibt ihr Begehr im Zuständigkeits-Pingpong zwischen Polizei, Ermittlungsrichter und Staatsanwaltschaft bislang ohne endgültigen Rechtsbescheid. 

Dafür merkt ein ermittelnder Kommissar bezüglich Heartfields Collage an: »Eine Negativdarstellung ist ohnehin nicht erkennbar.« Die Fragen beiseite gelassen, ob die gut einjährige Verschleppung des Vorgangs in der Überlastung oder der Überzeugung der zuständigen Behörden begründet ist und wie viele Instanzen es braucht, um in blutigen Beilen mit beigefügter Einladung zu einer antifaschistischen Veranstaltung etwas grundsätzlich anderes zu sehen als in
den Erzeugnissen von AfD & Co. (die sich in Bild und Wort camouflieren und dabei unverstellt an der Paragraf-86a-Epoche bedienen) – wie negativ hätten Sie’s denn gerne?