Kein Bedarf

Herrenmensch ärgere dich nicht

Das Projekt »Aufgeklärt statt Autonom!« möchte den »grassierenden Linksextremismus« bekämpfen.

Von Merlin Wolf

In Sachen Linksextremismus-Prävention herrscht große staatliche Nachfrage bei derzeit noch geringem Angebot, was so ziemlich allen Initiativen, die sich mit dem Thema befassen, einen leichten Zugang zu Fördergeldern eröffnet.

Das sieht man am Projekt »Aufgeklärt statt Autonom!«, das im November 2019 eine Serie von zwölf Plakaten an alle weiterführenden Schulen mit Jahrgangsstufe 9 und 10 in Hessen verschickte und im Internet zu jedem Plakat Arbeitsblätter für den Unterricht als Hilfe für Lehrkräfte anbietet. Verantwortlich ist die Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit mit dem Programm »Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus« des CDU-geführten Landesinnenministeriums. Veröffentlicht wurde das Material auf der Plattform »Lehrer-Online« der Eduversum GmbH. Beides sind Unternehmen aus dem FDP-Umfeld, die hier von öffentlichen Geldern profitieren.

Das Logo des Projekts schreibt autonom stylisch mit einer Bombe statt dem zweiten O – Sprengstoffanschläge sind ja bekanntermaßen das tägliche Brot des Autonomen. Und das Lehrmaterial lehrt: »Autonome nutzen … verschiedene Ideologien und vermischen sie zu etwas Neuem.« Die auf dem Plakat diesbezüglich genannten Ideologien sind in der Reihenfolge ihrer Nennung Leninismus, Marxismus, Sozialismus, Stalinismus, Maoismus und Anarchismus. Außerdem ist die DDR ein Schwerpunkt in Sachen Aufklärung über Autonome.

Viele Ausführungen erwecken den Eindruck, die Verfasser seien in den achtziger Jahren hängengeblieben, manchmal auch in den Dreißigern. Während, so heißt es, Demokraten und Demokratinnen jede Form von Faschismus ablehnen würden, hätten die Linksextremen unter dem Antifa-Symbol »eine eigene Auffassung davon, was und wer faschistisch ist«. Die Auflösung steht im Arbeitsblatt: Dem Linksextremismus zufolge seien bürgerliche Demokratie und Faschismus zwei verschiedene Ausprägungen des Kapitalismus (Dimitroff-These). Darüber hinaus scheint es nichts zu geben. Überhaupt diene der »Antifaschismus als Rechtfertigung der Linksextremisten für Aktionen gegen andersdenkende Journalisten … (und) Wissenschaftler, die zu Ergebnissen kommen, die nicht in das linksextreme Weltbild passen«. Nicht nur an dieser Stelle müssen die Macher der Initiative schlicht von Bildungsmaterialien zum Thema Rechtsextremismus abgeschrieben haben. So heißt es an einer anderen Stelle über Linksextreme: »Typisch ist auch, dass Marken, die unter Rechtsextremisten verbreitet sind, ›gekapert‹ werden, indem die Logos verändert werden.«

Viele Sätze wären auch durch nähere Erläuterungen kaum zu retten: »Der Anti-Juden-Linksextremismus wird als Antizionismus bezeichnet.« Andere möchten mit verbreiteten Vorurteilen aufräumen: Es gab »in sozialistischen und kommunistischen Staaten keine soziale Gleichheit. Auch dort gab es Privilegierte, die einen bevorzugten Zugang zu Waren und Konsum hatten«; »Prominente tragen heute … Tattoos mit einem Che-Guevara-Porträt.« Außerdem glauben die Verfasser, Linke mit solchen Fragen in Verlegenheit bringen zu können: »Wer würde eigentlich von einer herrschaftsfreien Gesellschaft profitieren und wer nicht?« Zum Thema Gewalt wird aus der Autonomenzeitschrift »Interim« zitiert, ohne darauf hinzuweisen, dass es dort darüber eine Debatte gab. Und Welthandelsorganisation und Internationaler Währungsfonds werden als »demokratische Strategien gegen die negativen Folgen der Globalisierung« präsentiert.

Projekte gegen Linksextremismus haben Tradition, und die Fördergelder sitzen locker. Die Junge Union hat 2010 für drei Ausflüge erfolgreich 29.000 Euro beantragt. Thema: »Wir fahren nach Berlin – gegen Linksextremismus«, mit »gemeinsamem Ausflug in das Berliner Nachtleben«. Hauptnutznießerin der Gelder war zunächst die Konrad-Adenauer-Stiftung, die so einige ihrer Projekte über das Bundesprogramm abrechnen konnte. 2018 wurde bekannt, dass die bundesweite Ausstiegshotline für Linksextreme seit 2011 niemandem beim Ausstieg geholfen hat. Nach vielen Scherzanrufen im ersten Jahr habe es kaum noch Anrufe gegeben. Dies überrascht insofern, als man vermuten könnte, selbst bei einem Kegelverein müsste es Leute geben, die sich für zinslose Darlehen, Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Job- und Wohnungssuche oder Coachings interessierten. Besser laufen soll es angeblich beim neuen Projekt Left, dem Ausstiegsprogramm für Linksextreme in NRW. Hier gab es anscheinend schon ernsthafte Gespräche.

Vieles von dem, was heute staatlich geförderte Projektarbeit gegen Linksextremismus genannt wird, geht auf die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder (CDU) zurück. Sie setzte dabei auf die totalitarismustheoretische Extremismusexpertise der Politikwissenschaftler Eckhard Jesse und Uwe Backes. Jesse nutzt zur Erklärung seiner »Thesen« die Metapher des Hufeisens: Die gute demokratische Mitte werde von den Rändern links und rechts angegriffen, während sich die Ränder selbst einander annäherten. Wenn aber die Bedrohung, wie Jesse kontrafaktisch unterstellt, gleichermaßen von beiden Seiten komme, müsse der Staat sich eben auch gegen beide Seiten wehren. Noch existieren allerdings, schon aus Gründen von Markt und Menge, deutlich mehr staatlich geförderte Projekte zur Ausdünnung und Sortierung der rechts- als der linksradikalen Szene. Daraus folgt die politische Notwendigkeit, Förderanträge gegen Linksextremismus positiv zu bescheiden, egal, wie verrückt sie sind.

Merlin Wolf ist Herausgeber des Bandes Antifaschistische Pädagogik (Alibri 2018)