Ein Kinderspiel für Rechte

»Ekelhaft, Kinder zu instrumentalisieren. Hätte Hitler auch gemacht«, schrieb einer. »Indoktrinierte und hirngewaschene Kinder und Jugendliche« habe es in Deutschland »schon mal gegeben«, hieß es in einem anderen Kommentar. In einem weiteren fiel das Schlagwort »Goebbels von heute«.

So lauteten die Reaktionen auf ein Video, das der WDR kurz nach Weihnachten auf der Facebook-Seite seiner Radiowelle WDR 2 gepostet hatte. Darin zu sehen und zu hören: ein Kinderchor, der eine neue Version des Liedchens »Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad« aufführt – und darin heiter das nicht zwingend klimafreundliche Verhalten einer fiktiven Großmutter besingt (»Meine Oma ist ’ne alte Umweltsau«).

Dass die genannten Kommentare aus der rechtsextremen Szene stammten, war offensichtlich – zum einen wegen der Verharmlosung des Nationalsozialismus, zum anderen, weil Nazis hier mal wieder taten, was sie seit einigen Jahren lustvoll tun: politisch missliebige Personen als Nazis zu beschimpfen.

Jochen Rausch, Wellenchef bei WDR 2, ordnete die Reaktionen trotz solch überdeutlicher Signale indes harmlosen Stammhörern zu – und ließ das Video nach nur wenigen Stunden löschen. Rauschs Einknicken war der Auftakt eines Distanzierungsexzesses, den vor allem WDR-Intendant Thomas »Tom« Buhrow in den folgenden Tagen zelebrierte. Sogar die »New York Times« schaltete sich ein und schrieb über Buhrow: »Anstatt die Situation zu beruhigen, haben seine Kommentare sie erst angeheizt.«

Nicht nur Figuren vom rechten Rand, die die Empörung über das Video auf verschiedenen digitalen Wegen orchestriert hatten, nahmen das maximal harmlose Umweltsau-Lied zum Anlass, sich mit Pauken und Trompeten in Szene zu setzen. »Die Zeit« druckte einen Gastbeitrag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet, der die Kinderchorperformance kurzerhand zu einem journalistischen Beitrag umdeutete: »Wer politischen Diskurs als Konfrontation eskaliert, spielt ungewollt denen in die Hände, die unsere Gesellschaft ohnehin spalten wollen.« Kümmert sich ein Ministerpräsident um Kinderlieder, geht’s natürlich um mehr. Im Interview mit dem »Spiegel« sang Laschet dann auch eine Version des rechten »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen«-Gassenhauers: »Es kann nicht sein, dass Sie in Deutsch­land al­les kri­ti­sie­ren dür­fen, vom Papst ab­wärts – nur nicht die Bei­trä­ge des West­deut­schen Rund­funks.«

Die Umweltsau-Sache ist nicht das erste Beispiel dafür, dass es für die rechte Szene kinderleicht ist, von außen Einfluss auf den WDR zu nehmen. Im August 2018 hatte der Sender aus der Mediathek-Fassung der ARD-Sendung »Live nach neun« kurzzeitig Bilder gelöscht, die das parodistische Antifa-T-Shirt »Barista, Barista! Antifascista!« zeigten. Getragen hatte es ein Studiogast: der Barista Carlo Graf Bülow. Ein fleißiger Fernsehgucker, der dem rechtsextremen Netzwerk »Ein Prozent für unser Land« angehört, sah die Sendung und mobilisierte erfolgreich ein paar Kameraden für Proteste. Hier verhielt sich der WDR ähnlich wie in Sachen Umweltsau: Niemand prüfte, wer hier protestierte und wie die Welle an Reaktionen entstanden war. Die Recherche begann erst nach der Löschung (die man später rückgängig gemacht hat).

Zu was manche leitende Redakteure beim WDR in der Lage sein werden, wenn
sie mal jemand wirklich unter Druck setzt, möchte man dann lieber doch nicht wissen.

René Martens