VON konkret

Liebe Leserinnen und Leser,

im Sommer 2019 spekulierte Hermann L. Gremliza, was anlässlich seines Todes einmal in »Tageszeitung«, »Süddeutscher Zeitung« und »Welt« stehen könnte. Bei jeder Gelegenheit hatten sich die am System genesenen 68er und andere der deutschen Sprache unkundige Lohnschreiber bemüht, konkret und ihrem Herausgeber den vorzeitigen Totenschein auszustellen. Als sie nun erneut begruben, was sie bereits unter die Erde gebracht haben wollten, wiederholten sie die alten, bösen Lieder beinahe unverändert: Zwar konnten sie plötzlich großzügig einräumen, Gremliza sei ihnen sprachlich und gedanklich überlegen gewesen. Doch dass er fast immer recht hatte und bis zuletzt nicht käuflich war, das konnten sie, die im angeblichen Überlebenskampf alles und jeden verraten haben, ihm nicht nachsehen.

Weil Nachrufe also »ein Fall für den Kompost« (Gremliza) sind, steht in konkret an ihrer Stelle ein Text, den Michael Scharang anlässlich des siebzigsten Geburtstags seines besten Freundes verfasst und von dem dieser bestimmt hat, er solle nach seinem Tod erscheinen (Seite 3), sowie einige jener empörten bis wütenden Reaktionen, die ihm zeitlebens die schönste Bestätigung waren (Seite 6). Stefan Ripplinger beschreibt, wie Gremlizas Stil den mörderischen Schwachsinn der deutschen Presseorgane entlarvte (Seite 8). Die Seite, auf der 45 Jahre lang Gremlizas Kolumne zu lesen war, bleibt leer (in diesem Heft Seite 7). Auf der EXPRESS-Seite am Ende des Heftes erscheint eine kleine Auswahl dessen, was zwischen 1974 und 2019 an dieser Stelle zu lesen war. Geplant ist eine Gesamtausgabe der Texte Gremlizas, die in konkret und anderen Publikationen erschienen sind.

Wie es jetzt weitergeht? Seit der Neugründung 1974 war konkret Gremliza und Gremliza konkret. Als er starb, lag das Dezember-Heft mit seiner Kolumne und GREMLIZAS EXPRESS noch in den Buchhandlungen und Kiosken. Er war die Garantie dafür, dass das Blatt nie Teil irgendeiner Szene oder gar einer »progressiven und modernen Linken« (»Taz«) wurde, nie jene reaktionären Umwege beschritt, auf denen so viele Antideutsche sich auf dem Weg zur Festanstellung bei Springer und Co. andienten. Gremliza stellte sicher, dass »Legasthenie und Praxis«, so eine Überschrift in seinem 2016 erschienenen Bändchen Haupt- und Nebensätze, nicht zum Geschäft von konkret wurden beziehungsweise dass konkret nicht zum Geschäft wurde. Alle Versuche, konkret doch noch massen- oder zumindest szenetauglich zu machen, erledigte er in seiner Kolumne und dem EXPRESS. Wer diese gelesen hatte, wusste, was konkret ist: Ein Blatt, das Nazis Nazis nennt und sich weigert, zwischen jüngeren und älteren Exemplaren dieser Spezies zu differenzieren:

Was denn hätte die Geschichte lehren können, wenn nicht dies: dass man besser in Deckung geht, wenn Deutsche Deutsche wg. erwiesenen Deutschseins umarmen. (Hermann L. Gremliza in konkret 12/89)

Ein Blatt, das Stalin nicht vergisst, den deutschen Endsieg verhindert zu haben, das in der deutschen Verteufelung von Russen und Chinesen nur antikommunistische, geschichtsrevisionistische Ressentiments erkennt, das die (deutsche) Kritik an Israel als Antisemitismus identifiziert und trotz des Antisemitismus der Antiimperialisten nicht bestreitet, dass es Imperialismus gibt.

Wie es also weitergeht? Gremliza ersetzen kann niemand. Ohne seine Kolumne und seinen EXPRESS muss konkret insgesamt mehr Gremliza werden: nicht unbedingt jünger, weiblicher, queerer oder gar hipper, sondern einer sprachlichen und gedanklichen Qualität und Radikalität verpflichtet, die sicherstellen, dass in konkret auch weiterhin steht, was andere nicht wissen wollen und was aus diesem Grund nirgendwo sonst Platz fände.

Friederike Gremliza