Lernen von den Specials

… im Guten wie im Schlechten. Ein Wegweiser für linke Gruppen. Von Katrin Hildebrand



Es war einmal eine Band. Sie war berühmt und albern, politisch und witzig, libidinös und irgendwie verloren. Trotz des Rummels, der um sie herrschte, trotz ihrer bis ins Detail gestylten eitlen Outfits mit Porkpie-Hut, Anzug, Loafers und Doc Martens, blieb sie greifbar, nah am Menschen, nah an der sozialen Realität, nah an den meisten, die ihr zujubelten und mit ihr tanzten. Vier Jahre lang hielt die Band durch. Dann hassten sich ihre Mitglieder, beneideten einander, schlugen mit Gitarren auf Orgeln, hörten auf zu reden, intrigierten, bis sich drei schließlich still, heimlich und leise davonschlichen und ihre eigene, kaum mehr bedeutsame Sache machten. Einige wenige Verbliebene bäumten sich mit letzter Kraft noch einmal auf – um zu implodieren.

Die Geschichte der Specials aus Coventry ist prototypisch für das klassische Musikgeschäft. Immer wieder kam es zu kontroversen Ausstiegen und Auflösungen – von den Beatles über Oasis bis zu Modern Talking. Doch da die Specials nicht nur Musik machten, sondern von Anfang an Anspruch auf progressive politische und soziale Relevanz erhoben, sind sie auch prototypisch für Gruppen, die das tun, seien es Künstler oder Politaktivisten. Materiell betrachtet, wirkten auf die Ska-Band mit ihren antirassistischen, sozialistischen und gesellschaftskritischen Songs ähnliche Kräfte wie auf linke Gruppierungen. Der unablässige Wettbewerb, der Kampf um Pfründe und Einfluss, die ewige Angst vor dem persönlichen Untergang, machen keinen halt vor jenen, die genau das kritisieren, dagegen angehen und die Zusammenhänge ansatzweise verstanden haben. Ein rationales Bewusstsein schafft noch kein psychisches Bewusstsein, noch kein Vordringen in Sphären jenseits von Verstand, Vernunft und reiner Argumentation. Wer die Theorie des Kapitals, des Patriarchats und anderer menschlicher Gewalt- und Zwangssysteme kapiert hat, beherrscht deswegen noch lange nicht die psychische Praxis eines neuen sozialen Umgangs. Die Gesetze des bestehenden Elends haben sich tief im Unbewussten internalisiert.

In linken Politgruppen gibt es immer wieder Konflikte. Sie selbst – und meist auch Außenstehende – betrachten diese Konflikte gerne nur als Resultate inhaltlicher Positionen. Oft aber gibt es schnelle, ja, urplötzliche Positionswechsel innerhalb von Kollektiven, die nicht notwendig deduktiv verstehbar sind. Womöglich sind einige dieser Probleme viel grundlegender als der Austausch von Argumenten: materiell bedingt, gesellschaftlich manifestiert und auch an einer Popgruppe erkennbar, die vielversprechend startete und zerfleddert endete.

Es gibt viele linke Bands. Einige plumpe, einige elegante – und viele deutlich reflektiertere, dialektischere, intellektuellere als die Specials. Was sie in ihrer aufstrebenden Phase jedoch auszeichnete und ihnen eine einmalige Kraft verlieh, war ihre soziale Vielfalt. In die linksintellektuelle Sphäre übertragen, saß da eben nicht das Grüppchen antideutscher Bürgersöhne, die alle schon heimlich auf die Unikarriere und die Professur schielen, davor aber noch mal mächtig radikal vom Leder ziehen, um in ihrer männlichen Peergroup einen Spitzenplatz einzunehmen – oder zumindest das Lob der Patriarchen einzustreichen.

Bei den Specials trafen Welten aufeinander: Der Special mit der stursten künstlerischen Vision und politischen Position war Keyboarder Jerry Dammers, Sohn eines anglikanischen Geistlichen, überzeugter So-zialist und Antirassist, Exzentriker, eine Art weltanschauliches Wunderkind, erst Mod, dann Hippie, dann linker Skinhead. Schon als junger Teenie agierte er in den Sechzigern gegen die Apartheid und wurde von einem Lehrer als Kommunist beschimpft. Später zählte er das »Mad Magazine« zu den wichtigsten Einflüssen seines Lebens und wich damit, wenn auch leicht scherzhaft, vom klassisch bildungsbürgerlichen Dünkelkanon vieler linker Intellektuelleneliten ab. Einen komplett anderen Hintergrund brachten Toaster und Percussionist Neville Staple und Rhythmusgitarrist Lynval Golding ein: Beide waren als Kinder aus Jamaika nach Großbritannien gekommen. Ihr migrantisches Wissen paarte sich mit Erfahrungen von beinhartem Rassismus – Golding etwa wäre durch eine Messerattacke beinahe gestorben. Staple wiederum verfügte über Street Credibility, er bezeichnete sich selbst (nach einer jamaikanischen Jugendbewegung) als echten »rude boy«. Dazu gesellten sich weitere eigenwillige, seltsame und zum Teil gebrochene Individuen. Stark vereinfacht: ein schwer traumatisierter Leadsänger, ein hochintelligenter Drummer, ein adoptierter Bassist, ein aufbrausender Leadgitarrist, ein Musikus am Kornett, ein kubanischer Rastafari, deutlich älter als der Rest – und gegen Ende noch eine Woman of Colour. Es mischten sich Bürgertum, Unter- und Mittelschicht, sozial Diskriminierte, Künstlertypen und ein religiöser Spinner. Diese Heterogenität zählt sicher zu den Gründen,
warum sich der männliche Spiegel in der Band nie so stark etablieren konnte wie in universitär geprägten, intellektuellen linken Lese- und Vortragsgruppen, wo der Novize dem Patriarchen am liebsten Finger und Geschlechtsorgane abschlecken würde. Bei den Specials gab es keinen Patriarchen, höchstens irgendwann einen Diktator, dem die Untertanen davonrannten.

Erstaunlicherweise ist sogar in klassischen Rockbands der männliche Spiegel – eine Herrenrunde versichert sich gegenseitig des phallischen Glanzes – leicht gebrochen. Durch harte Drogen, durch Egomanie, durch eine homoerotische Hassliebe, vorzugsweise zwischen Sänger und Leadgitarrist, die die anderen Mitglieder auf die Plätze verweist. Ihren Narzissmus lassen die Platzhirsche lieber vom Publikum spiegeln, am Mikrofon und natürlich bei orgiastisch peinlichen Gitarrensoli. Immer wieder ein Lacher: Slashs ausführliches Masturbieren an den Saiten im Schmalzvideo »November Rain« von Guns n’ Roses.

Bei den Specials war das alles ein wenig anders. Zunächst waren sie nicht pathetisch. Und zusätzlich zu ihrer Heterogenität wiesen sie eine für eine Band recht eigenwillige Grundkonstellation auf. Ihr heimlicher Kopf und Visionär sang nicht, verging sich auch nicht an der Gitarre, er spielte Orgel und war, wenn es nicht um die Band ging, tapsig, desorganisiert und mit einem oft missverstandenen Humor gesegnet. Zudem verfügten sie nicht über einen, sondern über zwei Frontmänner und desavouierten so ein bisschen das Führerprinzip des Pop: Sänger Terry Hall litt an Depressionen, inszenierte sich jedoch nicht als Leidender. Er wirkte gehemmt, distanziert. Neville Staple besaß zwar Star-Appeal. Doch er hatte eine Hautfarbe, die nicht der rassistischen britischen Norm entsprach, pflegte eine Kasperlrolle und tanzte zu inbrünstig, um abgeklärt zu wirken. Die vergleichsweise schrullige Besetzung erlaubte es der Band zunächst, bei Konzerten als Kollektiv aufzutreten und Grenzen zu überwinden. Auf der Bühne wuselte es – nicht nur von Musikern, sondern in frühen Tagen auch von Fans. Die Specials erlaubten dem Publikum eine stage invasion. Einige alte Aufnahmen zeigen sogar Momente, in denen die Trennlinie von Künstler- und Zuschauerraum komplett fällt: Dammers Keyboard steht mitten im Publikum, die Tanzenden hindern ihn am Spielen, er lässt es geschehen und tanzt mit.

Dieser kommunistische Ansatz musste scheitern. Nicht nur, weil die stage invasion zu Verletzungen und Saalschlachten führte – meist wegen Trunkenheit und britischer rudeness, aber auch die National Front suchte einzelne Gigs heim und zeigte den Hitler-Gruß. Das Scheitern lag ebenso in der Band begründet: Die Specials hatten ihre nicht-autonomen Publikumssubjekte ebensowenig im Griff wie sich selbst. Denn neben den üblichen Musikbizproblemen – Tournee-stress, Drogen und von allem ein bisschen zuviel – sollten sie rasch merken, dass man das Kollektiv im Kapitalismus zwar gerne postulieren kann, das Postulat aber kippt, sobald die Materie voll zuschlägt.

Wenn das System eine systemkritische Gruppe niederringt, kann das verhältnismäßig harmlos sein und in Streit, Trennung und eine beschädigte Orgel münden wie bei den Specials. Es kann aber auch zur Hölle werden. Unter Druck von außen, unter Extrembedingungen gibt es grob gesagt zwei Möglichkeiten, wobei Möglichkeiten nicht im Sinne von Entscheidungsvielfalt gemeint ist, sondern: Wo fällt die psychologische Gruppendisposition hin? In Richtung Zusammenhalt oder in Richtung Zerstörung? Oft gibt es beides. Wie etwa bei den RAF-Gefangenen in Stammheim. Soweit es die, vorsichtig formuliert, »besonderen« Haftbedingungen erlaubten, arbeitete man zusammen, als vorbereitendes Kollektiv, und trat vor Gericht geschlossen auf. Doch gibt es genügend Hinweise, dass es zwischen den Gefangenen untereinander zu sadistischen Psychodynamiken kam, einzelne fertiggemacht wurden und der Hass, bedingt durch den Druck, die Isolation und die juristischen Entgleisungen des Staates, auch untereinander beizeiten wuchs.

Auf die Specials wirkte der Musikmarkt. Jerry Dammers, den Sozialismus fest vor Augen, wusste das zumindest in der Theorie. In der Praxis rang er verzweifelt um seine Ideale: Auf Tournee weigerte er sich, in fancy Hotels abzusteigen, nächtigte notfalls in Jugendherbergen und trieb den Manager damit in den Wahnsinn. Zudem zog er den Truck der Road Crew einer Bandlimousine vor und nahm notfalls ein Taxi, während die anderen im schicken Großraumwagen reisten. Einmal ließ er sogar Fans, die keine Unterkunft hatten, in seinem Hotelbett schlafen, und legte sich selbst auf den Boden. Auch hatte er seine Kollegen, um mehr Egalität zu schaffen, zunächst mehrfach da-zu animiert, selbst zu komponieren. Der Kapitalismus nämlich unterscheidet zwischen Songwriter und reinem Interpret, zwischen geistigem Eigentum und Handwerk. Wer komponiert und spielt, verdient in ei-ner Band mehr als einer, der nur spielt. Und da schlug die Materie zu, auch bei Dammers: So entbrannte im Lauf der Zeit unter denen, die Stücke schrieben, ein verkappter Kampf um die Royalties. Wie es das Wettbewerbs-system so wollte, erhielt bei einer Maxi die Person die größten Pfründe, deren Werk auf der A-Seite landete. Die B-Seite war weniger lukrativ.

Die allerletzte Maxi, ja, überhaupt die letzte Platte, die die Specials im Original-Line-up aufnahmen, sollte Songs dreier Autoren enthalten: ein Nachtlebenlied von Sänger Terry Hall, das Stück »Why?« von Gitarrist Lynval Golding über die Messerattacke und einen Song namens »Ghost Town« – alle eigentümlich fluffig und zugleich voller Tiefe. Musikgeschichte allerdings schrieb Dammers’ »Ghost Town«. Das Stück landete auf der A-Seite und brachte das Fass zum Überlaufen. Bei den Aufnahmen kam so viel Hass auf den »Diktator« Dammers hoch, dass Leadgitarrist Roddy Radiation ein Loch in die Wand des Studios schlug. Fast hätte der Betreiber und Tontechniker die Band rausgeschmissen. Die Specials gab es daraufhin nur noch sechs Monate. Im Oktober 1981 gründeten Hall, Staple und Golding eine eigene Gruppe und waren weg.



Getrennte Wege

Das Phänomen der Trennung gab es in der Linken Millionen Mal. Oft hatte es inhaltliche Gründe. Oft aber geht es hinter den Kulissen und ganz tief im Inneren um klassische Konkurrenz. Das muss nicht immer der vom Kapital geschürte Kampf um Posten und Pfründe sein, gerade in hochdialektischen Kreisen reicht schon die Konkurrenz um die avantgardistischste Position. So verlieren superintellektuelle Linke im geistigen Schwanzvergleich (Sorry, guys!) schnell jeglichen Bezug zur Materie, indem sie sich gegenseitig in pseudodialektischem Um-die-Ecke-Denken zu übertrumpfen suchen: In sophistischen Wortgefechten mit dem ideologisch gar nicht so weit entfernt stehenden Kombattanten werden schon mal Diktatoren und regierende Dumpfmuffen zu klammheimlichen Aufklärern hochstilisiert, um den Gegnern intellektuelle Überlegenheit zu demonstrieren. Andere linke Zirkel führen einen Kampf um die größte Hingabe (an eine bestimmte »Volksgruppe« oder ähnliches) oder den größten Opferstatus. So zersplittern sich Aktivist_innen in immer kleinere Identitätsgrüppchen und bekämpfen die ihnen nahestehenden Genoss_innen schlimmstenfalls mit größerer Vehemenz als die Nazis.

Zurück zu den Specials. Das Besondere an »Ghost Town« war nicht die Tatsache, dass der Song auf Platz eins der UK-Charts landete. Es ist ein kühles, gespenstisches und musikalisch avantgardistisches Lied gegen den Thatcherismus, die Armut, den Rassismus der britischen Gesellschaft und ihrer Autoritäten. Musikalisch ging Jerry Dammers, wie schon in einigen Songs auf dem zweiten Specials-Album, dessen Erscheinen sich in diesem Jahr zum 40. Mal jährt, über das ursprüngliche Erfolgskonzept der Band hinaus. Ska und Reggae, Postpunk und New Wave waberten zwar noch mit, doch dazu kam eine Art dunkler Loungejazz. Dammers hatte lange dafür gekämpft, diese Form von Easy Listening, die ihm auf Tour durch die USA im Alltag begegnet war, auf der LP »More Specials« zu integrieren. Seine Position: nicht beim Alten stehenbleiben; Kunst muss, wenn sie an der sozialen Realität dranbleiben will, mit der Geschichte und Materie voranschreiten und auf sie reagieren. Um dieses Prinzip durchzuboxen, begann er, entgegen seiner kollektivistischen Gesinnung, den eher traditionellen, am Rockabilly orientierten Kompositionsstil von Gitarrist Roddy unterzubuttern.

Daran offenbaren sich zwei grundlegende Probleme einer intellektuellen Gruppendynamik: das Fetischisieren eines ideologischen Fixpunktes und die Arroganz des Wissenden. Während ein Teil der Specials am britischen Ska-Revival-Sound festhalten wollte, der sie zu Legenden gemacht hatte, verlangte Dammers Mut zu Materialismus, Historizität und Entwicklung. Weil ein Teil der Band begann, Ska zu fetischisieren und damit nostalgisch zurückzuschreiten, entwickelte er sich zum Diktator. Eine Lose-lose-Situation für alle.

Im Grunde hatte der sozialistische Diktator ja recht. Materialistische Kunst und materialistische Politik können nicht stehenbleiben. Ein einmaliger Fixpunkt muss immer wieder hinterfragt werden und in verschiedenen Kontexten verhandelt. Denn nicht immer kommt diesem Fixpunkt in jedem Kontext die gleiche Wertigkeit zu. Einige Kreise würdigen etwa die USA wegen ihrer Rolle als Befreier im Zweiten Weltkrieg. Mit gutem Recht. Zum Fetisch aber wird das Ganze, wenn man alles, was in den USA passiert, vor diesem Hintergrund romantisch verklärt, wenn man die USA zum Heiland des Weltgeistes macht. Das Prinzip funktionierte ebenso mit der Sowjetunion, wenn’s blöd läuft, sogar mit Atlantis. Sogar den negativen Fetisch gibt es. So soll es Linke gegeben haben, die deutschen Faschismus und Nationalsozialismus nicht historisch, soziologisch, psychologisch deuten, sondern in den Genen vermuten. Vor allem hinter der erstgenannten Art Fetisch steckt freilich eine Sehnsucht nach dem Guten, Wahren und Schönen, aber auch die Sehnsucht nach dem Wettbewerbsvorteil, und sei es nur der ideelle, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen. Letztlich spaltete der Kampf um die moralisch richtige Seite auch die Specials. Ein Teil hielt an einem alten Fetisch fest, Jerry Dammers an der Kraft seiner Erkenntnis. Beide Seiten hatten gute Gründe. Getrennt hat sie ein Konkurrenzkampf, dem sie nicht gewachsen waren. Die Materie schlug zurück.

Nach dem Split der Specials formierte sich um Dammers die Band The Special AKA. Ihr Erbe ist zwiespältig, politisch wie musikalisch. Momente der Aufklärung stehen ideologischen Fehlschlüssen gegenüber. Ein Song allerdings ist musikhistorisch einmalig in seiner Drastik und politischen Brisanz. Im Original stammt er von der Ska-Frauenband The Bodysnatchers, die von Dammers gefördert worden war, aber bald zerfiel. Deren Frontfrau Rhoda Dakar war nun Mitglied von The Special AKA. Ihr Schreien am Ende von »The Boiler« lässt sich nicht beschreiben. Man muss den Song hören. Viele schaffen das nur ein Mal.

Katrin Hildebrand liebt besonders Sturschädel Jerry Dammers (trotz kleiner ideologischer Differenzen), kann aber kein spezielles Album empfehlen, da alle liebenswert chaotisch sind