Heiße Luft

So albern wie sein Anlassgeber: die Aufregung um die Lobbytätigkeit des Philipp Amthor. Von Johannes Creutzer

Wenn sie’s denn hätten wissen wollen, hätte der Name „Augustus Intelligence“ (AI) ihnen ein Hinweis sein können. Der CDU-Jungspund Philipp Amthor, der die auf künstliche Intelligenz spezialisierte Firma dem CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier als Empfängerin von Staatsaufträgen andienen wollte, stellt sich im nachhinein lieber als dummer August denn als geldgeiler Karrierist dar: „Es war ein Fehler“ – einer, nicht seiner – verkündete der 27jährige Ex-Shootingstar auf der gesamten social media-Bandbreite, obwohl er das als Jurist hat besser wissen müssen. Nach mehreren Geschäftstreffen zwischen AI und dem Ministerium erhielt er einen Direktorenposten bei AI, den er zwar als Nebenbeschäftigung anzeigte, aber nichts über die Vergütung verriet. Als Mitarbeiter einer Wirtschaftskanzlei in Berlin war ihm sicher nicht unbekannt, dass eine Vergütung über Aktienoptionen, die erst später realisiert werden, nicht direkt anzeigepflichtig ist.

Nach dem Bekanntwerden des Deals entschied Amthor sich dafür, zunächst lieber seine wirtschaftlichen Beziehungen als die politischen zu kappen, auch wenn sein Landesverband Mecklenburg-Vorpommern (MV) sich nun auf die Suche nach einem neuen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2021 machte. Vielleicht ist bis dahin ja alles vergessen. Oder vielleicht hofft Amthor, dass er den Neuen einmal bei der Jagd in den blühenden Landschaften von MV trifft, wo er, wie ein Großteil der übrigen Ost-CDU, seit 2018 ganz legal Böcke schießen darf.

Auch seinen Sitz im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz-Anschlag des Islamisten Anis Amri musste er räumen, weil einer der Hauptzeugen, der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, ebenfalls in die Geschäfte von AI verwickelt ist. Außerdem prüft mittlerweile der Generalstaatsanwalt, ob im Fall Amthor ein Anfangsverdacht auf Bestechlichkeit eines Mandatsträgers vorliegt.

Gegner und Parteikameraden stellen sich geschlossen hinter Amthor. Statt scharfer Kritik gibt es für den stets wie ein leicht erschrecktes Alfred-E.-Neumann-Häschen aus großen Augen und noch größerer Brille schauenden Ueckermünder viel Verständnis; er ist ja noch so jung, hat halt Mist gebaut, sei aber ein guter Typ; allenfalls bleibe zu klären, wer die Reisekosten für verschiedene hübsch gelegene Treffen mit AI übernahm.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Marco Buschmann hingegen sorgt sich vor allem darum, dass eine saubere Interessenvertretung, die ebenso wie der Lobbyismus zur Demokratie gehöre, durch die Amthors dieser Welt zu Unrecht in den Dreck gezogen werde. Hier liegt nämlich der Hase im Pfeffer – dumm angestellt hat sich der Amthor, wo andere es nicht anders, aber schlauer machen.

Sigmar Gabriel (SPD) etwa legte sein Bundestagsmandat nieder, bevor er als „Berater“ in der Privatwirtschaft so richtig durchstartete und neben der Deutschen Bank und Siemens Energy von März bis Mai 2020 auch den Fleischkonzern Tönnies für eine Pauschale von 10.000 Euro im Monat und anfallende Reisekosten beriet – offiziell zum chinesischen Markt, aber Tönnies hatte zu dieser Zeit bekanntlich einen größeren Beratungsbedarf (konkret 7/20).

Auch Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), wie Gabriel ehemaliger Bundesminister, brachte seine Wirtschaftskarriere erst nach der politischen so richtig auf Touren. Mittlerweile ist er ein umtriebiger Lobbyist, der seine alten Kontakte nutzt, um faule Eier wie Wirecard und AI dem deutschen Staat unterzujubeln. Bei AI ist der Freiherr sogar Anteilseigner und Präsident. „We bring Intelligence to you“ ist der Slogan der Firma, und abgesehen davon, dass sie Amthor nichts mitgebracht hat, ist Intelligenz bekanntermaßen im Gehirn nicht nachweisbar, künstliche noch weniger. Kein Wunder, dass AI nach Informationen des „Handelsblatts“ überhaupt keine Produkte, Kunden oder Umsätze verzeichnet.

Das vorhersehbare Spektakel der empörten Lobbyismus-Ankläger nervt die Anklagenden vermutlich längst selbst. Der Unterschied zwischen Leuten, die im Auftrag von Medienkonzernen größten Unsinn verbreiten und sich für die Autoindustrie oder Chemiekonzerne einsetzen, und dem so anrüchigen Lobbyismus ist marginal. Einiges ist verboten, vieles nicht, und Integrität ist höchstens noch was für alte weiße Noch-Kanzlerinnen. Das Gedächtnis der Wählerschaft ist nicht nur löchrig wie das Funknetz in MV, sondern glaubt sich selbst den Glauben an Politiker nicht mehr.

Amthors Slogan „Neuer Mut“ meint Mut zum Durchwurschteln, Mut zum christdemokratischen Überholmanöver rechts der AfD und Mut zum Luxus für hochgekommene Vertriebenenfreunde. Und Mut zum Kleinstskandal, denn der Skandal gehört zum guten Ruf. Auch und gerade in einer Zeit, in der der Politik angeblich immer weniger Vertrauen seitens der Bevölkerung entgegengebracht wird. Der kleine Philipp hat sich nach dem Debakelchen „im Fischland und auf dem Darß viele Gedanken gemacht“. Ob über die Ungerechtigkeit der Welt, die ihm verwehrt, was anderen zufällt, oder darüber, dass zum lebenslangen Lernen zum Glück auch lebenslanges Vergessen gehört – man weiß es nicht und will es auch nicht wissen.

Johannes Creutzer schrieb in konkret 7/20 über die deutsche Schlachtindustrie