VON konkret

Mit diesem Heft startet eine neue Rubrik. Unter der Überschrift »Mit Musik geht alles besser« erzählt der unfreie Künstler, Autor und Poptheoretiker Frank Apunkt Schneider die Geschichte der Bundesrepublik anhand ihrer Hitparaden.

Ob mit Erscheinen dieser Ausgabe der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, der sich bei den vergangenen Wahlen auf nicht eben subtile Weise das Präsidentenamt jedenfalls vorläufig gesichert hat, noch am Platz sitzt und sich also weiterhin »uneinsichtig zeigt« (»Süddeutsche Zeitung«) oder dem Befehl hiesiger Nachrichtenkanäle (»Treten Sie ab, Herr Diktator!«, NTV) und Grünen-Politiker (»Die Strategie, Lukaschenko mit Samthandschuhen anzufassen, ist gescheitert«, Robert Habeck) am Ende doch gefolgt sein wird, darüber mag die Redaktion nicht spekulieren. Eine Verteidigungsrede für den Mann mit dem Faible für überdimensionierte Militärmützen und dem Hang zur Widerrede gegen den hiesigen Anspruch auf wenigstens moralische Weltherrschaft hat es jedenfalls nicht mehr in dieses Heft geschafft. Es fehlte dafür erstens die Zeit, und zweitens kann eine kleine Hamburger Redaktion nicht für jeden ins Stolpern geratenen Autokraten die Public Relations regeln.

»In der Kommunikation mit dem Bundeskriminalamt und dem Bundespresseamt ist es zu Missverständnissen und Fehlern gekommen.« So entschuldigte sich der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer bei dem Journalisten Adil Yiğit, dem während des G20-Gipfels in Hamburg der Einlass zum Pressezentrum verwehrt worden war, für das »unbeabsichtigte Fehlverhalten der eingesetzten Polizeibediensteten«. Insgesamt waren von dem »Versehen« der Behörden 32 Journalistinnen und Journalisten betroffen, denen man die Akkreditierungsausweise entzog. Als potentielle Gefährder landeten sie auf einer schwarzen Liste.
Wie so etwas möglich ist, in einem Land, das nicht Belarus heißt und die Pressefreiheit allenthalben wie besoffen besingt? Wer so fragt, kann nicht wissen, dass den betroffenen Journalistinnen und Journalisten eine »linke Tendenz« unterstellt worden war. Und da kann der Spaß, den sich die Einheimischen aus ihrer Pressefreiheit machen, ganz schnell vorbei sein.

Heinz Bude, die wortreichste Sendepause unter den Soziologen, ist zum Gründungsdirektor des Documenta-Instituts ernannt worden. Die Frage, wie er die »deutlichen Verbindungen der Documenta in die NS-Vergangenheit angehen« will, beantwortet er so:
Wir wollen auf diese kontaminierten Ursprünge relativ bald von den Perspektiven des Ortes aus zu sprechen kommen.
Warum das?
Kassel ist in dreifacher Weise ein interessanter Ursprungsort für eine Ausstellung von Gegenwartskunst gewesen: Es war ein Ort an der Peripherie des Landes, wenn man von der Bundesrepublik von damals ausgeht. Zweitens ein Ort an der Systemgrenze zwischen den kapitalistischen und den sozialistischen Systemen. Es ist auch eine Art Aufstieg aus der Deckung gewesen: Kassel war einerseits schweren Bombardierungen ausgesetzt, auf der anderen Seite eine Nazi-Stadt.
Zugegeben, es lag auf der Hand: Am besten geht man die NS-Verbindungen der Documenta an, indem man zuerst eine Karte der Bundesrepublik rausholt, Kassel sucht und sich anschließend mit BRD und DDR und der Bombardierung durch die Alliierten beschäftigt.
Diese ganzen Fragen der Geschundenheit der Stadt, aber auch der Täterschaft, die sich in der Stadt verbreitet hat, ist (!) ein ganz wichtiger Punkt.

Aber am wichtigsten ist, dass diese ganzen Fragen – die nach den Schindern und die nach den Geschundenen – ein Punkt sind, unter dem der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu einem simplen Einerseits-Andererseits verkümmert.
Da kommt auch die Diagnose her, dass die erste documenta ein Kitt gewesen ist, dass man sich in die Gegenwartskunst gerettet hat, um den Zivilisationsbruch nicht zu deutlich werden zu lassen.
Da so eine Diagnose oft unsicher ist, holt Bude eine zweite Meinung ein:
Das wird eine wichtige Debatte sein, in der vor allen Dingen der Kritiker Werner Haftmann eine große Rolle spielen wird – eine interessante und vielgesichtige Figur. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Eine »interessante und vielgesichtige Figur« muss ein Nazi gewesen sein (Wikipedia: »Haftmann trat der NSDAP im Jahr 1937 bei, wie seine im Bundesarchiv befindliche Mitgliedskarte belegt«; siehe auch Georg Seeßlens Beitrag in konkret 4/20). Wenn Bude mit den »kontaminierten Ursprüngen« der Documenta fertig ist, wird die jedenfalls dekontaminiert sein: nicht nur sauber, sondern rein.

Termin:
Am 18. September trägt Thomas Ebermann unter dem Titel »Normalität, eine trostlose Hoffnung« vor und präsentiert Reflexionen zur Pandemie und dem größten Glücksversprechen unserer Zeit: dass, wenn wir alle geduldig, fleißig und opferbereit sind, Deutschland gestärkt aus dem Ungemach hervorgeht. Die Veranstaltung, die als Open-Air angekündigt ist, findet um 19 Uhr in München am Bootshaus der Naturfreunde, Zentralländstraße 16, statt.