»Von einigen Rechtsauslegern darf man sich nicht abschrecken lassen«

Interview mit der Wiener Politikwissenschaftlerin und Publizistin Natascha Strobl über rechte Meinungsmacher, Shitstorms und Frauenhass in Sozialen Medien

konkret: Sie sind Ende Juli von dem Krawall-Kolumnisten der »Welt«, Don Alphonso, vulgo: Rainer Meyer, übel angegriffen und diffamiert worden. Was ist da passiert?

Natascha Strobl: Es begann damit, dass ich zur Bewertung von zwei Bildern vom NDR angefragt wurde. Auf diesen waren offensichtlich Codes der Identitären Bewegung sowie Bücher eines rechtsextremen Verlags abgebildet. Ich habe diese Einschätzung genauso mitgeteilt. Es folgte die Frage, ob ein hohes Mitglied der Bundeswehr solche Bilder mit einem Like versehen sollte. Das habe ich verneint, denn natürlich darf man in so einer sensiblen Position keine rechtsextremen Inhalte gutheißen. Daraus wurde von der NDR-Redaktion ein Beitrag gemacht, in dem noch andere Expert*innen und Politiker*innen vorkamen, die zum Teil mit schärferen Worten das Verhalten des Bundeswehroffiziers kritisierten. Der rechte Mob hat sich aber schnell auf mich eingeschossen, da ich ohnehin eine Reizfigur für dieses Milieu bin.

Richtig schlimm wurde es, als Don Alphonso einen Artikel mit Unterstellungen, Halbwahrheiten und schlicht falschen Aussagen gegen meine Einlassungen im Panorama-Beitrag schrieb. Danach ging der Shitstorm richtig los, und er gipfelte in einer für mich nie erlebten Welle an Hass, Drohungen und verletzenden Eingriffen in meine Privatsphäre sowie Angriffen auf meine Familie.

Wie ging die Geschichte für Sie weiter?

Ich war anfangs wie gelähmt. Shitstorms vereinzeln und beschämen, und genau das habe ich auch gefühlt. Ich habe mich gefragt, warum mir das passiert, und die Fehler bei mir gesucht. Mein Mann und meine Freund*innen haben mir sehr geholfen. Sie haben etwa meinen Twitter-Account übernommen, um all die furchtbaren Dinge zu sammeln, ohne dass ich sie lesen musste. Gleichzeitig habe ich große Solidarität erfahren, und das hat mir sehr geholfen.

Wo ist die Grenze zwischen Kritik, der man sich zu stellen hätte, und Rufmord, wie ihn Meyer genüsslich und im Brustton der Rechtschaffenheit exekutiert?

Kritik darf scharf und forsch sein, muss aber auf einer Sachebene bleiben. Zum Beispiel ist es legitim zu sagen, dass ein Oberst der Bundeswehr diese Sachen in den Sozialen Netzwerken liken darf. Man kann auch der Ansicht sein, dass er Codes der Identitären nicht erkennen muss. Von mir aus diskutiere ich auch darüber, ob er sie kennen, aber nicht für schlimm erachten kann in seiner Position. Da würde ich heftig widersprechen, aber es wäre eine inhaltliche Auseinandersetzung, die ich bereit bin zu führen.

Ich würde zum Beispiel daran anknüpfend gerne eine Debatte über rechtsextreme Netzwerke in Polizei und Militär führen und darüber, wie destruktiv das bloße Vorhandensein dieser Netzwerke für die Demokratie ist. Wir müssen auch über strukturelle Bedingungen und die Ermöglichung dieser Netzwerke reden. Da ist ein Instagram-Like zwar tatsächlich fast nur eine Fußnote, aber der Fall liefert Anlass, über strukturelle und systemische Probleme zu sprechen.

Das ist nur leider – und ich behaupte, das ist auch so gewollt – überhaupt nicht möglich, da sofort auf jene verbal eingeprügelt wird, die diese notwendigen Fragen stellen.

Kann man sich gegen diese Hetze und solche Shitstorms und Einschüchterungskampagnen überhaupt wirksam zur Wehr setzen?

Die schlechte Nachricht ist: Man muss da durch. Hat erst einmal einer der rechten dog whistler den Mob herangepfiffen, hat man kaum mehr Kontrolle. Zum Eigenschutz kann man zum Beispiel auf Twitter mit einem Tool namens Chainblock alle Follower*innen eines Accounts blockieren. Das ist eine drastische Maßnahme, weil man sehr unspezifisch blockiert, aber es ist immerhin effektiv und kann den Shitstorm, der den eigenen Account sonst mit Wucht überschwemmt, abmildern.

Das Wichtigste ist aber Solidarität und Öffentlichkeit: Wenn man sieht, dass Leute in den Sozialen Netzwerken von solchen rechten Attacken in die Ecke gedrängt werden, sollte man für sie Partei ergreifen und sich solidarisieren. Im nächsten Schritt sind Organisationen wie Hate Aid (hateaid.org) sehr hilfreich, da sie durch den juristischen Prozess begleiten und Perspektiven eröffnen.

Sie haben darauf hingewiesen, dass im Visier der Aufwiegler*innen und ihrer Follower*innen immer wieder engagierte Frauen stehen: Warum ist das so?

Die kurze Antwort: tiefsitzende Misogynie. Ich beobachte und bespreche das mit männlichen Kollegen schon länger: Wenn die provokant unterwegs sind oder eine klar linke Position einnehmen, dann wird das von rechten Granden als interessantes »Spiel« auf Augenhöhe wahrgenommen. Frauen hingegen steht so etwas nicht zu, da es nicht zu der für sie vorgesehenen Rolle passt. Ähnliches trifft zum Beispiel auch auf Personen zu, denen zugeschrieben wird, dass sie nicht deutsch genug sind. Es wird von ihnen Unterwürfigkeit und Dankbarkeit dafür erwartet, dass man überhaupt mitreden darf. Die Provokation hingegen ist ein Privileg von wenigen Männern. Das Herausfordern von politischen Mainstreampositionen ist wichtig, weil nur so eine andere Welt und eine andere Zukunft denkbar werden. Von der kalkulierten Empörung einiger Rechtsausleger darf man sich nicht abschrecken lassen.

Wie muss man Typen wie diesen Meyer, aber auch seinen Chef, Ulf Poschardt, und ihresgleichen (zum Beispiel Henryk M. Broder) einschätzen? Welche Agenda verfolgen sie?

Sie fürchten um ihre gewohnte und für sie völlig selbstverständliche Diskurshoheit. Wir leben in einer Zeit, in der vieles neu verhandelt wird, und dazu zählt auch, dass Sichtweisen abseits des rechten Mainstreams größere Beachtung finden. Das macht diesen Menschen Angst, weil sie viel zu verlieren haben. Daraus spinnen sie einen Kulturkampf, in dem sie »das Abendland« bedroht sehen.

Damit stehen sie nicht allein: Dieses Spektrum, das zwischen offenem Rechtsextremismus und bürgerlichem Konservatismus oszilliert, existiert in vielen Staaten und sucht seinen gesellschaftlichen Einfluss über Diskurshegemonie. Diese Leute greifen den ohnehin brüchigen gesellschaftlichen Konsens mit wohlkalkulierten Attacken an. Das führt dazu, dass nach und nach autoritäre Logiken immer plausibler erscheinen und zunehmend als neue Normalität angenommen werden.

Diese Leute sehen Deutschland im Griff einer linksextremistischen Nomenklatura, eines verderblichen 68er-Mainstreams. So sehen das auch die sogenannten Querdenker und Corona-Skeptiker, die derzeit Schulter an Schulter mit dem organisierten Neonazismus marschieren.

Das ist eine der beeindruckendsten rechten Denkfiguren. Trotz hochdotierter Posten und Publikationsmöglichkeiten in reichweitenstarken Medien hält man die eigene Position für unterdrückt. Prekär arbeitende freie Journalist*innen, Aktivist*innen oder Wissenschaftler*innen werden dagegen als ausgesprochen mächtig phantasiert. Gerade diejenigen also, die zur gesellschaftlichen Elite zählen und für den Status quo, der rechts ist und derzeit ins Autoritäre und Antidemokratische zu kippen droht, verantwortlich sind, halten sich für marginalisiert.

Diese Haltung passt zu vielen Mobilisierungen der letzten Jahre. Pegida, die Montagsmahnwachen oder die sogenannten Hygienedemos befördern diese Weltsicht. Allen ist gemein, dass sie ein relativ heterogenes Spektrum an Personen und Organisationen vereinigen und sich nicht als rechts verstehen, sondern ihrem Selbstverständnis nach gegen einen vermeintlich linken Mainstream kämpfen. Das ist viel anschlussfähiger als eine offen völkische Agenda, deren Inhalte aber natürlich transportiert werden.

Wie geht es bei Ihnen jetzt weiter? Gehen Sie zur Tagesordnung über oder hat sich etwas verändert?

Die Lage hat sich zum Glück etwas beruhigt. Ich habe ein starkes Netz, auf das ich zurückgreifen kann. Ich weiß natürlich, dass die Einschüchterungsversuche und Angriffe System haben und ich nicht die Erste bin und nicht die Letzte sein werde, die davon betroffen ist. Dementsprechend versuche ich, solidarisch zu sein, wo immer ich kann.

Ich mache weiter, weil ich mich gerne politisch engagiere, weil ich gut darin bin und weil ich denke, dass es wichtig ist.

Interview: Friedrich C. Burschel