Sprengt die Scheiße in die Luft

Eine junge Regisseurin hat ihre Antifa-Vergangenheit aufbereitet. Dabei herausgekommen ist ein Film, in dem striktes Humorverbot herrscht. Von Bernhard Torsch

Die 20jährige Luisa (Mala Emde), eine Tochter aus reichem Landadel, zieht in die Stadt, um Jura zu studieren, vor allem aber, um wieder gemeinsam mit ihrer Jugendfreundin Batte (Luisa-Céline Gaffron) abzuhängen. Die lebt in einem alternativen Wohn- und Kulturzentrum. Dort sind die Bewohner zunächst gegen die Neue, schwenken aber sofort um, als sie erfahren, dass Luisa Juristin werden will, denn so jemanden kann man ja immer brauchen. In der Groß-WG geht außerdem die lokale Antifa der körperlichen Ertüchtigung wie auch dem Partymachen nach, und so dauert es nicht lange, bis Luisas Blick auf die gestählten Muskeln des Wortführers Alfa (Noah Saavedra) fällt. Der, wie sie aus wohlhabendem Elternhaus stammend, gibt dann während des Films den Radikalen, während der proletarische Lenor (Tonio Schneider) eher zu Mäßigung mahnt und vor den Konsequenzen allzu militanter Aktionen warnt. Nachdem Luisa bei einer Demo gegen einen Nazi-Aufmarsch von einem Faschisten beinahe vergewaltigt wird, tendiert sie mehr zu Alfas Sicht der Dinge. Bald schon werden die Aktionen der kleinen Gruppe gefährlicher, bis sie aus Versehen in einem Nazi-Haus Sprengstoff klaut, der dem Verfassungsschutz gehört, woraufhin der Staat sich für die jungen Antifaschistinnen zu interessieren beginnt.

Die Regisseurin, Julia von Heinz, verarbeitet hier ihre eigene Antifa-Vergangenheit, was immerhin für ein bisschen Authentizität sorgt, was die Darstellung der erbarmungswürdigen ideologischen, emotionalen und politischen Verhältnisse innerhalb der radikalen Linken angeht, der keine Perspektive mehr verblieben ist, als manchmal noch ein paar Nazis zu verkloppen oder deren Autos zu beschädigen, die aber von einer anderen Welt als der kapitalistischen nicht mal mehr zu träumen wagt. Dies wird etwa an der als desillusioniertes Wrack gezeichneten Figur eines Sanitäters deutlich, der einst in den Revolutionären Zellen aktiv war und nun eine Art Notfallarzt und guter Onkel für Luisas Gruppe ist.

Dies ist ein deutscher Film, der sich eines ernsten Themas annimmt, weswegen striktes Humorverbot herrscht. Nichts darf hier leicht sein, alles ist furchtbar ernst und nachdenklich und letztlich Krieg, sogar die Partys und erst recht die Liebe. Vielleicht ist das auch gut so, denn die Wahl zwischen deutschem Depressionskino und deutschem Komödienkino stellt man sich am besten als Gary-Larson-Karikatur vor, in der ein Filmkritiker in der Hölle landet und vor die Wahl gestellt wird, sich entweder das eine oder das andere für den Rest der Ewigkeit ansehen zu müssen. Dies ist auch so etwas, das deutsche Kulturproduzenten im semi-ernsthaften Bereich nie verstanden haben: Die Ungeheuerlichkeit von Auschwitz lehrt nicht, freudlos und deprimiert zu sein, sie lehrt gar nichts. Zumindest ist es lustig, dass die Darsteller teils genauso lächerliche »Ich bin nach 1990 geboren und komme aus dem Villenviertel«-Namen haben wie ihre Kunstfiguren: Mala, Noah, Tonio, Luisa-Céline.

Als im Film ein Abstecher zur Familie seiner Protagonistin gemacht und dabei gezeigt wird, wie Luisas reiche Eltern an jenem rituellen Abschlachten teilnehmen, das seit Jahrhunderten der Bespaßung und körperlichen Ertüchtigung der herrschenden Klasse dient, der Jagd nämlich, kommt Energie in die Bilder. Wie diese ihren SUVs entstiegenen Ausgeburten jener Hölle, in der die unteren Klassen leben müssen, in teure Lodenmäntel gewandet arglose Tiere abknallen, dazu die Jagdhörner erschallen lassen und sich dann, umgeben von frischen Tierkadavern, fromm bekreuzigen, ist eine Bloßstellung der Bourgeoisie und ihres mörderisch-psychotischen Charakters, wie sie auch das tatsächlich radikale französische oder italienische Kino der 1960er und 1970er Jahre kaum besser inszenieren hätte können. Zugute zu halten ist dem Film auch, Neonazis als das zu zeigen, was sie sind: psychisch und moralisch verrottetes Mordsgesindel, das sich als Herrenmenschen phantasiert.

Ihre Figuren wären schablonenhaft, wurde der Regisseurin vorgeworfen. Tatsächlich erfährt man arg wenig über die Beweg- und Hintergründe der handelnden Personen. Das mag das deutsche Kino einfach nicht lernen. Es ist gar nicht nötig, jeder Figur eine romanhafte Backstory zu verpassen, es würde reichen, ein paar wenige, aber richtige Sätze einzubauen. Aber gut, nehmen wir halt, was wir gezeigt kriegen, nämlich junge Leute, die gegen Nazis sind und es nicht beim Quasseln belassen wollen. Die Nebencharaktere bleichen aber schon stark aus, und man kann nur raten, was diese neben dem Begehr, der »Heldin« zu gefallen, an- und umtreibt.

Am Schluss geht die Regisseurin nicht den einfachen Weg, der ihr das Lob der bürgerlichen Presse wie auch künftige Fördermittel garantieren würde, sondern lässt die Geschichte so eskalieren, wie einst Michelangelo Antonionis »Zabriskie Point« eskalierte, nur dass »Und morgen die ganze Welt« die schlechtere Filmmusik aufweist: Als der deutsche Staat sich auch gegenüber den zurückhaltenderen Figuren des Films als nicht gerade antifaschistisch offenbart, greift die Antifa-Gruppe statt zu Farbbeuteln zu Sprengstoff. In der stärksten Szene des Films genügen ein paar exakt richtig inszenierte Blicke, die die Darsteller einander zuwerfen, während sie von der Polizei misshandelt werden, um die Zusehenden fühlen zu lassen: »Ja, das bringt alles nix, sprengt die Scheiße in die Luft!«

Rätselhaft bleibt allerdings der Filmtitel. Warum sich ausgerechnet bei Hans Baumanns Nazi-Hymne bedienen? Nicht, dass es nicht erkennbar wäre, dass dies die Dringlichkeit des Antifaschismus unterstreichen soll, aber muss man den von Alt- und Neonazis so gerne geschmetterten Triumphgesang des Zwölfjährigen Reiches ausgerechnet im Titel eines Films zitieren, der sich mit dem Widerstand gegen die braunen Zombies befasst?

»Und morgen die ganze Welt«. Deutschland/Frankreich 2020; Regie: Julia von Heinz; mit Mala Emde, Luisa-Céline Gaffron; 111 Minuten; ab 29.Oktober im Kino

Bernhard Torsch schrieb in konkret 8/20 darüber, wie in Kitschromanen der Holocaust trivialisiert wird