»Unsre Ehre sei die Treue!«

Die Heidelberger Burschenschaft Normannia ist nach einer antisemitischen Attacke unter Druck geraten. Von Michael Csaszkóczy

In der Nacht vom 28. auf den 29. August 2020 wird »auf dem Haus« der »Burschenschaft Normannia zu Heidelberg« das jährliche Stiftungsfest begangen. Zu später Stunde steigt die Stimmung: Ein Mitglied einer anderen schlagenden Heidelberger Verbindung erwähnt, dass sein Großvater jüdischer Herkunft gewesen sei. Daraufhin wird er antisemitisch beschimpft, mit Münzen beworfen und schließlich mit Gürteln ausgepeitscht. Treibende Kraft der Misshandlung ist der Sprecher der Aktivitas, der zugleich Funktionär der Identitären Bewegung ist. Keiner der Anwesenden schreitet ein. Der Verletzte kann sich retten und erstattet Anzeige.

Wer die Burschenschaft Normannia kennt, den kann dieser Vorfall kaum überraschen. Seit mehr als 30 Jahren weisen antifaschistische Gruppen auf neonazistische Aktivitäten dieser Verbindung hin. Von der AfD bis zur neonazistischen Kameradschaftsszene, von islamischen Antisemiten bis zur rechtskatholischen Piusbruderschaft, vom rechten Rand der CDU bis zur organisierten Holocaustleugner-Szene – hier ist jeder willkommen, solange er die Nazi-Vergangenheit verharmlost und antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet.

Die Normannia wurde 1886 gegründet, kurz bevor der Dachverband der Burschenschaften seine ersten antisemitischen Grundsatzbeschlüsse fasste und die verbliebenen jüdischen Burschenschafter endgültig davongejagt wurden. Seit den 20er Jahren bestimmte August Hirt die Politik der Verbindung, deren »Bundesführer« er 1933 wurde. Wenige Jahre später machte er als SS-Arzt im KZ Natzweiler-Struthof Karriere. Hirt ist nicht nur berüchtigt für seine Menschenversuche, sondern auch für die von ihm angelegte »Sammlung der Schädel von jüdisch-bolschewistischen Kommissaren«. Wie die Normannia es mit ihrer Vergangenheit hält, kann man in ihren Selbstdarstellungen nachlesen. Die Normannenchronik etwa berichtet über das Jahr 1933, die »politische Umwälzung« sei »überwiegend positiv aufgenommen« worden, »zumal auch die Befürchtung, die den Nationalsozialisten verhassten Farben Schwarz-Rot-Gold könnten Anstoß erregen und verboten werden, sich als grundlos erwies. Positiv bewertet wurde die Freigabe der Mensuren.«

In einer Festschrift zum Universitätsjubiläum hält die Normannia anderen, verschämter argumentierenden Verbindungen entgegen, »dass die NS-Studentenpolitik von der Mehrzahl der Betroffenen nicht als Verfolgung empfunden wurde … Nicht wenige, vor allem junge Menschen, glaubten aus idealistischer Grundhaltung an die neue Zeit.« Allen Unstimmigkeiten über Gleichschaltungsfragen zum Trotz vermerkt die Chronik, dass auch nach der Umbenennung zur NS-Kameradschaft noch bis nach 1937 Farben getragen und Mensuren geschlagen wurden. Und 1959, zehn Jahre nach der Wiederzulassung der Burschenschaften in der BRD, widmet ein »Alter Herr« seiner Normannia ein im Vereinsblatt abgedrucktes Gedicht: »Doch dass keiner es bereue: Unsre Ehre sei die Treue!«

Bis ins aktuelle Jahrtausend tummelt sich in der Altherrenschaft der Normannia alles, was rechts und organisiert ist: von NPD-Funktionären über die Kameradschaftsszene bis hin zu Republikanern, AfD und Werteunion. Da ist zum Beispiel Christian Schaar, lange Jahre Vorsitzender der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO), die die europaweit größten Nazi-Aufmärsche in Dresden organisierte. Oder der Nazi-Anwalt Klaus Goebel, der sich nicht nur beruflich auf die Verteidigung von Nazi-Verbrechern und Holocaustleugnern spezialisiert hatte, sondern sich auch in der neonazistischen »Stillen Hilfe« und der »Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Hess« engagierte.

All das haben Antifagruppen seit Jahrzehnten ausführlich dokumentiert und Polizei und Presse geflissentlich ignoriert. Auch der jüngste Vorfall wäre kaum eine Meldung wert gewesen, hätte nicht die »Rhein-Neckar-Zeitung« berichtet, dass es eine Hausdurchsuchung im Verbindungshaus gegeben hatte. Die Staatsanwaltschaft griff zu einer kuriosen Rechtfertigung: Bei der »Gürtelung« handele es sich um ein altes burschenschaftliches Ritual. Von diesem Ritual hatte allerdings außer der Staatsanwaltschaft und den Tätern niemand je zuvor gehört. Ein kurz darauf auftauchender Wikipedia-Beitrag zum Stichwort »Gürtelung« wurde umgehend wieder gelöscht.

Die Normannia musste davon ausgehen, auch diesmal Rückendeckung durch Polizei, Staatsanwaltschaft und »Verfassungsschutz« zu erhalten. Schließlich hatte der Polizeifunktionär und stellvertretende Mannheimer CDU-Vorsitzende Egon Manz, vor kurzem Altherrenvorsitzender der Burschenschaft, noch ein Foto, das einen Bundesbruder in froher Runde beim Hitlergruß zeigt, zu rechtfertigen versucht. Doch diesmal war der öffentliche Druck so groß, dass die Altherrenschaft sich genötigt sah, ihre Aktivitas aufzulösen. Auch einige Heidelberger Korporationen distanzierten sich nun zögerlich.

Entscheidend dafür, dass es diesmal anders lief, waren der Antisemitismusbeauftragte des Landes, Michael Blume, und seine Forderung, »die Netzwerke, die in den Staatsdienst reichen bis hin zu Polizei und Justiz, endlich aufzuklären«. Die Altherrenschaft betonte daraufhin in einer Presseerklärung, sie werde künftig eine »Synthese aus traditionellen und burschenschaftlichen Werten und Anforderungen einer modernen bürgerlichen Leistungsgesellschaft« anstreben. Trotzdem habe sie niemanden ausgeschlossen: Einige Mitglieder seien gegangen, weil sie den neu zur Schau getragenen Kurs nicht mittragen wollten, für den man sich neben allerlei deutschnationalem Gepluster auf die beliebte Formel geeinigt hat, man sei sich »der Verbrechen des Nationalsozialismus bewusst und bekenne sich zu der daraus resultierenden besonderen Verantwortung Deutschlands für die Opfer des Nationalsozialismus«.

Michael Csaszkóczy schrieb in konkret 2/19 über das Verbot der linken Solidaritätsorganisation Rote Hilfe