»2020 war ein irres Jahr«

Die polnische Regierung will das bereits sehr restriktive Abtreibungsgesetz verschärfen. konkret sprach darüber mit Mara Clarke, der Gründerin von Abortion Support Network, einer in Großbritannien ansässigen NGO, die Menschen bei einer Abtreibung im Ausland finanziell unterstützt.

 

 

konkret: Was macht Ihre NGO?

Mara Clarke: Ich habe das Abortion Support Network gegründet, um Frauen in Ländern mit restriktiven Abtreibungsgesetzen zu helfen. Wir haben 2009 in Irland, Nordirland und auf der Isle of Man begonnen, unsere Tätigkeit Anfang 2019 auf Malta und Gibraltar ausgeweitet und im September 2019 zusammen mit fünf anderen Organisationen Abortion Without Borders gestartet, um Frauen in Polen zu helfen, die einen Abbruch vornehmen lassen wollen. Unsere Dienste bestehen aus Informationen darüber, wo und wie man einen sicheren und günstigen Abbruch bekommt, wir übernehmen Reisekosten, und vor Covid haben wir die Unterbringung in Privathaushalten organisiert. Das ist an manchen Orten noch möglich, in England zur Zeit leider nicht. Seither bezahlen wir auch Hotelübernachtungen. Wir erklären den Frauen, wie sie vom Flughafen zur Klinik kommen oder welche Unterlagen sie mitbringen müssen. Wir sind wie eine sehr spezialisierte Reiseagentur.

 

Welche Staaten haben die restriktivsten Abtreibungsgesetze?

Malta. Vielleicht, weil sie dort Frauen hassen. Aber eine liberale Gesetzgebung garantiert nicht, dass Frauen auch Zugang zu einem Abbruch haben. Italien zum Beispiel hat tolle, sehr liberale Abtreibungsgesetze, nur weigern sich 70 Prozent der Ärzte dort, eine Abtreibung durchzuführen. Aber blickt man nur auf die Gesetzgebung, führen Malta und Andorra die Liste an: Dort sind sogar Abtreibungen illegal, die das Leben einer Frau retten. Es folgt Gibraltar, wo Abbrüche nur dann, wenn das Leben der Schwangeren auf dem Spiel steht, legal sind. Danach kam bis vor kurzem Nordirland, aber dort haben sie am 21. Oktober 2019 das Gesetz geändert. Und dann kommt Polen, wo Abtreibungen im Fall von Vergewaltigung und Inzest, wenn das Leben der Frau auf dem Spiel steht und – bis zur Veröffentlichung der neuen Gesetzgebung – bei Fehlbildungen des Fötus theoretisch legal sind. Denn dass Abtreibungen in diesen Fällen offiziell legal sind, heißt nicht, dass sie leicht zugänglich sind.

Die polnische Organisation für Familienplanung heißt Federa und kämpft weniger für bessere Abtreibungsgesetze als dafür, dass Ärzte legale Abtreibungen auch durchführen. Durchschnittlich gibt es in Polen im Jahr zwischen 1.000 und 2.000 legale Abtreibungen. Bei einer Bevölkerung von knapp 38 Millionen Menschen ist das fast nichts. 98 Prozent dieser Abtreibungen werden aufgrund von Fehlbildungen des Fötus vorgenommen. In Polen machen viele Ärzte so lange Tests, bis die Frist, innerhalb derer ein Abbruch noch möglich wäre, abgelaufen ist.

 

Zum Protest gegen die neue Gesetzgebung hat sich eine große Allianz formiert …

Das ist wunderbar. Einige dieser Demonstranten haben die Telefonnummer unserer Organisation skandiert und sie überall in Polen an die Wand gesprüht: an Kirchentüren, Busstationen, auf die Bürgersteige. Das ist toll, jetzt wissen Frauen überall in Polen, an wen sie sich wenden können, wenn sie einen Abbruch brauchen.

Diese große Allianz, der auch Leute angehören, die nie für eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung waren, resultiert vermutlich daraus, dass die Regierung und die katholische Kirche in Polen zu weit gegangen sind, und zwar in Bezug sowohl auf LGBT-Rechte als auch auf die Abtreibungsregelungen. Bisher konnten sie so tun, als hätten Frauen Zugang zu »guten« Abtreibungen. Das ist natürlich Blödsinn, aber viele Leute glauben, dass es »gute« und »schlechte« Abtreibungen gibt: Wenn jemand vergewaltigt wurde zum Beispiel, ist das eine »gute« Abtreibung, auch wenn mit dem Baby etwas nicht stimmt, glauben viele Konservative, dass es in Ordnung ist abzutreiben.

 

Als Polen noch sozialistisch war, hatte es die gleiche progressive Abtreibungspolitik wie alle anderen RGW-Staaten. Wieso hat ausgerechnet Polen sie rückgängig
gemacht?

Das weiß ich nicht. Aber was ich weiß, ist: Zehn Jahre nachdem Polen Abtreibungen für illegal erklärte, das war zehn Jahre nachdem Südafrika Abtreibungen legalisiert hatte, war es einfacher, eine illegale Abtreibung in Polen zu bekommen als eine legale in Südafrika. Mittlerweile ist das nicht mehr so. Aber damals gab es in Polen viele Ärzte, die illegale Abbrüche vorgenommen haben. Das war nur teuer. Und das ist das Problem: Es ist fast immer möglich, irgendwo einen Abbruch vornehmen zu lassen. Manchmal muss man dafür ins Ausland reisen, manchmal gibt es gute Ärzte, die illegal Abbrüche machen. Das können sich nur viele Frauen nicht leisten. Aus diesem Grund gibt es uns: Dass man kein Geld hat, sollte nie der Grund dafür sein, ein Kind zu bekommen. Heute schicken wir polnische Frauen, die sich an uns wenden, nach Deutschland und, wenn sie jenseits der 14. Woche schwanger sind, in die Niederlande, nach England und manchmal nach Spanien. Bei Frauen, die einen ernstlich fehlgebildeten Fötus haben, versuchen wir, Krankenhäuser zu finden, die internationale Patientinnen jenseits der 24. Schwangerschaftswoche aufnehmen. Bis jetzt können wir sie noch nach England schicken. Mal sehen, was nach dem 31. Dezember passiert.

2020 war ein irres Jahr. Wir haben im September 2019 Abortion Without Borders gegründet, und dann hat die Welt die Grenzen und auch alles andere dichtgemacht.
In dieser Zeit haben uns ganze zwei Leute kontaktiert.

 

Warum ist Abtreibung so ein wichtiges Thema für die Rechte?

Immer wenn die Rechten am Zug sind, geht es gegen Frauen und Kinder, und Frauen und Kindern schadet man am schnellsten und einfachsten, indem man arme Frauen zwingt, mehr Kinder zu bekommen, als sie sich leisten können.