Wir wollen diese Satire

Deutschland lacht über Jana aus Kassel und Sophie Scholl. Von Moritz Hürtgen

Im November stieg Jana aus Kassel bei einer »Querdenker«-Demonstration vor fünf Zuschauern auf eine Bühne und verglich ihren »Widerstand« gegen die »Coronapolitik« mit dem der Sophie Scholl gegen die Nationalsozialisten. Selbst einem Herren, der weiß Gott warum als Ordner auf dieser Veranstaltung war, ging das zu weit: Er warf seine Warnweste hin und Jana »Verharmlosung des Holocausts« vor. Ein Video des Vorfalls ging bald viral, weil es im November noch viele Nutzer gab, die nicht damit gerechnet hätten, dass auf diesen Demos nur kruder Mist aus kruden Köpfen sich ergießt. Es folgten online unzählige weitere Richtigstellungen, die sich ungefähr mit der des Ordners deckten.

Bei »Titanic« war uns der Anlass zu nichtig für eine Reaktion: Dass Mundnasenmasken die neuen Judensterne sind, war im Sommer schon ein alter Hut, das konnte der Vergleich mit Scholl nicht mehr übertreffen. Andere Satirebetreiber reagierten flink: »Erste Sophie-Scholl-Schule benennt sich in Jana-aus-Kassel-Schule um«, schrieb die Satire-Webseite »Der Postillon« solide, unzählige Twitter-User scherzten in dieselbe Kerbe. Warum nicht! Die bereits mehrmals verhaltensauffällig gewordene Anti-Rechts-Initiative »Hooligans gegen Satzbau« konnte das noch toppen – und postete an knapp 200.000 begeisterte Facebook-Fans ein Sharepic, auf dem die echte Sophie Scholl zu sehen war und »Ja, hallo, ich bin die Sophie (21) aus Forchtenberg, und ich fühle mich wie die Ji… Je… Jana aus Kassel« stottern musste. Sophie Scholl als Meme, die Weiße Rose auf einem digitalen Jux-Bildchen. Ein bisschen mehr ging aber immer noch, weshalb Scholl in Böhmermanns »ZDF Magazin Royale« auftreten musste, genauer: in »Jana aus Kassel – Das Musical«. Da trällerte zunächst eine Sängerin als Jana aus Kassel, bis eine schwarzweiß eingefärbte falsche Sophie Scholl aus ihrer Münchner Gefängniszelle heraus als Duettpartnerin neckisch über Janas Erfolg in den Youtube-Trends einstimmte.

Dazu ein paar Fragen: Jana aus Kassel darf es nicht – aber weil Böhmermann auf Musicals steht, darf sich Tage später im ZDF eine Sängerin als Sophie Scholl ausgeben? Reicht jetzt überhaupt der lächerlichste Anlass aus, um NS-Opfern wie Scholl nach kurzer Konferenz im Gag-Autoren-Slack Worte und Melodien in den Mund zu legen? Schließlich: Was soll die Scheiße? Die versöhnliche Antwort lautet: Die totale Gedankenlosigkeit in der deutschen Satire treibt die der deutschen Janas eben auf die Spitze. Gelungen! Chapeau und Respekt!

Moritz Hürtgen