VON konkret

Der antifaschistische Schutzwall war nicht nur ein Garant für relativen Frieden und dafür, dass dem Kapital wenigstens ein Teil der Welt nicht unterworfen war, sondern auch dafür, dass Deutschland nicht wieder zu jener Größe heranwuchs, in der es die Welt das Fürchten gelehrt hatte. Der Bau der Mauer im August vor 60 Jahren lässt sich nicht besser feiern als mit Peter Hacks’ Gedicht »Das Vaterland«, das konkret 12/98 in der Reihe »Jetztzeit« abdruckte:

Das Vaterland

So wie das Einhorn vor den Geistern allen

Hervorsticht durch Empfindsamkeit und Wissen,

Wie der Demant vor minderen Kristallen,

Der Kaviar vor sonstigen Leckerbissen,

So wie der Panther vor den Waldnaturen

Und Greta Garbo vor den andern Huren,

So stach einmal mein liebes Vaterland

Unter den Reichen dieser Welt hervor.

Das Land, wo keiner darbte, keiner fror.

Das Land, wo jeder Dach und Arbeit fand.

Wie lob ich es? Wie enden, wie beginnen?

Ich sage, es war ganz und gar bei Sinnen.

Wer reifen wollte, war befugt zu hoffen.

Die Seelen nahmen Form an und die Leiber.

Dem Ärmsten stand die höchste Stelle offen.

Was Männer durften, durften auch die Weiber.

Und weder Aberglauben, weder Schulden

Fand sich sein stolzes Herz bereit zu dulden.

Und keine Krankheit, wenn sie heilbar war,

Blieb von der Kunst der Ärzte ungeheilt.

Und kein Verdruss, sofern er teilbar war,

Ward redlich nicht von Fürst und Volk geteilt.

Kein Eigentümer konnte uns befehlen,

Zu seinem Vorteil selbst uns zu bestehlen.

Wie aufgeklärt hier alles. Wie durchheitert.

Wie voller Frische, voller Ahnungen.

Ins Morgen ward die Gegenwart erweitert

Des Vaterlands durch seine Planungen.

Es ist ein Hochgenuss, von ihm zu sprechen.

Es war ein Staat und scheute das Verbrechen.

Wer kann die Pyramiden überstrahlen?

Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?

Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen

Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.

Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.

Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.

Das war das Land, in dem ich nicht geboren,

Das Land, in dem ich nicht erzogen bin.

Das ich mir frei zum Vaterland erkoren,

Dass bis zum Grab ich atmete darin.

Das mit dem Grab hat sich nun auch zerschlagen.

Doch war das Glück mit meinen Mannestagen.

In dieser Hundewelt geht vieles ohne

Ideen, aber nichts ohne Spione.

Schuld, dass ich alles deutlich offenbare,

Schuld trug das KGB. Wohl zwanzig Jahre

Hat insgeheim mit Langley oder Harvard

Es über unsern Untergang palavert.

Die Sowjetmacht, sie schenkte uns das Leben.

Sie hat uns auch den Todesstoß gegeben.

Nur täuscht euch nicht. Russland und wir, wir beiden,

Sind niemals, auch nicht durch Verrat, zu scheiden.

So viel für jetzt. So viel zum künftig schwierigen

Verhältnis zwischen Preußen und Sibirien.

Fremd ist die Sonne, die mir heute leuchtet.

Und bloß im sich versenkenden Gemüte

Seh ich die Landschaft, die hier vormals blühte.

Nicht immer bleibt mein Auge unbefeuchtet.

Man weint um Hellas. Sonst geschieht es selten,

Dass einer Staatseinrichtung Tränen gelten.

Und derer lasst mich denken, die es schufen,

Das Vaterland, ihm Hirn und Willen liehen,

Es kräftigend zu menschlichsten Behufen.

Kaum einer ist mehr. Lasst mich nicht verziehen,

Als Greis dem Sterbenden mich mitzuteilen.

Für Alfred Neumann schrieb ich diese Zeilen.

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Eulenspiegel-Verlags)

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