Rechtsgrün versifft

Ein Team um den Soziologen Oliver Nachtwey hat untersucht, aus welchem politischen Spektrum sich die Querdenken-Bewegung in Baden-Württemberg rekrutiert. Von Elena Wolf

Eines muss man den Schwaben lassen: Sie posaunen laut und deutlich ihre Meinung heraus, auch wenn sie damit eine Menge Leute gegen sich aufbringen. Niemand in Baden-Württemberg, der sich für Politik interessiert, kommt zum Beispiel um den Namen Helmut Palmer herum, den legendären »Remstal-Rebellen« und Vater des grünen Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer. Als »Politikerschreck« wurde er von kritischen Geistern seit den sechziger Jahren über drei Jahrzehnte lang für seine spektakulären Aktionen und sein aggressives, medienwirksames Aufbegehren gegen Autoritäten, Nazis, Bürokratie und Eliten gefeiert – und von den Herrschenden gehasst. Dreihundertmal hatte sich das »Maschinengewehr der politischen Agitation« um öffentliche Ämter beworben. Wilde Prozesse, geniale Politikerbeleidigungen, Auseinandersetzungen mit der Polizei und Aufenthalte im Gefängnis waren Teil seines Lebens.

Vielen im Land gilt der militante Pomologe bis heute als unbeugsamer Kämpfer für die Demokratie in einer Zeit, in der es um das Vertrauen in parlamentarische Institutionen nicht gut bestellt war. Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen und der Sorge vor dem wirtschaftlichen Niedergang Westeuropas erschien der Sohn eines jüdischen Vaters als Sprachrohr des Politikverdrusses. Bei seiner letzten Inhaftierung wegen Beamtenbeleidigung im Jahr 2000 schleppte der Siebzigjährige ein riesiges Holzkreuz auf den »schwäbischen Demokratenbuckel«, wie der Hohenasperg samt Gefängnis auch genannt wird, trug dabei eine selbstgestaltete KZ-Uniform samt Judenstern und der Aufschrift »1/2 Jude, vergessen zu vergasen«. Ob Helmut Palmer, der 2004 starb, heute mit dem Querdenker Michael Ballweg auf einer Stuttgarter Bühne für das Grundgesetz und gegen die Corona-Maßnahmen gekämpft hätte?

Es ist schon verrückt: Im Jahr 2021 fühlen sich die sogenannten Querdenker offenbar in einer ganz ähnlichen Situation wie der Vater aller Wutbürger in den neunziger Jahren: Politik, Medien, Wirtschaft voller Systemlinge; »die da oben« wollen uns verarschen; alles Seggl, außer ich. Doch obwohl Palmer die Schwaben Jahrzehnte auf Trab hielt, Regierung wie Volk zwang, sich mit ihrem Verständnis von Demokratie auseinanderzusetzen, war er doch stets ein Einzelkämpfer. Eine kritische Masse konnte der egozentrische Vollzeitbruddler nie hinter sich bringen.

Das ist mit der Querdenken-Bewegung, die kürzlich Gegenstand einer soziologischen Studie von Oliver Nachtwey und Nadine Frei wurde, ein bisschen anders. Nachtwey, Frei und ihr Team haben die Geburtsstätte der Corona-Proteste in Baden-Württemberg untersucht, um herauszufinden, wo deren Wurzeln liegen. Denn Corona-Proteste sind auch im Hinblick auf die »Nippie«-Demos in Österreich, bei denen es zur endgültigen Fusion von Rechtsradikalen und Eso-Hippies kam, so absurde Phänomene, dass niemand mehr wirklich weiß, wo oben und unten ist.

Laut der aktuellen Studie ist die Brezel schnell gebuttert: Vom »politischen Standpunkt aus«, so Nachtwey und Co., handle es sich um eine Bewegung, »die von links kommt und nach rechts geht«. Dominiert sei Querdenken in Baden-Württemberg vor allem von anthroposophischen und esoterischen Milieus, die hier dank Waldorfschulen und der esoterischen Lehre des Kristallflüsterers und Rassisten Rudolf Steiner tatsächlich seit über 100 Jahren hoch im Kurs stehen.

Aus einer nicht repräsentativen Mischung aus Umfragen in einschlägigen Telegram-Gruppen, Interviews bei Demonstrationen und Expertengesprächen geht hervor: Bei der Bundestagswahl 2017 haben 23 Prozent der Querdenker/innen grün gewählt, 18 Prozent links, 15 Prozent AfD. 27 Prozent der Befragten wollten bei der nächsten Bundestagswahl der AfD ihre Stimme geben; 61 Prozent planten, bei folgenden Wahlen für nichtetablierte Kleinstparteien zu stimmen. Tenor: Seit die Grünen zu »den Eliten« gehören würden und nicht mehr »anti« seien, seien viele Querdenker/innen enttäuscht, ja entfremdet. Während sich Anthros und andere Kristallwesen früher noch in der Öko-Partei zu Hause gefühlt haben, ist der grüne Drops für sie spätestens mit der neuen Bundesregierung gelutscht. Jetzt wird eben Die Basis oder AfD gewählt. Linke gehören laut Studie für Querdenker/innen nämlich schon lange zum »Establishment«.

Doch was schwurbeln sich Rundfunkanstalten wie der SWR und Zeitungen wie die »FAZ« aus der Studie zusammen? »Querdenker im Südwesten haben linke Wurzeln.« Dabei ist der eigentliche Witz doch: Die enttäuschten »Anthros« und »Esos«, die die süddeutschen Querdenken-Proteste dominieren, sind Rechte! Keine Neonazis, aber Rechte mit antisemitischen, rassistischen Weltbildern, die mit ihren scheinmedizinischen Ideen der Lebensreformbewegung, einer langen Tradition aus Impfverweigerung, Homöopathie und Sozialdarwinismus nah dran sind an der NS-Rassentheorie. Kleiner Reminder: Epidemien sind laut Anthroposophen-Gott Rudolf Steiner auf »niedere Rassen« wie die »mongolische Rasse«, »Negerseelen« und ihre teuflischen »Lügendämonen« zurückzuführen, mit denen sie aufgrund ihrer karmischen Verkommenheit Weiße infizieren. Auch heute sind Anthroposophen und Anthroposophinnen davon überzeugt, dass Corona ein Karmaproblem schlecht reinkarnierter Untermenschen sei.

All das hält die grüne Landesspitze in Baden-Württemberg natürlich nicht davon ab, beim 100. Geburtstag der ersten Waldorfschule in Stuttgart mit einer Festrede auch Steiner ausführlich zu würdigen. Damit ist und bleibt kruder Schwurbelwahnsinn fest in Baden-Württemberg verankert, was letztlich zur Verzerrung von Studien führt und eine Wahrheit verschleiert, die freilich schwer zu schlucken und statistisch schwer erfassbar ist: Die Querdenken-Bewegung und ihre konformistischen Rebellen und irrationalen Autoritäten sind rechtsgrün versifft. Es ist eine Bewegung von rechts nach ganz rechts.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage, ob sich Remstal-Rebell Palmer mit Querdenken solidarisiert hätte, dann aber recht absurd. Gab es doch nur eine Autorität, der er stets vertraute: sich selbst.

Elena Wolf schrieb in konkret 1/21 über den Verschwörungsfilm »Hold up«