Die Betriebsphilosophin

Andreas Lugauer über Svenja Flaßpöhler, die noch zu jedem Thema fundiert eine reaktionäre Meinung beisteuert.

Svenja Flaßpöhler, die Chefredakteurin des »Philosophie-Magazins«, hat sich zur nahezu unvermeidlichen Figur gemacht. Kaum eine »Debatte« lärmt mehr ohne sie. Frank Plasberg etwa lädt zu »Hart, aber fair« für die »Diskussion« über eine mögliche Corona-Impfpflicht nicht nur eine Pandemiebeauftragte, einen Immunologen und einen Ministerpräsidenten ein, mithin Personen, die entweder etwas wissen oder etwas zu sagen haben. Nein, am Pult steht auch die promovierte Philosophin mit ihrem wohl transzendental deduzierten Auftrag, zu jedem beliebigen Thema philosophisch verbrämt eine reaktionäre Meinung beizusteuern. Die ARD ist schließlich auf ihr Publikum verpflichtet. Da Hubert Aiwanger nach erfolglos beendetem Bundestagswahlkampf nicht mehr zur Verfügung steht, wenn es darum geht, dass irgendeine Betriebsnudel die Corona-Impfung als rein »persönliche Entscheidung« bezeichnen soll, macht das nun eben Flaßpöhler. Dass eine Impfentscheidung, wenn es um infektiöse, noch dazu gefährliche und potentiell tödliche Krankheiten geht, nicht nur eine persönliche, sondern auch – und das in ungleich höherem Maße – eine soziale Entscheidung ist, kann nicht zugestehen, wer wie Flaßpöhler zu den Aposteln der »Eigenverantwortung« freidemokratischer Prägung gehört.

Schon in der #Metoo-»Debatte« 2018 wurde für Flaßpöhlers Geschmack zuwenig differenziert: Man müsse doch wohl noch unterscheiden zwischen sexueller Nötigung und Vergewaltigung einerseits und läppischer sexueller Belästigung andererseits. Gegen letztere könne und solle frau sich gefälligst zur Wehr setzen, statt erst alles über sich ergehen zu lassen und sich dann via Social Media zu beschweren. Mutig ging Flaßpöhler gegen die Frau an sich in den philosophischen Widerstand, entzündete die Fackeln »Autonomie«, »Aktivität« und »Potenz« und leuchtete ihren Geschlechtsgenossinnen den Weg aus der bequemen Opferecke. Die Frau müsse sich zum Subjekt ermächtigen, statt sich weiter zum bloßen Objekt machen zu lassen. Ganz so, als würde nicht nach wie vor jeder der zahlreichen Femizide zum »Beziehungsdrama« schöngelogen. Flaßpöhlers zugehöriges Sachbuch Die potente Frau beflötete der notorische Chauvinist Denis Scheck denn auch mit einer Buchempfehlung. Die Autorin dieser »klugen Streitschrift«, ja dieses »kritischen Zwischenrufs« stellte er gar in eine Reihe mit Simone de Beauvoir und Judith Butler. Drunter tut er’s natürlich nicht, operiert damit aber schon fast auf dem philosophischen Niveau von Flaßpöhler.

Der Hochglanzmagazin-Philosophin geht gegen den Strich, dass nicht alle in der Zukunft ein wohliges Früher einrichten wollen. Ihr zufolge maßen es sich viel zu viele an, sich gegen traditionelle Unterdrückung und Benachteiligungen mit anderen Mitteln aufzulehnen als mittels »Eigenverantwortung« und individueller Selbstermächtigung. Ihren neuerlichen Angriff auf emanzipatorische Bewegungen hat sie in einen 240-Seiter gegossen, an dem nur erstaunt, dass er keinen »Wie wir …«-Untertitel trägt: Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren. Das freute ihren Bruder im Geiste, den »TV-Philosophen« Richard David Precht, und schon diskutieren beide in Prechts ZDF-Sendung zum aufgeknallert betitelten Thema: »Sensibilisieren wir uns zu Tode?« Precht beschreibt eingangs eine Spaltung zwischen Gender-, Black-Lives-Matter- und Metoo-Gedöns auf der einen und, Luxemburg zum Gruße, Andersdenkenden auf der anderen Seite. Ob es denn nicht langsam reiche mit all den Empfindsamkeiten und Empfindlichkeiten irgendwelcher Möchtegern-Betroffener, impliziert er. Um einen Eindruck davon zu vermitteln, wie es in Flaßpöhlers Kopf zugeht, sei im vollständigen Wortlaut zitiert, was ihr daraufhin, nach ganzen zwei Gesprächsminuten, einfällt:

Wir müssen natürlich auch dahin kommen, dass wir nicht nur die Betroffenenperspektive zulassen – die ist unbedingt notwendig, ja, das kann man übrigens auch daran sehen, dass ja wirklich, wenn wir uns noch mal erinnern an den Holocaust, ja, da hat man ja am Anfang immer gesagt: »Ja, ihr Juden, ihr könnt ja eh nichts sagen zu dem ganzen Problem, ihr wart da ja viel zu nah dran«, ja. Also daran sieht man, wie wichtig das ist, dass man die Betroffenenperspektive auch erst mal hört. Aber: Unbedingt notwendig ist es, diese Betroffenenperspektive zu vermitteln mit einer Nichtbetroffenenperspektive, zum einen, weil wir alle in dieser Gesellschaft leben und miteinander klarkommen müssen, aber natürlich auch, weil beide Positionen etwas
sehen, was die jeweils andere nicht sieht. Also dieses Spiel »Ich sehe was, was du nicht siehst«, das müssten wir eigentlich miteinander spielen.

Der Umgang mit den Opfern – »wenn wir uns noch mal erinnern« – des Holocaust, herabgesunken zum locker-flockig-peppig herbeizitierten, ebensoschnell erwähnten wie wieder vergessenen Vergleichsobjekt im Gespräch zweier Gerneschlaus. Man frage Flaßpöhler besser nicht zur »Perspektive« der vom Holocaust Nichtbetroffenen, zu Schlimmes und Dummes lassen ihre Äußerungen befürchten.

Lieber schauen wir uns Flaßpöhlers »Philosophie-Magazin« an. Das Cover dieser Illustrierten fragt: »Kann Philosophie mein Leben ändern?« Gut neoliberal ist hier selbstverständlich der individuelle Nutzen von Philosophie zentral, mit einem geschickten Kniff (»ändern« statt »verändern«) setzt man sich von der handelsüblichen Lebenshilfeliteratur ab. Die Reklame verrät wie stets, welche Zielgruppe angepeilt wird: rückseitig eine Uhr (ab 1.460 Euro), auf Seite 2 ein Kolleg für ein »Orientierungsjahr mit Studium generale und Outdoor Education am Bodensee« (laut Webseite für 26.600 Euro), auf der vorletzten Seite Prof. Dr. Dr. h. c. Julian Nida-Rümelin (Deutscher Ethikrat und Kulturstaatsminister im Kabinett Schröder I) und sein Masterstudiengang »Philosophie Politik Wirtschaft« (»Denken Sie sich weiter«). Dazwischen zwei (!) Anzeigen für Flaßpöhlers aktuelles Buch und eine »Redaktions«-Empfehlung desselben obendrauf. Die Anzeigen unterscheiden sich von den redaktionellen Inhalten insofern, als die Werber ihre lästige Profession beherrschen und sie nicht nur auf Drittsemester-Bachelor-Niveau betreiben. Das also stellt der Betrieb sich unter Philosophie vor.