Selbsthilfe

Das Buch Kritik am Mitmensch zwingt zum Nachdenken über die eigene Wichserhaftigkeit. Von Elena Wolf

Da sitzt sie und schreibt kluge Sätze in ihr lachhaft teures Airbook. Drückt sich ihre Ray-Ban-Designerarschlochbrille über den fettigen Nasenrücken zurück an die Stirn. Werkelt ebenso aufschneiderisch wie selbstgefällig an jedem ihrer Sätze, als würde mehr als nur ihr eigener Narzissmus davon abhängen. Verdammtes Rezensentenpack. Die Griffel gehören ihr eingeklemmt in ihrem Wichsbook. Bis sich ihre blutigen Fingernägel ablösen wie Erich Fromm von der Freudschen Orthodoxie.

So oder ähnlich könnte einer der 30 Tadel lauten, mit denen die Vollzeitpunks Ferdinand Führer und Roland van Oystern in ihrem Büchlein Kritik am Mitmensch üben – und ihre Leserschaft damit des Hauptverbrechens sämtlicher Sackgesichter überführen: der Besserwisserei. »Der Dativ von ›Mitmensch‹ ist aber ›Mitmenschen‹, gell!« Oh, halt einfach deine Fresse, Mitmensch, und hau ab! Doch »wo auch immer der Mensch zu verweilen erwägt, ist schon so einer. So ein Mitmensch. Keine Hoffnung gibt’s für den. Nur Tränen, die zu Boden fallen«, konstatieren Führer und van Oystern – und haben sich dabei wahrscheinlich halb dumm gelacht.

Für ihre Kurzepisoden, die seit 2020 in »Titanic« erscheinen, haben sich die Autoren die 30 ätzendsten Subjekte herausgepickt und sezieren mit wunderbarer Detailtreue das gigantische Hasspotential, das ihren Mitmenschen innewohnt. Das eigene Kind zum Beispiel, »hinter seinem Kaufladen, das Kommerzschwein. Will Verkaufen spielen. Will Eisessen spielen. Der Mensch will aber kein Scheiß-Holzklotzeis essen. Der Mensch will richtiges Eis essen. Oder schlafen.« Da ist der Deutschrock-Fan: Als Anhänger der »untersten Kaste des Rock« frönt er »identitätsstiftendem Männlichkeits-Schlager für geistig Abgehängte« und geht einmal im Jahr beim Festival den Menschen mit seinem Partypatriotismus auf den Sack. »Nicht aus Zufall ist der Heavygruß nur zwei Finger vom Hitlergruß entfernt.« Ein Mitmensch ist schlimmer als der andere. Und das Schlimmste ist: Jeder von uns ist einer von ihnen.

Deshalb ist dieses illustrierte Horrorkabinett der zermürbendsten Nervensägen auch ein Selbsthilfebuch. Denn die Beobachtungsmeister Führer und van Oystern zwingen uns zu schmerzhaftem Nachdenken – in der zarten Hoffnung, uns dazu zu animieren, »den eigenen Charakter ... in Richtung Erträglich zu navigieren«.

Ferdinand Führer/Roland van Oystern: Kritik am Mitmensch. Illustrationen: Lisbert. Ventil-Verlag, Mainz 2021, 64 Seiten, 20 Euro