Sex und Schnee im KaDeWe

Die ARD hat eine »queere History-Serie« produziert. Ein Abrat von Bernhard Torsch

Jedes Jahr zur Weihnachtszeit begibt es sich aufs neue, dass die ARD eine mehrteilige Eigenproduktion auf das Publikum loslässt. 2021 hat man sich die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts vorgenommen, da die einerseits gerade 100 Jahre her sind und andererseits der Stoßseufzer »wie Weimar« zum Grundvokabular all jener gehört, die heute Parallelen zum damaligen Aufstieg des Faschismus zu erkennen meinen. Also produzierte die ARD den Sechsteiler »Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit«. Wer mag, kann ihn sich in der ARD-Mediathek ansehen.

Regisseurin und Drehbuchautorin Julia von Heinz, die 2020 das zu großen Teilen verunglückte Antifa-Filmchen »Und morgen die ganze Welt« zu verantworten hatte, schien der ARD geeignet, ein opulentes Historiendrama zu inszenieren. Die Serie dreht sich um vier Personen, die alle mit dem Berliner Kaufhaus des Westens verbunden sind: Hedi (Valerie Stoll), eine Verkäuferin im KaDeWe, die mit ihrem einbeinigen Vater und ihrer Schwester Mücke, die das Down-Syndrom hat, im Slum wohnt; Fritzi (Lia von Blarer), Tochter des Kaufhauseigentümers Adolf Jandorf, die sich in Hedi verliebt und eine lesbische Beziehung mit ihr beginnt; Harry (Joel Basman), kriegstraumatisierter sowie kokain- und sexsüchtiger Sohn von Jandorf; Georg (Damian Thüne), Prokurist des KaDeWe. Hedi und Fritzi, deren Liebesgeschichte im Zentrum der Serie steht, sind fiktive Figuren, wobei die übrigen ihren historischen Vorbildern dermaßen frei nachempfunden sind, dass auch sie in der realen Historie kaum fundiert sind.

Historisch akkurat will »Eldorado KaDeWe« freilich gar nicht sein. Von Heinz legt ihre Serie mehr als Warnung vor aktuellen politischen Entwicklungen an. Schon der Titelzusatz »Jetzt ist unsere Zeit« gibt da, wenig subtil, den ersten Hinweis. Gegenwart und Geschichte stoßen aber auch visuell immer wieder aneinander. So tauchen regelmäßig Elemente des Berlins unserer Tage in der Serie auf. Mal fahren moderne Autos vorbei, mal sind Wände voller Graffiti, mal wird in Clubs zu Techno gezappelt. Das kann man machen, und es stört auch nicht den Erzählfluss, aber es ist weniger clever, als von Heinz hoffen mag. Ja, es gibt derzeit einen globalen Backlash gegen die hart erkämpften Rechte von Frauen und sexuellen Minderheiten, doch ob das wirklich vergleichbar ist mit dem Aufstieg der mörderischsten Ideologie der Weltgeschichte, ja ob man das überhaupt vergleichen sollte, sind Fragen, die sich bei der ARD offenbar niemand gestellt hat.

Und da liegt eine der großen Schwächen der Serie. Nie schafft sie es, die Bedrohung, die in Gestalt der NSDAP heraufzieht, mit der notwendigen Deutlich- und Dringlichkeit darzustellen. Die Nazis, die wir hier sehen, sind zwar unsympathisch, stellen aber nicht viel an, außer ein paar queere Nachtlokale zu schließen und Juden relativ freundlich und mit finanziellem Zuckerbrot aus dem Geschäftsleben zu drängen. Der einzige Nazi, den wir näher kennenlernen, ist Hedis Verlobter, der auf Betreiben von Hedis jüdischer Geliebter seinen Job im KaDeWe verliert. Warum von Heinz den Antisemitismus dieser Nazi-Figur erzählerisch rationalisiert, obwohl doch bekannt sein sollte, dass am Antisemitismus nichts rational ist, wäre ebenso interessant zu wissen wie die Gründe für die bemerkenswerte Entscheidung, von allen Figuren und Nebenfiguren nur eine, nämlich Hedis Schwester Mücke (toll gespielt von Neele Buchholz), von den Nazis ermorden zu lassen. Dieser im Abspann angezeigte Tod ist umso verstörender, als die Serie Schönheit im Sinne einer möglichst großen Übereinstimmung von Körpern mit Idealvorstellungen zu einer Tugend an sich erhebt. Dass alle »Schönen« überleben, nur die »nicht schöne« Mücke nicht, ist eine möglicherweise unbewusste Entscheidung einer Regisseurin, die Sexszenen inszeniert, bei deren ästhetischer Glattheit sich die Frage stellt, was diesen angeblichen female gaze vom male gaze unterscheidet.

Überhaupt – alles schön hier: die Menschen, die Partys, die Arbeit, die Prostitution. Das ist so unfassbar ignorant gegenüber der Lebensrealität des Großteils der Bevölkerung in den zwanziger Jahren, zu der auch die hier mitunter humoristisch dargestellte Elendsprostitution gehörte, dass man versucht ist, die Regisseurin mit soziologischen Klassikern zu beliefern, damit sie was lernen kann. Nach deren Lektüre würde sie vielleicht auch den Klassenaspekt nicht mehr so konsequent ausblenden, wie sie es in »Eldorado KaDeWe« macht. Es gibt mexikanische und türkische Telenovelas, die mehr soziales und politisches Bewusstsein haben als diese ARD-Produktion.

Nur schwer zu ertragen sind auch die immer wieder rezitierten Gedichte von Else Lasker-Schüler. Deren schwärmerische Dichterei, die schon Franz Kafka verabscheute und die uns bis heute in einer direkten Linie über Gottfried Benn bis zu Konstantin Wecker mit hedonistischem Sehnsuchtsgeklingel verfolgt, ist unschwer als Hauptinspirationsquelle der Regisseurin zu erkennen. Und so apolitisch und überreizt wie Lasker-Schülers Poetik ist die ganze Serie dann auch, wobei die versponnene Sprache der Dichterin bis in die Dialoge der Figuren vordringt, weswegen die vielfach reden, wie kein Mensch außerhalb schlechter Gedichte redet. All das und die Darstellung jüdischer Figuren als von Sexualtrieb, Drogen und dem Willen zum geschäftlichen Erfolg gesteuerte Karikaturen machen diese Serie zu einem großen Missvergnügen.

»Eldorado KaDeWe«; ARD-Mediathek; sechs Folgen à circa 45 Minuten; bis 27. März

Bernhard Torsch schrieb in konkret 12/21 über den Kinofilm »Plan A«