Alarmstufe Apokalypse

Die Ökobewegung Der Aufstand der letzten Generation raubt den Deutschen auch noch den letzten Nerv. Von Elena Wolf

Bilder sagen mehr als tausend Worte«, betitelte Kurt Tucholsky im Jahr 1926 seinen Text im Trendmagazin »Uhu«. Vor allem die Bilder, die Momentaufnahmen erschaffen, hatten es ihm angetan. Die »Augenblicksfotografien«, in denen der Mensch keine Komödie spiele, sich nicht verstelle, wahrhaftig sei. Immer dann, wenn ihm aus Versehen das Gesicht entgleist. »Eine Momentaufnahme ist die fixierte Blamage einer unvorsichtigen Bewegung, eines schiefen Lächelns, einer sorgsam versteckten Beobachtung … Plötzlich ist alles am Tage.«

Rund 100 Jahre später kursieren Bilder im Internet, auf denen zu sehen ist, wie ein dicker Mittvierziger einem drahtigen Klimaaktivisten von der Letzten Generation mitten ins Gesicht schlägt, während er »Los, verpiss dich, wir müssen arbeiten!« schreit. Der Studentenbengel blockierte mit einer Handvoll Mitgliedern einer Klimaprotestbewegung die Straße, auf der der prügelnde Schreihals mit seinem Auto auf dem Weg zur Arbeit war. Auch auf vielen anderen Aufnahmen sieht man Männer, die aus Lkw und Autos steigen und die Sitzenden wegzerren, stoßen und wie leblose Puppen über den Asphalt schleifen. Niemand greift ein. Deutschland hasst im Kollektiv – die Kommentarspalten in den Sozialen Medien sind voll von Bosheit und Häme gegen ein paar Leute, die auf Straßen sitzen. Nur so könne man die Regierung dazu zwingen, die bevorstehende Auslöschung der Menschheit durch die Klimakatastrophe schneller zu bekämpfen, behauptet die Letzte Generation.

Um nichts Geringeres geht es dem »Aufstand« einer kleinen, aber effektiven Gruppe junger Klimafreaks, die bereit sind, für die Rettung der Erde in den Knast zu gehen. Fridays for Future, schön und gut. Aber Demos und labern reicht halt nicht, seit Pandemie und Krieg die Titelseiten bestimmen. Jetzt wird dem deutschen Affen Zucker gegeben, um sein obligatorisches Geschrei medial verstärkt bis in den Bundestag zu leiten. Und es funktioniert. Zumindest kennt man die Endzeitnervensägen dort schon von ihrem Hungerstreik im Wahlkampf anlässlich der Bundestagswahl 2021. Da hatten sie der Regierung ein Ultimatum gestellt: Entweder Scholz, Baerbock beziehungsweise Laschet reden mit ihnen über »den Mord an der jungen Generation« und kümmern sich sofort um »100 Prozent regenerative Landwirtschaft« – oder man hungert sich im Spreebogenpark des Berliner Regierungsviertels vielleicht zu Tode. Scholz erbarmte sich irgendwann und sprach nach seiner Wahl zum Bundeskanzler mit der Letzten Generation. Rausgekommen ist nix – außer einer Menge Aufmerksamkeit für die kleinen »Öko-Terroristen«, die in verschiedenen Medien schon als »grüne RAF« gehandelt wurden.

Wochenlang sägten die Aktivisten und Aktivistinnen Anfang des Jahres an den Nerven pandemiegebeutelter Deutscher und klebten sich bundesweit mit Sekundenkleber oder Bauschaum auf den Straßen fest, bis die Polizei sie in die Wannen packte. Ihr Ultimatum lautet nun: Wenn die Regierung jetzt kein Gesetz veranlasst, das es Unternehmen verbietet, Lebensmittel wegzuschmeißen, die nicht verkauft wurden, und nicht sofort die totale Agrarwende einleitet, dann lassen wir uns weiter ins Gefängnis sperren. Um sicherzustellen, dass niemand der bestechenden Logik ihres Ultimatums entkommt, wurden auch schon mal mehrere Kanister Salatöl auf dem Standstreifen verschüttet, damit keine Autos an der Blockade vorbeigurken.

Hört man sich Vorträge der Letzten Generation an, weiß man nicht, ob man bei Klimaschützern oder bei einem neutestamentarischen Bibellesekreis gelandet ist: hochemotionale Predigten von Untergang und Tod, Gleichnisse und Endzeitmeditation. »Stellt euch vor, ein Haus brennt und eure Familie ist drin, dann würdet ihr auch handeln, oder?«, sagt die 22jährige Liberal-Arts-and-Sciences-Studentin Zoë aus Freiburg bei einem der in ganz Deutschland stattfindenden Rekrutierungsvorträge in Stuttgart. Wer sich nicht dem »Aufstand« anschließt, ist mindestens innerlich schon tot.

Dieselbe Hyperemotionalisierung gibt es auch beim Onlinevortrag des 30jährigen Umweltpsychologen Lars, der in fast schon liturgischem Singsang von grenzenlosem Leid und der Auslöschung der Menschheit predigt: Alarmstufe Apokalypse. Auf einem ungewollt komischen Schaubild, das Lars beim Onlinevortrag einblendet, ist eine in Form eines Emojis gestaltete Erdkugel zu sehen, die in drei Schritten den Berg herabrollt. Zu Zeitpunkt eins wäre es noch einfach gewesen, die Erde zu retten – verstrichen! An der nächsten Wegmarke wäre es schon schwerer geworden – verpasst! Aber da, wo wir jetzt stehen, hätten wir nur noch genau drei Jahre Zeit zu verhindern, dass die Erdkugel in den Abgrund stürzt – beziehungsweise ins Emoji-Feuer. Auch Zoë hat das Schaubild ausgedruckt bei ihrem Vortrag dabei und zeigt es den ums Klima besorgten Gästen. Als die von ihr am Ende der 45minütigen Horrorshow gefragt werden, ob sie mitmachen wollen beim Widerstand, können sich zwei von zwei Gästen leider nicht vorstellen, Autos zu blockieren.

Ungeachtet des sektenhaften Auftretens sind die Sorgen bezüglich der Folgen des Klimawandels, die Zoë, Lars und ihre Endzeitgeneration umtreiben, natürlich berechtigt. Der aktuelle IPCC-Sachstandsbericht des Weltklimarats, in dem Hunderte Expertinnen und Experten den aktuellen Stand der Klimaforschung zusammengefasst haben, vermittelt in wissenschaftlicher Nüchternheit genau das, was sich der Aufstand der letzten Generation auf die Fahnen schreibt: Es ist ernst. Die Erderwärmung zerstört schon jetzt mehr Ökosysteme als angenommen. Die Emissionen müssen dringend zurückgefahren werden.

Aber ein Bild sagt schließlich mehr als tausend Worte, und mit dem Schlag ins Gesicht des Straßenblockierers, der in den Sozialen Medien die Runde machte, ist, wie Tucholsky schrieb, »alles plötzlich am Tage«: der ganze Wahnsinn, der die Insassen der kapitalistischen Gesellschaft umtreibt, die noch im Angesicht ihres eigenen Untergangs erst dann wirklich die Krise kriegen, wenn sie nicht pünktlich zur Arbeit kommen.

Elena Wolf schrieb in konkret 1/22 über die Querdenken-Bewegung in Baden-Württemberg