Den Vogel abgeschossen

Elon Musk möchte das Wichtigtuer-Programm Twitter für 44 Milliarden US-Dollar übernehmen. Warum kauft sich der »reichste Mann der Welt« nicht lieber ein Tuttifrutti-Eis mit 44 Milliarden Kugeln? Von Peter Kusenberg

Neben Facebook, Youtube, Pinterest, Instagram und Whatsapp gehört die Mikroblogging-Software Twitter im Westen zu den einflussreichsten Social-Media-Diensten und hat sich als »Bällchenparadies des unterkomplexen Gedankens« (Friedrich Küppersbusch) in den Prozess der medialen Weltwahrnehmung eingeschrieben. Anders als andere Angebote ist Twitter für Investoren jedoch keine Verheißung, denn seit dem Start des Dienstes vor rund 15 Jahren fehlt eine plausible Monetarisierungsstrategie. Die Betreiber erwirtschaften Verluste und bemühen sich kaum, die altmodische Oberfläche zumindest um einen Tweet-Editor zu erweitern.

Doch Twitter ist mächtig, es beeinflusst mit seiner »Pulverisierung der Aufmerksamkeit« (»Süddeutsche Zeitung«) das Weltgeschehen. Was wäre ein US-Präsident Donald Trump ohne Twitter gewesen? Und die Tweets des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der täglich mutmaßliche Kriegsverbrechen der russischen Invasoren dokumentiert, erreichen eine große Öffentlichkeit. Warlord Wladimir Putin hat Twitter-Verbot, ebenso wie seit Anfang Januar 2021 der Ex-US-Präsident Trump.

Elon Musk, Präsident der Musk-Stiftung, beglückt die Twitter-Welt auf seinem Kanal mit manch abstrusem Gedanken. Mit Journalisten redet er dagegen selten, umso lieber spricht er mit Leuten, die sein libertäres Desperadotum für das wichtigste Ereignis halten, seit der »rückgratlose Kotzbrocken« (Heike Kusenberg, 77, Postbeamtin im Ruhestand) Christian Lindner zum Chef des Herrenreiterclubs FDP gewählt wurde. Die ZDF-Journalistin Manka Heise resümiert ihre Arbeit an der Dokumentation »Turbo, Tempo, Tesla« so: »Wir haben mit Politikern gesprochen, die dann zu Pressesprechern von Tesla geworden sind.«

Wenn es doch einmal gelingt, dem »Selfmade-Gentleman« (Joseph Schumpeter über diese Sorte Unternehmer) eine Frage zu stellen, ist der Lohn Häme. Die RBB-Journalistin Pune Djalilehvand fragte anlässlich der Eröffnung der Tesla-»Gigafactory« im brandenburgischen Grünheide, was Musk zu den Bedenken bezüglich des gefährdeten Grundwassers in der Region sage. Der begann zu gackern und gluckste: »Diese Region hat so viel Wasser, schauen Sie sich um. Hier ist überall Wasser, sieht es für Sie aus wie eine Wüste?« Danach verlangte er vom Sender, die Frage nicht auszustrahlen. Auf ebendieser Veranstaltung verhöhnte er den buckelnden Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU), der mit anderen Spitzenpolitikern dafür gesorgt hatte, dass Musk im Eilverfahren und ohne genaue Prüfung Sondergenehmigungen zum Bau seiner Fabrik erhielt.

Will die Presse etwas wissen über das Treiben des Turbokapitalisten, dann nutzt sie für »den Gesamtraum Europa und Naher Osten« die einzige E-Mail-Adresse, die auf der Seite von Tesla angegeben ist – und erhält keine Antwort, obwohl Musk doch einen großen Teil seines »17-Stunden-Arbeitstags« (Elon Musk) mit Tweeterei verbringt. Dieses Medium, das so gut zu ihm passt wie der Porsche zu Poschardt, soll nicht mit kleinkrämerischer Zensur den Gedankenfluss der Genies stören, weshalb sich Musk kurzfristig zur kompletten Übernahme entschloss. Seinem Image als »Macher« wurde er gerecht, indem er, ohne seine Buchhalter konsultiert zu haben, versprach, mindestens die Hälfte der nötigen 44 Milliarden US-Dollar aus eigenen Mitteln aufzubringen. Die »Süddeutsche Zeitung« klagte daraufhin: »Rechts der Mitte war der Orkan, den der Flügelschlag in San Francisco auslöste, eher ein Sturm der Vorfreude.« Denn wenn Musk den Dienst übernehme, so die Überlegung, werde er dafür sorgen, dass noch mehr Hassrede erlaubt wird.

Warum Twitter? Elon Musk könnte für deutlich weniger als 44 Milliarden Dollar einen eigenen Mikroblogging-Dienst programmieren lassen. Doch er weiß, wie das Internet funktioniert. Noch heute unterhalten, wider besseres Wissen, eine Milliarde Menschen ein Konto beim Datenkraken Facebook und nicht etwa bei Diaspora; genausowenig wird Musks Übernahme die Leute scharenweise in die Arme des Dienstes Mastodon treiben, den die Presse derzeit als Twitter-Alternative lobt. Trumps Twitter-Ersatz Truth Social beweist es: Medientechnisch sind die rechten Trolle dort tot.

Einzig den kreditgebenden Banken muss Musk mehr bieten als die Aussicht auf bescheidene Werbeeinnahmen. Laut Reuters schlug er eine Gebühr vor, »wenn andere Websites Tweets verifizierter Konten zitieren oder integrieren«. Seine »Omnia licet«-Politik müsse er bremsen, denn »Werbekunden sehen ihre Botschaften nicht gern zwischen Neonazis und Verschwörungstheoretikern plaziert« (»Spiegel Online«). Doch Musks Erfolg basiert, das zeigen seine Raketenfirma SpaceX und der Autohersteller Tesla, auf der »Selbstbezüglichkeit des finanzkapitalistischen Spekulationszirkels« (»Telepolis«), wo der »Zweifel am Gelingen als ständiger Begleiter im Gepäck« ist. Das könnte bei Twitter ebensogut klappen, denn in einer verstädterten Dienstleistungsgesellschaft brauchen die Menschen genausowenig dicke Autos wie ein Quatschportal, das das grundsätzliche »Brauchen« zur Disposition stellt, so wie man auf 280 Zeichen besser über Plapperthemen wie Rechtschreibreform, Gendersternchen und die Antriebsart von Kaputtfahrmaschinen stenografiert als über Umweltzerstörung, Sexismus und Entfremdung.

Idealerweise geht’s so: »Richtig geil, das Teil: Das @Tesla #Model3 SR+ ist die günstigste und agilste Art, einen Tesla zu fahren. Wo bleibt die deutsche Konkurrenz?« Na, die ärgert sich, dass sie Tariflöhne zahlen, Mitspracherecht dulden und Arbeitsunfälle verhindern muss, jedenfalls solange die Meinung unter anderem von ZDF und ARD unter Berücksichtigung des DGB bestimmt wird. Doch das ZDF wird nie ein eigenes Quatschportal unterhalten, während die Bedeutung der Sozialen Medien als Meinungsmaschine wächst.

Für Musk wird sich Twitter als sinnvolle Investition in libertäre Propaganda auszahlen, sie ist gar zur Sicherung der Musk-Investitionen unerlässlich. In Zukunft beginnt dann der »Diskurs« über den ÖPNV mit einem Musk-Tweet: »Der geht mir auf den Sack. Und du triffst einen Haufen Fremde, von denen einer ein Serienmörder sein könnte. Und das ist der Grund, warum die Leute individualisierten Transport mögen, der dorthin geht, wo man will, wann man will.« Die Antwort lautet dann: »Model S P85D oder Model S P100D?«

Peter Kusenberg schrieb in konkret 5/22 über den Comic Work-Life-Balance