Tief durchatmen

Die Klimakrise ruft Gefühle von Angst und Verzweiflung hervor und hat der psychologischen Forschung ein neues Betätigungsfeld erschlossen. Von Matthias Becker

Die Angst vor der unwiderruflichen Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen ist nicht neu. Im Verlauf der siebziger Jahre wurde sie zu einem wesentlichen Antrieb der Umweltschutzbewegung. Schon damals nahmen manche Warnungen einen apokalyptischen Tonfall an. Es sei fünf vor zwölf oder vielleicht schon zu spät, hieß es.

Der Unterschied zur Gegenwart liegt auf der Hand. Bestürzende Bilder der Naturzerstörung gibt es fast jeden Abend in den Fernsehnachrichten. Teilweise sind die Folgen des Klimawandels bereits sichtbar – am Zustand der Wälder beispielsweise oder an den Pegelständen der Flüsse im Sommer –, teilweise sind sie spürbar, etwa wenn Hitzewellen die Innenstädte aufheizen. Auch wenn sich ihre Auswirkungen je nach Lebensort und Klassenzugehörigkeit erheblich unterscheiden: Die ökologische Krise kommt im Alltag an.

Wen schreckt nicht die Aussicht, dass sich Flutkatastrophen, Stürme, Dürreperioden oder Waldbrände künftig häufen werden? Die eigentliche Ursache der Angst ist aber eine andere: Bisher werden keinerlei erfolgversprechende Maßnahmen ergriffen, um die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase zu senken (Mitigation) und die Folgen der Erderwärmung durch Anpassungsmaßnahmen abzufedern (Adaption).

Ohnmacht und Angst sind Grunderfahrungen in der Klimakrise. Wahrscheinlich war es unvermeidlich, dass sich die Psychologie der Sache annimmt und ihr einen Namen gibt: Eco Anxiety. Der nordamerikanische Dachverband für Psychologie APA definiert sie als »chronische Angst vor der Zerstörung der natürlichen Umwelt«. Der australische Umweltphilosoph Glenn Albrecht wiederum spricht von einer »generalisierten Auffassung, dass die ökologischen Grundlagen unserer Existenz zusammenbrechen«.

Seit einigen Jahren mehren sich die Publikationen und Forschungsprojekte zur Eco Anxiety. Die Psychologen und Psychiaterinnen unterscheiden zwischen angemessenen Gefühlen und Verhaltensweisen und übertriebenen, krankhaften Reaktionen. Diese Grenze zu bestimmen ist allerdings durchaus problematisch. Welche Reaktionen sind der Klimakrise angemessen? Suizid, Attentat, Leserbrief, Orgie, Verzicht auf Fortpflanzung, Umsturz? Für die existentiellen Fragen, die mit der Klimakrise einhergehen, sind Psychologie und Psychiatrie nicht zuständig. Dennoch können ihre Begriffe und Erkenntnisse helfen, die psychische Krise, die aus der ökologischen entsteht, etwas besser zu verstehen.

Beginnen wir mit dem Einfachsten und Allgemeinsten: Angst macht krank, wenn sie überwältigt, wenn Menschen sich gegenüber drohenden Gefahren hilflos fühlen. Seelische Gesundheit beruht nicht auf dem Vertrauen darauf, dass keine schlimmen Dinge geschehen werden, sondern auf der Erwartung, sie bewältigen zu können – psychologisch »Erwartung von Selbstwirksamkeit« genannt. Worauf kann dieses Vertrauen in bezug auf die Klimakrise gründen? Wenn wir von der interessanten Ausnahme der sogenannten Prepper absehen, die sich individuell und fatalistisch auf einen gesellschaftlichen Zusammenbruch vorbereiten, muss diese Erwartung auf einer irgendwie gesellschaftlichen, kollektiven Antwort beruhen.

In der Literatur ist in diesem Zusammenhang oft von Hoffnung die Rede. »Sie ist ein essentieller Faktor, um Ängsten vor dem Klimawandel erfolgreich begegnen zu können«, betonen die Psychotherapeuten Paolo Raile und Bernd Rieken. »Fehlende Hoffnung kann sich negativ auswirken und beispielsweise zu Depressionen führen. Wenn eine Person meint, dass ihre Handlungen an der Gesamtsituation nichts ändern, dann könnte es ein Ziel des unterstützenden Umfelds sein, der Person den Glauben an ihre Selbstwirksamkeit zurückzugeben.«

Hoffnungslosigkeit und Isolation sind zweifellos ungesund, fragwürdig ist allerdings die politische und wirtschaftstheoretische Naivität, die die Literatur zur Eco Anxiety durchzieht. Denn sie verengt Selbstwirksamkeit entweder auf einen weniger umweltschädlichen Lebensstil oder auf Protestformen, mit denen die Regierungen doch noch zum Umsteuern bewegt werden sollen. Die Macht- und Eigentumsverhältnisse, die der Mitigation und Adaption im Weg stehen, tauchen nicht auf.

Diese Intervention wird umso fragwürdiger, je stärker sie sich selbst als eine Art Gesellschaftstherapie begreift, wie es etwa im Umfeld der Initiative Psychologists for Future der Fall ist. Ihr Ziel sei es, erklären die Autorinnen von Climate Action – Psychologie der Klimakrise, »Handlungshemmnisse zu beseitigen«. Die Hindernisse und Widerstände werden allerdings nur individualpsychologisch gefasst, als Ergebnis von Identitätsproblemen, verzerrter Wahrnehmung und kommunikativen Fallstricken. Politische Prozesse erscheinen als Summe individueller Entscheidungen, die bei einer veränderten Mentalität anders ausfallen würden. Reale Machtlosigkeit wird umgedeutet in Fehlinterpretation und Hemmung.

Sich ohnmächtig zu fühlen liegt nahe. Die Klimakrise ist nicht nur global, sie betrifft jeden Lebensaspekt. Treibhausgase entstehen bei jeder Arbeit und bei jedem Konsum. Sämtliche Infrastrukturen der bestehenden Gesellschaft wurden mit fossiler Energie errichtet und werden mit ihr aufrechterhalten. Deswegen lässt sich die Klimakrise nicht mit Kaufentscheidungen entschärfen. Gerade umweltpolitisch Engagierten ist dies häufig bewusst. Ihr Versuch, selbst möglichst wenig zur Erderwärmung beizutragen, speist sich aus dem Wunsch, ein Beispiel zu geben oder wenigstens nicht »mitschuldig« zu werden.

Die Untersuchungen zur Eco Anxiety zeigen, dass Schuldgefühle bei einigen Betroffenen eine große Rolle spielen. Sie übernehmen Verantwortung für einen Prozess, den sie nicht wirklich beeinflussen können, und verzweifeln an der Verantwortungslosigkeit der vermeintlichen Entscheidungsträger. Denn bei den Staatenlenkern handelt es sich um Charaktermasken, die aufgrund ökonomischer und machtpolitischer Zwänge ebenfalls nicht in der Lage sind, das Notwendige zu tun. Dieser Zusammenhang lässt sich zwar intellektuell nachvollziehen, erträglicher wird er dadurch allerdings kaum.

Die Psychologie geht davon aus, dass fehlende Hoffnung das ökologische Engagement schwächt. »Scheitern ist keine Option!« ist das Motto eines weltanschaulich motivierten Zweckoptimismus. Der Merkspruch lautet: »It’s real, it’s us, it’s bad, there’s hope!« Aber darüber, ob es begründete Hoffnung gibt, kann Naturwissenschaft (allein) nichts aussagen.

Aus psychologischer Sicht sprechen allerdings starke Argumente dafür, Hoffnung zu schüren. Denn je mehr Angst eine Botschaft auslöst, umso größer der innere Widerstand. Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass selbst das ideologisch verfestigte Bestreiten des Klimawandels derart motiviert ist: Angst wird empfunden, aber auf andere Erscheinungen verschoben. Die gängige, viel häufigere Form der Abwehr besteht in der formellen Anerkennung der Realität, während ihre emotionale Bedeutung abgespalten wird. Die Erkenntnis wird nicht konkretisiert, nicht auf die eigene Person bezogen. Sie ist »gefühlt bedeutungslos«, wie es die Psychoanalytikerin Delaram Habibi-Kohlen formuliert.

Auch in der Vergangenheit haben Gesellschaften ihre natürlichen Lebensgrundlagen durch Raubbau zerstört. Sie taten dies in der Regel, ohne die kausalen Zusammenhänge zu begreifen. Ihnen stand es noch offen, in andere Regionen abzuwandern. Die Rolle der verwissenschaftlichten Arbeit und die globale Reichweite unterscheiden die ökologische Krise des 21. Jahrhunderts von allen vorangegangenen. Mit der steigenden Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre stößt die Menschheit an eine planetare Belastungsgrenze. Damit stellen sich unbequeme anthropologische Fragen.

Die zerstörerische Gewalt von Naturkatastrophen erlebten die Menschen vor der Neuzeit als kontingent. Flut, Sturm, Dürre und Feuer suchten sie heim, ihr Auftreten entzog sich der Kontrolle. Die eigene Machtlosigkeit gegenüber einer unberechenbaren, auch ungerechten Natur war eine gängige Erfahrung. Sie wurde aber niemals nur passiv erlitten. Katastrophen, zu denen übrigens auch Epidemien zählten, wurden praktisch bewältigt und mythisch oder religiös erklärt.

Anders liegen die Dinge heute: Die Fortschritte der Naturbeherrschung haben dazu geführt, dass die Menschen eine umfassende Kontrolle erwarten, in gewisser Weise sogar benötigen. Die Naturgewalten sind weitgehend eingehegt. Nun destabilisieren wir das Klima- und Erdsystem selbst und verstehen mittlerweile recht gut, was geschieht. Die Unberechenbarkeit der einzelnen Ereignisse ändert nichts daran, dass uns ihre Ursachen bekannt sind, die wir dennoch nicht beseitigen können. Dies entspricht einer tiefen Kränkung. Die Wissenschaft, Grundlage der Naturbeherrschung, belegt gleichzeitig eine offenbar unheilbare Idiotie. Die Gewalt dieser Katastrophe wird nicht technisch erzeugt – sie hat sozusagen eine »natürliche Form« –, aber die Menschheit hat diese Kräfte entfesselt. Es handelt sich eben um eine »anthropogene Naturkatastrophe«.

Insofern kann die Menschheit eigentlich nur an sich selbst verzweifeln. In der psychischen Verarbeitung verwirren sich die Kategorien. »Natur wird entweder grenzenlos idealisiert als gute und schöne Mutter … oder aber dämonisiert als ›aus dem Ruder gelaufen‹, ›zurückschlagend‹«, erklärt Habibi-Kohlen. Der Klimawandel erscheint als Rache der Natur, die umso schlimmer imaginiert wird, je stärker die eigene Schuld empfunden wird.

Andererseits nehmen viele Menschen Zuflucht in Omnipotenzphantasien. Zu diesem Komplex zählt die Vorstellung, die großen Kreisläufe des Klimasystems ließen sich mit technischen Mitteln regulieren. Bei solchen Wunschphantasien handelt es sich um eine Regression hin zum magischen Denken, das die Vorstellungswelten der Kindheit prägt. Heute bildet das magische Denken die Grundlage der staatlichen Klimapolitik.

Die Klimakrise bedroht den Fortbestand der Gattung, das ist die unbequemste aller Wahrheiten. Die Warnungen vor einer »Klimahysterie« dienen in erster Linie der Abwehr von Angst. Solche Kritikerinnen beharren auf einer rein verstandesmäßigen, nüchternen Analyse, führen sie aber charakteristischerweise niemals durch: Sie würde zur Beruhigung auch nicht taugen. Emotionalität wird stigmatisiert, weil Verleugnung der kulturellen Norm entspricht.

Die Wahrheit über die Klimakrise berührt den empfindlichsten Bereich der Psyche, den Umgang mit der Sterblichkeit. Und mit der Aussicht auf die Endlichkeit der Gattung, die die Klimakrise aufruft, können Menschen mental und kulturell nicht umgehen. Diese Erkenntnis mag entlastend wirken: Verdrängung und Verzweiflung sind erlaubt. Weitere Verhaltenstipps persönlicher und politischer Art lassen sich aus den psychologischen Erkenntnissen aber kaum ableiten.

Lea Dohm, Felix Peter, Katharina van Bronswijk (Hg.): Climate Action – Psychologie der Klimakrise. Psychosozial-Verlag, Gießen 2021, 413 Seiten, 39,90 Euro

Paolo Raile, Bernd Rieken: Eco Anxiety – Die Angst vor dem Klimawandel. Waxmann-Verlag, Münster 2021, 228 Seiten, 29,90 Euro

Matthias Becker schrieb in konkret 12/21 über die Folgen der Digitalisierung der Arbeit. Eine Langfassung dieses Beitrags findet sich unter www.textarbeit.net