Dreadlockdown

Über einen Fall kultureller Aneignung. Von Stefan Gärtner

In Bern ist ein Konzert nach Publikumsbeschwerden wegen »kultureller Aneignung« abgebrochen worden, weil eine (weiße) Mundartband Reggae gespielt und Dreadlocks getragen hat; dabei sind Dreadlocks und Reggae so lang schon von links adoptiert, dass sie in Ostdeutschland für Nazi-Angriffe sorgen, abgesehen davon, dass Musik ohnehin aus Aneignung, nämlich den unumgänglichen »Einflüssen« besteht. Wer Musik ethnisch-kulturell fixiert, will Folklore, keine Kunst, und Elvis, dessen Legende darauf beruht, schwarze Musik fürs breite weiße Publikum geöffnet zu haben, war dann vielleicht doch etwas mehr als nur ein kultureller Aneigner.

Der Horror vor der kulturellen Aneignung ist aber nicht bloß ein moralinsaurer Spleen großstädtischen Bescheidwissertums: Der Reflex ist gut antiimperialistisch, weil er Verhältnisse anzeigt, unter denen die einen plündern und die anderen geplündert werden. Nachdem der Schweizer Vorgang einige Beachtung gefunden hatte, mahnte der liberale deutsche Leitartikel, die Leute müssten endlich heraus aus den Gräben ihrer gruppenfixierten Überzeugungen, denn einfache Antworten, die gebe es gar nicht. Da macht er es sich seinerseits zu leicht, weil ihn das mit dem Plündern nicht interessieren darf, und wo er dann doch ans Eingemachte muss, behilft er sich mit der dicksten aller Blendgranaten: »Um das möglich zu machen«, das friedliche Miteinander über Hautfarbe und Haltung hinweg, »muss ganz am Anfang angesetzt werden, bei der Bildung. Ließe man alle Kinder mit den gleichen oder zumindest mal ähnlicheren Chancen ins Leben starten, würden sich viele Probleme, die diese Gesellschaft derzeit hat, mit der Zeit fast wie von selbst erledigen.«

Ach Gottchen, liebe »Süddeutsche«: Wettbewerb bedeutet die Sicherung von Wettbewerbsvorteilen, und das weiße Bürgertum, statt die Bildungshürden für die zweisprachig aufwachsende Konkurrenz zu senken, besteht lieber darauf, es liege nun mal an der (zumal islamischen) »Kultur«, dass die Kinder so seien, wie sie werden, wenn man ihnen und ihren Eltern zu verstehen gibt, dass sie ihrem eigenen Klischee nicht entkommen sollen. »Ethnisierung des Klassenkonflikts« heißt das, und die Linke soll sich hüten, dieses Muster gedankenlos zu kopieren, indem sie darauf besteht, jamaikanische Musik dürfe nur von Jamaikanern gespielt werden. Das ist nämlich nur ein Fingerschnippen von der Überzeugung entfernt, dass der Türke in den Dönerstand gehört.

Stefan Gärtner